Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

575 Türkei. 
liegt die Sorge für die theologischen Anstalten, 
für die Prediger in allen Eparchien; der Synode 
allein steht die Strafgewalt über den Patriarchen 
zu. Als Beratungskörper besteht neben der Syn- 
ode ein aus vier Bischöfen und acht Laien gebil- 
deter Gemischter Nat, der auf zwei Jahre gewählt 
wird; seine Kompetenz erstreckt sich auf die Finanz- 
verwaltung und die Beausfsichtigung der zum 
Millet gehörigen Schulen und Wohltätigkeits- 
einrichtungen, er ist auch Appellationsinstanz in 
gewissen Urteilen bischöflicher Gerichte. Welt- 
liches Organ des Patriarchats ist der Großlogo- 
thet, der vom Patriarchen und der Synode aus 
der Zahl der griechischen Notabeln ernannt und 
von der Pforte bestätigt wird; durch ihn ver- 
handelt der Patriarch mit der Pforte alle auf 
seine weltlichen Privilegien bezüglichen Angelegen- 
heiten, durch seine Hände gehen alle offiziellen 
Mitteilungen des Patriarchen an die Pforte, alle 
Synodalbeschlüsse, die sich auf die Ernennung von 
Metropoliten und Bischöfen beziehen, bedürfen zu 
ihrer rechtlichen Gültigkeit seiner Kontrasignatur. 
Unabhängig vom Patriarchen in Konstantinopel 
in kirchlicher Beziehung sind die drei griechischen 
Patriarchen von Alexandrien, Antiochien und 
Jerusalem; sie haben denselben privilegierten Ge- 
richtsstand wie jener, die gleiche Abgabenfreiheit 
für sich und ihr Gefolge, jeder hat seine eigne 
Synode, die den Patriarchen wählt; sie stehen 
aber insofern unter dem Patriarchen von Konstan- 
tinopel, als sie keine Zivilautorität besitzen, nur 
durch jenen mit der Pforte verkehren können, durch 
seine Vermittlung die erforderlichen Berats er- 
halten und ohne seine Zustimmung nicht nach 
Konstantinopel kommen können. Die Metropo- 
liten und Bischöfe vertreten in ihren Diözesen die 
Interessen ihrer Gläubigen gegenüber den Ver- 
waltungsbehörden; sie haben in den Provinzial- 
bzw. Sandschakausschüssen Sitz und Stimme. Dem 
Patriarchen von Konstantinopel unterstehen im 
türkischen Reich einschließlich Agypten 74 Metro- 
politen und 20 Bischöfe (unter fünf Metropoliten), 
dem von Alexandrien 4, dem von Antiochien 16, 
dem von Jerusalem 13 Bischöfe. 
Nach dem Vorbild des griechischen Millet sind 
auch die übrigen organisiert. Von der geistlichen 
Herrschaft des griechischen Patriarchen haben sich 
mit Unterstützung Nußlands 1872 die bulgarischen 
Orthodoxen losgemacht und eine selbständige na- 
tionale Kirchenverwaltung mit einem Exarchen an 
der Spitze nebst einer bulgarischen Synode für alle 
bulgarischen Bezirke der Balkanhalbinsel (nicht 
nur für die in der Türkei) geschaffen. Der bul- 
garische Erarch residiert in Ortaköi bei Konstan- 
tinopel; ihm unterstehen in der Türkei 19 Erz- 
bischöfe und 2 Bischöfe. Von dem griechischen 
Patriarchat wurde die bulgarische Kirche als schis- 
matisch erklärt und in den Bann getan; neuer- 
dings wird eine Annäherung beider Kirchen an- 
gestrebt. — Das höchste geistliche Oberhaupt der 
gregorianischen Armenier ist der in Etschmiadsin 
  
  
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in Russisch-Armenien residierende Katholikos, 
dessen Jurisdiktion über die ganze armenische 
Kirche jedoch durch die übrigen Patriarchen ziem- 
lich eingeschränkt ist. Politisches Oberhaupt der 
Armenier der Türkei ist der armenische Patriarch 
von Konstantinopel, der in ähnlicher Weise wie 
der griechische gewählt und von der Pforte be- 
stätigt wird. Für alle kirchlichen und nationalen 
Angelegenheiten steht ihm ein Nationalrat aus 
zwölf geistlichen und zwölf weltlichen Mitgliedern 
zur Seite, der von der alle zwei Jahre einzube- 
rufenden Nationalversammlung (20 geistliche und 
120 weltliche Mitglieder) gewählt wird. Außer 
dem Patriarchen von Konstantinopel gibt es noch 
zwei armenische Patriarchen zu Sis und Jeru- 
salem; ihnen unterstehen insgesamt 57 Diözesen 
und Klosterbistümer. 
An der Spitze des Millet der jüdischen Raja 
steht ein Oberrabbiner, der seine Glaubens- 
genossen bei der Pforte vertritt. Ihm zur Seite 
stehen ein geistlicher (7 Rabbiner) und ein 
Laien-Beratungskörper (9 Mitglieder); jener übt 
die Üüberwachung des Kultus aus, dieser sorgt für 
die weltlichen Angelegenheiten des Millet, na- 
mentlich für die Finanzverwaltung. Außerdem 
gibt es einen aus 60 Mitgliedern zusammen- 
gesetzten Volkskonseil, der den Oberrabbiner und 
die Mitglieder der beiden Beratungskörper wählt. 
Die Zahl der Protestanten in der Türkei, 
hauptsächlich in den Handelsplätzen wohnende 
Europäer und Nordamerikaner sowie von eng- 
lischen und amerikanischen Missionären gewonnene 
Armenier, ist gering; ihre Anerkennung als Reli- 
gionsgemeinschaft seitens der Pforte ist hauptsäch- 
lich auf die Bemühungen Englands zurückzuführen. 
Die einzelnen Gemeinden werden durch einen vom 
Sultan ernannten Wekil bei der Pforte vertreten, 
unterstehen aber den Lokalbehörden in der Provinz 
und haben auch keine Vertreter in den Selbstver- 
waltungskörperschaften der Provinzen und Sand- 
schaks. Die Anglikaner haben einen Bischof in 
Jerusalem. 
Die mit Rom unierten orientalischen Kirchen 
gehören drei Riten an. An der Spitze der arme- 
nisch-katholischen Kirchengemeinschaft steht der zu 
Konstantinopel residierende „Patriarch von Kili- 
kien“, der von den ihm untergebenen (Titular--) 
Erzbischöfen (drei) und Bischöfen (zwölf in der 
Türkei, je einer in Agypten und Persien) gewählt 
und vom Papst bestätigt wird; seine Befugnisse 
sind denen des griechischen und armenisch-grego- 
rianischen analog. Bei der Verwaltung der kirch- 
lichen Angelegenheiten steht ihm ein Conseil patri- 
arcal ceclésiastique und ein Consoil ecclé- 
siastique canonicoliturgique, bei weltlichen 
Angelegenheiten ein Conseil administratiflaique 
zur Seite. In seiner Hand ruht auch die Vertre- 
tung der übrigen mit Nom unierten katholischen 
Kirchengemeinschaften. — Griechischen Ritus haben 
1) die rein griechischen unierten Gemeinden in 
Konstantinopel usw., die von dem päpstlichen De-
	        
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