Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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weltbürgerlichen Charakter, sondern waren Landes- 
universitäten, die das Territorium mit geistlichen 
und weltlichen Beamten versorgen sollten; oft 
wurde der Besuch auswärtiger Universitäten gar 
untersagt. Wegen des Mangels einer lehramt- 
lichen Autorität herrschte eine hitzige und unfrucht- 
bare Streittheologie, welche die humanistischen 
Studien fast ganz verdrängte. Nur auf den Sub- 
jektivismus der eignen Meinung gestützt, wandte 
man die Schlußformel des Entwurfs zur Grün- 
dung der Marburger Universität gegeneinander 
an: „Wer etwas gegen das Wort Gottes lehrt, 
der sei verflucht.“ 
Um die Folgen der Kirchenrevolution auf dem 
Gebiet der höheren Schulen in den katholischen 
Ländern zu bekämpfen, wurden auch von katho- 
lischer Seite eine ganze Reihe von Universitäten, in 
Deutschland im ganzen zehn, ins Leben gerufen, 
die bestehenden aber versuchte man aus dem Ver- 
fall zu heben. Sowohl Karl V. als Ferdinand I. 
waren für die Erneuerung der alten Universitäten 
tätig; letzterer ließ auch auf dem Konzil zu Trient 
die Wiederherstellung der Universitäten in katho- 
lischem Sinn beantragen. Am meisten war an 
dem Wiederaufbau der Jesuitenorden beteiligt, 
dessen Mitglieder in großer Zahl in die Professoren- 
kollegien der vorhandenen Universitäten eintraten 
und dem allmählich die nach den Beschlüssen des 
Konzils von Trient gegründeten mittleren und 
höchsten Bildungsanstalten übergeben wurden. In 
diesem Orden, dessen Erfolge auf dem Gebiet des 
gesamten Unterrichtswesens auch von seinen Geg- 
nern offen anerkannt sind, wurde das Studium 
auf religiöser Grundlage betrieben und in der 
moralisch arg zerrütteten Zeit des 17. Jahrh. 
strenge auf Zucht und Disziplin gehalten. Nach 
seinen Grundsätzen durfte „das Studium der 
Sprachen nicht von den Ubungen der Religion, 
die Beredsamkeit nicht von der Weisheit, die 
philosophischen Wissenschaften nicht von der Sitten- 
lehre losgetrennt werden“. Ausführlich sind diese 
Grundsätze dargelegt in der Ratio studiorum 
Societatis lesu (herausgegeben von P. Pachtler 
und P. Duhr in den Monumenta Germaniae 
Scholasticae Paedagogica II, V, IX, XVI). 
Im Jahr 1547 traten zuerst drei Professoren 
aus dem Jesuitenorden, darunter der eigentliche 
Begründer des gelehrten Unterrichtswesens, der 
Niederländer Petrus Canisius, in die Universität 
Ingolstadt ein; 1571 wurde ihnen außer der 
theologischen Fakultät die philosophische übergeben. 
Was Wittenberg für das protestantische Deutsch- 
land war, wurde Ingolstadt für das katholische. 
1554 wurde zu Dillingen das 1549 vom Kardi- 
nalbischof von Augsburg, Otto Truchseß von 
Waldburg, gegründete „Collegium zum hl. Hie- 
ronymus“ als Universität eröffnet; die Jesuiten 
hoben auch sie zu großer Bedeutung. Selbst welt- 
lichen Kreisen blieben die günstigen Erfolge der 
Ordensleute nicht verborgen. Die Auflösung und 
der Niedergang mancher alten Universitäten war 
Staatslexikon. V. 8. u. 4. Aufl. 
Universitäten. 
  
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so erheblich, daß alle Reformversuche der Fürsten 
und Regierungen erfolglos blieben, so in Prag 
und Wien. Wien, das unter Maximilian I. die 
allergrößte Frequenz hatte, wies 1583 kaum noch 
30 Studenten auf. Infolgedessen übertrug Ferdi- 
nand I. 1558 den Jesuiten in Wien zwei Lehr- 
stühle in der Theologie, wie er vorher schon die 
„Clementinische Akademie“ in Prag ihrer Lei- 
tung unterstellt hatte. In Freiburg, Köln und 
Trier übernahmen sie den theologischen und philo- 
sophischen Unterricht. Eine neue Universität wurde 
1582 in Würzburg eröffnet, welche Fürstbischof 
Julius Echter von Mespelbrunn mit vier Kollegien 
und einer Burse dotierte. Den protestantischen 
Symmnasia academica oder illustria, an denen, 
wie z. B. in Herborn, auch philosophisch-theolo- 
gische Kurse abgehalten wurden, traten vielerorts 
die Jesuitengymnasien gegenüber, von denen meh- 
rere, wenn auch fürs erste nur mit theologischer 
und philosophischer Fakultät, als Universität ein- 
gerichtet wurden, so Münster (1588), Paderborn 
(1615), Osnabrück (1630), Bamberg (1647). 
Von den Benediktinern wurde Salzburg gegrün- 
det, das 1623 das päpstliche Privileg als hohe 
Schule erhielt. Das zu Molsheim im Elsaß er- 
richtete Jesuitengymnasium erhielt durch die Ver- 
mittlung des Bischofs Leopold I. von Straßburg 
von Papst Paul V. die Approbation als Univer- 
sität. In den habsburgischen Landen wurden die 
Jesuitenschulen zu Olmütz (1573), Graz (1586), 
Linz (1636), Innsbruck (1672), Breslau (1702) 
zu Universitäten erweitert. Allein weder alle katho- 
lischen noch alle protestantischen Hochschulen aus 
der Zeit der Kirchenspaltung und der sich an- 
schließenden Religionskriege hatten dauernden Be- 
stand. Von jenen existieren noch Würzburg, Graz 
und Innsbruck, von diesen Marburg, Königsberg, 
Jena, Gießen und Kiel. 
3. Entwicklung in der Neuzeit. Die 
Einrichtung der Universitäten blieb trotz ihrer tiefen 
Erniedrigung während des 16. und 17. Jahrh. 
bestehen. In der theologischen Fakultät wurden 
durch die Kirchentrennung einschneidende Ver- 
änderungen geschaffen. Durch den Einfluß des 
Konzils von Trient und die rastlose Betätigung 
der Jesuiten in allen Zweigen der Theologie ward 
nicht nur die Kontroverstheologie hervorgerufen, 
sondern auch die Scholastik wiederbelebt, die Exe- 
gese und die Moraltheologie in frischen Auf- 
schwung gebrocht. In der juristischen Fakultät 
gestaltete die Durchführung der Rezeption des 
römischen Rechts in Verwaltung und Justiz auch 
die Studien um; hierbei wurde der lateinischen 
Sprache vor der deutschen der Vorzug eingeräumt. 
Italienische und französische Juristen wirkten als 
Professoren in Deutschland für die Herrschaft des 
römischen Rechts. Dadurch wurde in Lehre und 
Praxis dem Absolutismus der Fürsten den Uni- 
versitäten gegenüber mächtig Vorschub geleistet. 
Dem Widerspruch Luthers entgegen behielt auch 
das kanonische Recht auf den meisten Hochschulen 
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