Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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schon damals verschafften die Rechtsgelehrten an 
derselben ihren Urteilen wirksame Kraft durch 
den Satz: Bononia docet. Um die Mitte des 
12. Jahrh. kam als neue Disziplin das kanonische 
Recht hinzu, das Gratian in seinem Decretum 
zusammengestellt und geordnet hatte und worüber 
er zuerst in Bologna Vorlesungen hielt. Zu Be- 
ginn des 13. Jahrh. wurden auch die Medizin 
und die artes liberales gelehrt. Die Theologie 
war zunächst in den Klöstern vertreten, wurde aber 
1360 von Innozenz VI. dem Universitätsplan 
eingefügt. Großen Einfluß auf das Ansehen und 
die Blüte Bolognas hatte ein von Friedrich I. zu- 
gunsten der italienischen Schulen erlassenes Pri- 
vileg, die Authentica „Habita“, das die Vor- 
aussetzung und Vorlage für ähnliche fürstliche 
Privilegien wurde. In dem Privileg nahm der 
Kaiser die zu einer Studienanstalt Reisenden, in- 
sonderheit die Rechtsbeflissenen, in seinen Schutz: 
sie sollen überall in Frieden reisen können und nicht 
wegen etwaiger Vergehen oder Schulden ihrer 
Landsleute behelligt werden. Sodann sollten sie 
im Fall der Anklage von ihren Professoren oder 
von dem Bischof gerichtet werden. 
Die Erweiterung des Wissensgebiets, die Be- 
handlung der verschiedenen Wissenszweige nach 
systematischer und dialektischer Methode, die Ver- 
leihung der allgemein gültigen Grade und der 
licentia ubique docendi, das Selbstergänzungs- 
recht der Fakultäten und die außerordentlichen 
Privilegien für Professoren und Schüler sowie 
die Vereinigung der beiden letzteren zu einer Kör- 
perschaft, universitas, bewirkten, daß nach dem 
Vorbild von Paris und Bologna viele Univer- 
sitäten gegründet wurden. Alle Hochschulen in 
Frankreich, außer Montpellier und Perpignan, 
entlehnten ihre Verfassung der Pariser Universität; 
alle diejenigen Italiens entlehnten sie Bologna. 
Auch die fünf ersten deutschen Universitäten haben 
ihre Wurzeln in Paris. — Bis zur Mitte des 
13. Jahrh. entstanden außer den zwei genannten 
noch zehn Universitäten ohne Errichtungsurkun- 
den. Nach dieser Zeit traten alle Hochschulen nur 
noch auf Grund von Stiftungsbriefen ins Leben. 
Wer hatte das Recht, solche auszustellen? Nach 
der Anschauung des Mittelalters, besonders der 
Lehre des hl. Thomas, eine höhere Autorität (su- 
perior auctoritas). Eine solche war 1) der 
Universitäten. 
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solchen Stiftungsbrief aufzuweisen, sogar die pro- 
testantischen; nur Königsberg und die im 19. und 
20. Jahrh. errichteten Universitäten und Techni- 
schen Hochschulen besitzen lediglich eine landesfürst- 
liche Errichtungsurkunde. 
III. Die Ausbildung der innern Organisation 
und Verfassung der universitas fällt in das 
3. Jahrh. Das älteste Amt an der Universität 
ist das des Kanzlers (cancellarius). Er war an 
ihr Stellvertreter des Papstes, führte die Rechts- 
geschäfte der Hochschule, leitete die Organisation 
des Unterrichts und erteilte in der ersten Hälfte 
des 13. Jahrh. nach allgemeiner Anschauung im 
Namen des Papstes die licentia docendi. Auch 
überwachte er die Mitglieder der Universität in 
Lehre und Rechtgläubigkeit und besaß in dieser 
Hinsicht ein Aufsichts= und Disziplinarrecht. Er 
hatte zu jeder Verleihung des Lizentiats nicht nur 
die Genehmigung zu erteilen, und zwar unent- 
geltlich, sondern er nahm den Kandidaten auch 
das furamentum sdelitatis ab. Dies änderte 
sich, als die Universität Paris die Teilnahme der 
Professoren und die Vertretung durch einen Pro- 
kurator bei den Promotionen erstrebte. 1213 
wurde deshalb ein Vertrag zwischen dem Kanzler 
und der universitas magistrorum et scho- 
larium geschlossen, wonach der Kanzler die Er- 
teilung der Lizenz nicht verweigern konnte, wenn 
die Mehrzahl der Professoren dafür war; doch 
konnte er sie auch ohne Zeugnis der Professoren 
jedwedem erteilen. Diese Vereinbarung wurde 
später von Honorius III. gutgeheißen, und von nun 
ab hatten auch die Professoren Einfluß bei den 
Promotionen und der Erteilung der Lizenz. Mit 
der Würde des Kanzleramts wurde durch den 
Papst regelmäßig der Bischof belehnt, in dessen 
Sprengel die Universität gegründet war, oder ein 
Würdenträger einer Dom= oder Kollegiatkirche in 
dem betreffenden Bistum. Noch heute erteilt an 
einigen katholischen Universitäten der Kanzler den 
Dozenten die missio canonica oder die venia 
legendi. — Um die Mitte des 13. Jahrh. lassen 
sich urkundlich zuerst die sog. vier Nationen in 
Paris nachweisen, in die sich sämtliche Scholaren 
und die magistri artium schieden — (das magi- 
Sterium in der artistischen Fakultät wurde näm- 
lich nicht als Abschluß der Universitätsstudien, 
sondern nur als Vorbereilungsstufe für das magi- 
  
  
Papst, der als Vater und Lehrer der ganzen sterium in den drei andern, „höheren“ Fakul- 
Christenheit apostolica auctoritate Pflanz= täten angesehen). Die Nationeneinteilung (Fran- 
stätten der wissenschaftlichen Bildung errichtete; zosen, Picarden, Normannen, Engländer — zu 
2) der römische Kaiser deutscher Nation als diesen gehörten auch die Deutschen, bis seit 1430 
Schirmherr der christlichen Völker; er gewährte die vierte Nation nach ihnen benannt wurde —) 
das Generalstudium de imperialis potestatis ist in Paris keine Einrichtung, die sich von selber 
plenitudine; 3) der Landesfürst; sollte indessen ergab, sondern sie ist ein künstliches Produkt zum 
ein von einem solchen begründetes Generalstudium Zweck der besseren Verwaltung und Disziplin. 
universale Bedeutung und die allgemeine Anerken= Die französische Nation hatte als die einheimische 
nung der an ihm erworbenen Grade genießen, so drei. die andern nur eine Stimme im Rat der 
mußte subsidiär durch besondern Stiftungsbrief Nationen. Nach und nach wurden infolge der 
die päpstliche bzw. kaiserliche Autorität hinzu- überwiegenden Mehrheit der artistischen Scholaren 
treten. Sonach haben alle Universitäten einen die vier Nationen mit der artistischen Fakultät 
  
 
	        
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