Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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1881 schloß die Türkei mit den Pariser und Lon- 
doner Gläubigern einen Ausgleich, in dem zur 
Sicherung des Zinsendienstes für die Staats- 
schulden (damals 2 Milliarden I#l) ein eigne Or- 
ganisation geschaffen wurde, der Verwaltungsrat 
der türkischen Staatsschuld (Ottomanische Staats- 
schuldenverwaltung), der aus Vertretern der leiten- 
den Bankhäusern besteht und von den Franzosen 
und Engländern beherrscht wird. Dieser Privat- 
vereinigung überwies die Türkei gewisse Einkünfte 
(Salz-, Spiritus-, Fischereisteuer, Stempel, das 
Tabakmonopol, das einer eignen Gesellschaft über- 
tragen wurde, deren Konzession in kurzem ab- 
läuft, den Tabakzehnt, den ehemaligen ostrumeli- 
schen Tribut u. dgl. und gewisse Einnahmen aus 
den Zöllen), aus denen die Gläubiger seither 
steigende Erträge einnahmen (1909/10: 4.543 
Mill. türkische Pfund), womit sie die türkischen 
Papiere verzinsten. Diese Staatsschuldenverwal- 
tung, der bei der Teilung der Verwaltung der 
Schulden durch das Muharremdekret 1888 der 
weitaus größere Teil zugewiesen wurde und deren 
Geschäftskreis immer mehr erweitert wurde, ist 
mit ihren über 700 Agenturen und über 5000 
Beamten eines der wichtigsten Institute der Türkei 
und ein politischer Machtfaktor geworden, der eine 
finanzielle Vormundschaft für diese bedeutet. — 
1909 wurde zum erstenmal seit 1897 wieder ein 
Budgetvoranschlag aufgestellt. Das Budget für 
1910/11 sieht in Einnahmen 25 355 849 türkische 
Pfund vor; Hauptposten sind direkte Steuern 
(13 290 726), besonders Grundsteuern (2,53 
Mill.), Zehnten (6,576), Steuern auf Kamele, 
Büffeln und Schweine (1.758), Taxen für Be- 
freiung vom Militärdienst (1,256); indirekte 
Steuern (4,703), besonders Zölle (4,11), Stem- 
pel= und Registriergebühren (1,085), Monopole 
(3,257 Mill., Salz, Tabak, Schießpulver, Posten 
und Telegraphen usw.), Tribute (871 219) usw. 
Die Ausgaben sind auf 32161 522 türkische 
Pfund veranschlagt, wozu noch für 2627740 
Pfund außerordentliche Kredite (für Armee und 
öffentliche Bauten) kommen; Hauptposten sind 
Kriegsministerium (8,77 Mill.), für öffentliche 
Schuld (8,16), Finanzen (3.088), Inneres (1,27), 
Marine (1,599), Gendarmerie (1,71), Offent- 
licher Unterricht (0,922), Justiz und Kultus 
(0,744), Posten und Telegraphen (0.77) usw. 
Die gesamte Staatsschuld betrug 14. März 1910: 
120 733 365 türkische Pfund: davon standen 
unter der Ottomanischen Staatsschuldenverwaltung 
83219 791, unter der Verwaltung des türkischen 
Staats 36165 250 Pfund; der Rest ist schwe- 
bende Schuld und Vorschüsse. Eine neue Anleihe 
von 7,04 Mill. Pfund wurde 1911 ausgenommen. 
Das wichtigste Geldinstitut ist die Kaiserliche 
Ottomanbank (an 200 Mill. A7 Aktienkapital), 
eine Art Reichsbank, die allein das Recht der 
Notenausgabe hat und Generalzahlmeisterin des 
Reichs ist; sie besitzt 50 Zweigniederlassungen, 
Agenturen in Paris und London. Sie ist eng 
Türkei. 
  
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verbunden mit der Staatsschuldenverwaltung, in 
der sie allein einen eignen Vertreter hat. Andere 
bedeutende Institute sind die Anstalten der Deut- 
schen Orientbank, der Deutschen Bank, der Deut- 
schen Palästinabank, des Crédit Lyonnais, des 
Wiener Bankvereins; türkisch sind die Türkische 
Landwirtschaftsbank, die Bank von Saloniki und 
die Bank von Mytilene. — Das türkische Pfund 
(Wert 18,44 dAl) zerfällt in 100 Piaster zu 
40 Para. 
VIII. Die halbsouveränen Provinzen (Üüber 
Agypten s. dies. Art.). Samos. Die Insel 
Samos fiel 1453 mit dem byzantinischen Reich 
an die Türkei und bildete einen Bestandteil des 
Wilajets Inseln des Mittelmeers. Nachdem 
Griechenland 1830 seine Selbständigkeit erlangt 
hatte, wurde das fast ausschließlich von Griechen 
bewohnte Samos, das an der griechischen Er- 
hebung aktiven Anteil genommen hatte, durch Ver- 
mittlung der Mächte Frankreich, Großbritannien 
und Rußland durch einen Ferman vom 10. Dez. 
1832 ein autonomes, der Pforte tributpflichtiges 
Fürstentum unter der Souzeränität des Sultans 
und der Garantie der drei Mächte. Die Sou- 
veränitätsrechte des Sultans erstrecken sich auf die 
Erhebung eines jährlichen Tributs (2924 türk. 
Pfund), das Recht den Fürsten zu ernennen, und 
ihm einen türkischen Zivilbeamten beizugesellen, 
eine kleine Garnison auf der Insel zu unterhalten, 
von den Abgeordneten die Leistung eines Treueids 
zu verlangen und von der samischen Regierung ge- 
wisse Rücksichten bei der Handhabung der Fremden- 
polizei zu fordern. Die Wahl des Fürsten ist dem 
freien Ermessen des Sultans anheimgegeben, nur 
muß der Fürst der griechisch-orthodoxen Religion 
angehören. Die Regierungsgewalt ruht bei einem 
Regierungsbeirat, dessen Vorsitz der Fürst führt; 
die Mitglieder des Beirats, die mindestens 30 Jahre 
alt und des Lesens und Schreibens kundig sein 
müssen, werden vom Fürsten auf die Dauer eines 
Jahrs aus acht Kandidaten ernannt, die von den 
vier Verwaltungsdistrikten der Insel aus den No- 
tabeln in Vorschlag gebracht werden. Nicht an 
die Mitwirkung des Beirats gebunden ist der 
Fürst bei der Ernennung der Senatoren, der Prü- 
sung der Beschlüsse der Volksversammlung, bei 
der Ausübung des Begnadigungsrechts und Straf- 
milderungen, bei der Handhabung der Fremden- 
und Schiffahrtspolizei. Die Volksvertretung setzt 
sich aus dem Metropoliten und 39 Abgeordneten 
zusammen, die aus allgemeiner indirekter Wahl 
(auf zwei Jahre) mit öffentlicher Abstimmung her- 
vorgehen. Jeder erwachsene und unbescholtene 
männliche Bewohner des Fürstentums ist aktiv 
und passiv wahlberechtigt. Das Abgeordneten- 
haus ist zuständig in allen Fragen, die sich auf 
Einnahmen und Ausgaben, auf Erhebung von 
Steuern, Unterstützung des Handels, auf Grund- 
stücksverbesserung, auf die Festsetzung der Dienst- 
bezüge des Fürsten und der Beamten beziehen. 
Der Pforte schwören die Abgeordneten einen Treu-
	        
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