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liegt die Sorge für die theologischen Anstalten,
für die Prediger in allen Eparchien; der Synode
allein steht die Strafgewalt über den Patriarchen
zu. Als Beratungskörper besteht neben der Syn-
ode ein aus vier Bischöfen und acht Laien gebil-
deter Gemischter Nat, der auf zwei Jahre gewählt
wird; seine Kompetenz erstreckt sich auf die Finanz-
verwaltung und die Beausfsichtigung der zum
Millet gehörigen Schulen und Wohltätigkeits-
einrichtungen, er ist auch Appellationsinstanz in
gewissen Urteilen bischöflicher Gerichte. Welt-
liches Organ des Patriarchats ist der Großlogo-
thet, der vom Patriarchen und der Synode aus
der Zahl der griechischen Notabeln ernannt und
von der Pforte bestätigt wird; durch ihn ver-
handelt der Patriarch mit der Pforte alle auf
seine weltlichen Privilegien bezüglichen Angelegen-
heiten, durch seine Hände gehen alle offiziellen
Mitteilungen des Patriarchen an die Pforte, alle
Synodalbeschlüsse, die sich auf die Ernennung von
Metropoliten und Bischöfen beziehen, bedürfen zu
ihrer rechtlichen Gültigkeit seiner Kontrasignatur.
Unabhängig vom Patriarchen in Konstantinopel
in kirchlicher Beziehung sind die drei griechischen
Patriarchen von Alexandrien, Antiochien und
Jerusalem; sie haben denselben privilegierten Ge-
richtsstand wie jener, die gleiche Abgabenfreiheit
für sich und ihr Gefolge, jeder hat seine eigne
Synode, die den Patriarchen wählt; sie stehen
aber insofern unter dem Patriarchen von Konstan-
tinopel, als sie keine Zivilautorität besitzen, nur
durch jenen mit der Pforte verkehren können, durch
seine Vermittlung die erforderlichen Berats er-
halten und ohne seine Zustimmung nicht nach
Konstantinopel kommen können. Die Metropo-
liten und Bischöfe vertreten in ihren Diözesen die
Interessen ihrer Gläubigen gegenüber den Ver-
waltungsbehörden; sie haben in den Provinzial-
bzw. Sandschakausschüssen Sitz und Stimme. Dem
Patriarchen von Konstantinopel unterstehen im
türkischen Reich einschließlich Agypten 74 Metro-
politen und 20 Bischöfe (unter fünf Metropoliten),
dem von Alexandrien 4, dem von Antiochien 16,
dem von Jerusalem 13 Bischöfe.
Nach dem Vorbild des griechischen Millet sind
auch die übrigen organisiert. Von der geistlichen
Herrschaft des griechischen Patriarchen haben sich
mit Unterstützung Nußlands 1872 die bulgarischen
Orthodoxen losgemacht und eine selbständige na-
tionale Kirchenverwaltung mit einem Exarchen an
der Spitze nebst einer bulgarischen Synode für alle
bulgarischen Bezirke der Balkanhalbinsel (nicht
nur für die in der Türkei) geschaffen. Der bul-
garische Erarch residiert in Ortaköi bei Konstan-
tinopel; ihm unterstehen in der Türkei 19 Erz-
bischöfe und 2 Bischöfe. Von dem griechischen
Patriarchat wurde die bulgarische Kirche als schis-
matisch erklärt und in den Bann getan; neuer-
dings wird eine Annäherung beider Kirchen an-
gestrebt. — Das höchste geistliche Oberhaupt der
gregorianischen Armenier ist der in Etschmiadsin
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in Russisch-Armenien residierende Katholikos,
dessen Jurisdiktion über die ganze armenische
Kirche jedoch durch die übrigen Patriarchen ziem-
lich eingeschränkt ist. Politisches Oberhaupt der
Armenier der Türkei ist der armenische Patriarch
von Konstantinopel, der in ähnlicher Weise wie
der griechische gewählt und von der Pforte be-
stätigt wird. Für alle kirchlichen und nationalen
Angelegenheiten steht ihm ein Nationalrat aus
zwölf geistlichen und zwölf weltlichen Mitgliedern
zur Seite, der von der alle zwei Jahre einzube-
rufenden Nationalversammlung (20 geistliche und
120 weltliche Mitglieder) gewählt wird. Außer
dem Patriarchen von Konstantinopel gibt es noch
zwei armenische Patriarchen zu Sis und Jeru-
salem; ihnen unterstehen insgesamt 57 Diözesen
und Klosterbistümer.
An der Spitze des Millet der jüdischen Raja
steht ein Oberrabbiner, der seine Glaubens-
genossen bei der Pforte vertritt. Ihm zur Seite
stehen ein geistlicher (7 Rabbiner) und ein
Laien-Beratungskörper (9 Mitglieder); jener übt
die Üüberwachung des Kultus aus, dieser sorgt für
die weltlichen Angelegenheiten des Millet, na-
mentlich für die Finanzverwaltung. Außerdem
gibt es einen aus 60 Mitgliedern zusammen-
gesetzten Volkskonseil, der den Oberrabbiner und
die Mitglieder der beiden Beratungskörper wählt.
Die Zahl der Protestanten in der Türkei,
hauptsächlich in den Handelsplätzen wohnende
Europäer und Nordamerikaner sowie von eng-
lischen und amerikanischen Missionären gewonnene
Armenier, ist gering; ihre Anerkennung als Reli-
gionsgemeinschaft seitens der Pforte ist hauptsäch-
lich auf die Bemühungen Englands zurückzuführen.
Die einzelnen Gemeinden werden durch einen vom
Sultan ernannten Wekil bei der Pforte vertreten,
unterstehen aber den Lokalbehörden in der Provinz
und haben auch keine Vertreter in den Selbstver-
waltungskörperschaften der Provinzen und Sand-
schaks. Die Anglikaner haben einen Bischof in
Jerusalem.
Die mit Rom unierten orientalischen Kirchen
gehören drei Riten an. An der Spitze der arme-
nisch-katholischen Kirchengemeinschaft steht der zu
Konstantinopel residierende „Patriarch von Kili-
kien“, der von den ihm untergebenen (Titular--)
Erzbischöfen (drei) und Bischöfen (zwölf in der
Türkei, je einer in Agypten und Persien) gewählt
und vom Papst bestätigt wird; seine Befugnisse
sind denen des griechischen und armenisch-grego-
rianischen analog. Bei der Verwaltung der kirch-
lichen Angelegenheiten steht ihm ein Conseil patri-
arcal ceclésiastique und ein Consoil ecclé-
siastique canonicoliturgique, bei weltlichen
Angelegenheiten ein Conseil administratiflaique
zur Seite. In seiner Hand ruht auch die Vertre-
tung der übrigen mit Nom unierten katholischen
Kirchengemeinschaften. — Griechischen Ritus haben
1) die rein griechischen unierten Gemeinden in
Konstantinopel usw., die von dem päpstlichen De-