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Aufgebot mit ihnen einzurücken. Zu diesem Zweck
waren mehrere Lehen zu einem Sandschak („Fähn-
lein") zusammengefaßt; an dessen Spitze stand der
Sandschakbey (im ganzen etwa 250) mit einem
Roßschweif und weitgehenden militärischen und
Verwaltungsbefugnissen. Mehrere Sandschaks
bildeten eine Provinz (Elajet) unter einem Begler-
bey (später Pascha, mit 2 oder 3 Roßschweifen);
deren gab es anfangs 2, für Rum und Anadol,
schon unter Soliman 21. Das Heer bestand aus
der Lehnsreiterei und den Hilfstruppen der Tri-
butärstaaten; dazu kam schon im 14. Jahrh. eine
stehende Fußtruppe, die Janitscharen, die unter
den christlichen Einwohnern Albaniens, Ungarns
und Griechenlands als Knaben geraubt oder aus-
gehoben und im Islam erzogen wurden und durch
ihre tollkühne Tapferkeit, ihren Haß gegen die
Ungläubigen und ihre Treue den Sultanen lange
die besten Dienste leisteten. Die Flotte war im
16. Jahrh. der Schrecken des Mittelmeers, im
17. jedoch schon völlig bedeutungslos.
Die nichtmohammedanischen Unter-
tanen zerfielen in zwei Klassen, Giaurs oder Un-
gläubige, die ausgerottet oder bekehrt werden
mußten (die schiitischen und halbheidnischen Sekten
waren demnach nur geduldet), und Kitabi, In-
haber einer geschriebenen Offenbarung, also Chri-
sten und Juden, da ja der Islam auch Moses und
Christus als Propheten anerkennt. Diese hießen
Türkei.
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Rechts= und Polizeihoheit des Reichs entzogen.
Die erste dieser Kapitulationen wurde 1454 mit
Venedig geschlossen, das aber bald von Frankreich
an Einfluß überflügelt wurde. Frankreich bekam
1535 freie Wallfahrt zu den heiligen Orten,
Handelsschutz, gleiche Behandlung im Zollwesen
und Gerichtsbarkeit seiner immunen Konsuln in
Konstantinopel und Alexandrien zugesichert. Die
französischen, 1673, 1740 und 1802 erweiterten
Kapitulationen waren lange am vorteilhaftesten,
weshalb andere Ausländer oft sich unter französi-
schen Schutz stellten (und daher allgemein als
Frengi bezeichnet wurden); seit dem 18. Jahrh.
wurden sie auch den Verträgen mit Osterreich,
Nußland, England usw. zugrunde gelegt. Unter
dem Druck der Mächte erhielten auch die christlichen
Untertanen mit der Zeit eine billigere Behandlung.
Schon mit dem Tod Solimans (1566) begann
der innere Verfall. Die nächsten Ursachen
waren die Zerrüttung des Herrscherhauses, die
Mißwirtschaft am Hof, der sich nach byzantini-
chem Muster ausbildete, und das Schwinden der
idealen Kräfte im Volk, der Treue gegen den
Sultan, der Disziplin und Tapferkeit und der
Hingebung an den Islam. Ein Anlaß zu innern
Streitigkeiten war der Mangel der Erbfolge nach
Erstgeburtsrecht. Bis ins 17. Jahrh. bestimmte
der Sultan meist selbst seinen Nachfolger; seit
1617 galt das Senioraterbrecht als Regel (gesetz-
—"
Dimi („Unterworfene") oder Naja („Herde“') lich erst 1876 festgelegt), doch waren Thronstreitig-
und zahlten für die Erlaubnis ihrer Religions-= keiten damit nicht beseitigt, vielmehr gewaltsame
übung den Charadsch, die Kopfsteuer, an den Sul= Beseitigung des Herrschers und seiner nächsten
tan. Solange die Türken Eroberungen machten, Erben eher provozierl. Während sich die Sultane
war alles Land ihnen verfallen; die christlichen gegen Prätendenten durch Verwandten= und
Einwohner, die nicht in die Sklaverei geschleppt Brudermord zu sichern suchten, verbündeten sich
oder unter die Janitscharen gesteckt wurden, be= diese mit den Janitscharen, Ulema oder Statt-
hielten einen Teil ihres Landes, mußten aber da= haltern, deren Gunst sie durch Zugeständnisse er-
von den Zehnten an die Lehnsinhaber leisten so- kauften. So wurden Osman II. 1622, Moham-
wie Fronen und Quartierlasten tragen. Zum med IV. 1687, Mustafa II. 1703, Achmed III.
Heeres= und Staatsdienst hatten sie keinen Zu- 1730 von den Janitscharen, Mustafa I. 1618 und
tritt, waren überhaupt Staatsbürger niederer Selim III. 1807 von den Ulema, Mustafa IV.
Ordnung; nur durch den Übertritt zum Islam 1808 von einem Pascha gestürzt. Auch das Lehns-
kamen sie zu Amtern, und gerade die bosnischen wesen verfiel, die Lehnsleute und Statthalter wur-
und albanesischen Renegaten machten oft die beste
Karriere. Immerhin hatten die Christen religiöse
und bürgerliche Freiheit und behielten auch zum
Teil ihre sozialen und politischen Einrichtungen.
Denn die christlichen Religionsgemeinschaften
(ebenso die Juden), die zugleich nationalen Cha-
rakter hatten, waren als kirchlich-weltliche Korpo-
rationen (Millet) vom Staat anerkannt und mit
administrativen und richterlichen (namentlich im
Ehe= und Erbrecht) Befugnissen ausgestattet und
mit der Leitung des Schulwesens ihrer Nation
betraut. Solcher kirchenpolitischer Gebilde gab es
fünf (Orthodore, Lateiner, Unierte, Armenier und
Juden), wozu 1850 noch die Protestanten kamen.
den unbotmäßig und ahmten die Mißwirtschaft
des Serails nach. Die Provinzen verfielen dabei
wirtschaftlich, und so war seit dem Ende des
16. Jahrh. die Finanznot chronisch. Die Folgen
waren Verkauf der Amter, Steuerdruck, Münz-
verschlechterung, Meuterei der unbesoldeten Trup-
pen, Erpressung und Bestechlichkeit der Beamten,
schlechte Justiz und willkürliche Konfiskationen.
Der gesährlichste innere Feind wurde mit der Zeit
die selbstsüchtige Prätorianergarde der Jani-
tscharen, die von jedem neuen Sultan und oft noch
im Krieg Zugeständnisse auf Kosten des Staats-
schatzes erpreßten.
So sank auch die äußere Machtstellung
Schon seit dem 17. Jahrh. genossen die Aus= des Reichs; den Wendepunkt bezeichnet das Jahr
länder unter dem Schutz der Kapitulationen (sor- 1683, der letzte Akt der türkischen Offensive. In
mell einseitiger Fermans) eine an Exterritorialität den Friedensschlüssen von 1697 und 1718 verlor
grenzende Freiheit und waren fast vollständig der die Türkei Ungarn und fast ganz Kroatien an