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schon damals verschafften die Rechtsgelehrten an
derselben ihren Urteilen wirksame Kraft durch
den Satz: Bononia docet. Um die Mitte des
12. Jahrh. kam als neue Disziplin das kanonische
Recht hinzu, das Gratian in seinem Decretum
zusammengestellt und geordnet hatte und worüber
er zuerst in Bologna Vorlesungen hielt. Zu Be-
ginn des 13. Jahrh. wurden auch die Medizin
und die artes liberales gelehrt. Die Theologie
war zunächst in den Klöstern vertreten, wurde aber
1360 von Innozenz VI. dem Universitätsplan
eingefügt. Großen Einfluß auf das Ansehen und
die Blüte Bolognas hatte ein von Friedrich I. zu-
gunsten der italienischen Schulen erlassenes Pri-
vileg, die Authentica „Habita“, das die Vor-
aussetzung und Vorlage für ähnliche fürstliche
Privilegien wurde. In dem Privileg nahm der
Kaiser die zu einer Studienanstalt Reisenden, in-
sonderheit die Rechtsbeflissenen, in seinen Schutz:
sie sollen überall in Frieden reisen können und nicht
wegen etwaiger Vergehen oder Schulden ihrer
Landsleute behelligt werden. Sodann sollten sie
im Fall der Anklage von ihren Professoren oder
von dem Bischof gerichtet werden.
Die Erweiterung des Wissensgebiets, die Be-
handlung der verschiedenen Wissenszweige nach
systematischer und dialektischer Methode, die Ver-
leihung der allgemein gültigen Grade und der
licentia ubique docendi, das Selbstergänzungs-
recht der Fakultäten und die außerordentlichen
Privilegien für Professoren und Schüler sowie
die Vereinigung der beiden letzteren zu einer Kör-
perschaft, universitas, bewirkten, daß nach dem
Vorbild von Paris und Bologna viele Univer-
sitäten gegründet wurden. Alle Hochschulen in
Frankreich, außer Montpellier und Perpignan,
entlehnten ihre Verfassung der Pariser Universität;
alle diejenigen Italiens entlehnten sie Bologna.
Auch die fünf ersten deutschen Universitäten haben
ihre Wurzeln in Paris. — Bis zur Mitte des
13. Jahrh. entstanden außer den zwei genannten
noch zehn Universitäten ohne Errichtungsurkun-
den. Nach dieser Zeit traten alle Hochschulen nur
noch auf Grund von Stiftungsbriefen ins Leben.
Wer hatte das Recht, solche auszustellen? Nach
der Anschauung des Mittelalters, besonders der
Lehre des hl. Thomas, eine höhere Autorität (su-
perior auctoritas). Eine solche war 1) der
Universitäten.
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solchen Stiftungsbrief aufzuweisen, sogar die pro-
testantischen; nur Königsberg und die im 19. und
20. Jahrh. errichteten Universitäten und Techni-
schen Hochschulen besitzen lediglich eine landesfürst-
liche Errichtungsurkunde.
III. Die Ausbildung der innern Organisation
und Verfassung der universitas fällt in das
3. Jahrh. Das älteste Amt an der Universität
ist das des Kanzlers (cancellarius). Er war an
ihr Stellvertreter des Papstes, führte die Rechts-
geschäfte der Hochschule, leitete die Organisation
des Unterrichts und erteilte in der ersten Hälfte
des 13. Jahrh. nach allgemeiner Anschauung im
Namen des Papstes die licentia docendi. Auch
überwachte er die Mitglieder der Universität in
Lehre und Rechtgläubigkeit und besaß in dieser
Hinsicht ein Aufsichts= und Disziplinarrecht. Er
hatte zu jeder Verleihung des Lizentiats nicht nur
die Genehmigung zu erteilen, und zwar unent-
geltlich, sondern er nahm den Kandidaten auch
das furamentum sdelitatis ab. Dies änderte
sich, als die Universität Paris die Teilnahme der
Professoren und die Vertretung durch einen Pro-
kurator bei den Promotionen erstrebte. 1213
wurde deshalb ein Vertrag zwischen dem Kanzler
und der universitas magistrorum et scho-
larium geschlossen, wonach der Kanzler die Er-
teilung der Lizenz nicht verweigern konnte, wenn
die Mehrzahl der Professoren dafür war; doch
konnte er sie auch ohne Zeugnis der Professoren
jedwedem erteilen. Diese Vereinbarung wurde
später von Honorius III. gutgeheißen, und von nun
ab hatten auch die Professoren Einfluß bei den
Promotionen und der Erteilung der Lizenz. Mit
der Würde des Kanzleramts wurde durch den
Papst regelmäßig der Bischof belehnt, in dessen
Sprengel die Universität gegründet war, oder ein
Würdenträger einer Dom= oder Kollegiatkirche in
dem betreffenden Bistum. Noch heute erteilt an
einigen katholischen Universitäten der Kanzler den
Dozenten die missio canonica oder die venia
legendi. — Um die Mitte des 13. Jahrh. lassen
sich urkundlich zuerst die sog. vier Nationen in
Paris nachweisen, in die sich sämtliche Scholaren
und die magistri artium schieden — (das magi-
Sterium in der artistischen Fakultät wurde näm-
lich nicht als Abschluß der Universitätsstudien,
sondern nur als Vorbereilungsstufe für das magi-
Papst, der als Vater und Lehrer der ganzen sterium in den drei andern, „höheren“ Fakul-
Christenheit apostolica auctoritate Pflanz= täten angesehen). Die Nationeneinteilung (Fran-
stätten der wissenschaftlichen Bildung errichtete; zosen, Picarden, Normannen, Engländer — zu
2) der römische Kaiser deutscher Nation als diesen gehörten auch die Deutschen, bis seit 1430
Schirmherr der christlichen Völker; er gewährte die vierte Nation nach ihnen benannt wurde —)
das Generalstudium de imperialis potestatis ist in Paris keine Einrichtung, die sich von selber
plenitudine; 3) der Landesfürst; sollte indessen ergab, sondern sie ist ein künstliches Produkt zum
ein von einem solchen begründetes Generalstudium Zweck der besseren Verwaltung und Disziplin.
universale Bedeutung und die allgemeine Anerken= Die französische Nation hatte als die einheimische
nung der an ihm erworbenen Grade genießen, so drei. die andern nur eine Stimme im Rat der
mußte subsidiär durch besondern Stiftungsbrief Nationen. Nach und nach wurden infolge der
die päpstliche bzw. kaiserliche Autorität hinzu- überwiegenden Mehrheit der artistischen Scholaren
treten. Sonach haben alle Universitäten einen die vier Nationen mit der artistischen Fakultät