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tete. Da die Einzelwissenschaften schließlich alle
in die Philosophie einmünden, hat die Kantsche
Philosophie — und zwar ohne Rücksicht auf das
positive Christentum — mehr ober weniger auch
die Einzelwissenschaften bis heute in diesem Sinn
beeinflußt. — Eine vernichtende Katastrophe brach
über die deutschen Universitäten durch die franzö-
sische Revolution, den Rechtsbruch der Sakulari-
sation und die Napoleonischen Kriege herein. Die
Jahre von 1794 bis 1815 sind eine Zeit der
schwersten Bedrängnis und Zerstörung vieler all-
ehrwürdigen Bildungsstätten. Um die alte treu
kirchliche Universität Köln lahmzulegen, war von
dem Kurfürsten Max Friedrich den Klöstern auf-
getragen worden, für die Fundation einer Univer-
sität in Bonn aufzukommen. Allein der Papst
verweigerte wegen der unkirchlichen Gesinnung
vieler Professoren die Anerkennung; Kaiser
Franz II. erteilte sie. Die glaubensfeindliche und
revolutionäre Richtung mancher Professoren, wie
Hedderich und Eulogius Schneider, nahm ihr
bald die Lebensfähigkeit; als 1794 die Franzosen
in Bonn einzogen, hörte sie ganz auf. In dem-
selben Jahr aber fand auch die früher so hoch-
angesehene Universität Köln ihr Ende. 1798 folg-
ten Mainz und Trier; 1800 die Hochschule von
Ingolstadt, welche ein Jahr zuvor durch das
Drängen ihrer Gegner nach Landshut verlegt
worden war. Der Sakularisation fielen 1803
Bamberg und Dillingen zum Opfer; 1807 ging
Altdorf. 1809 Helmstedt und Rinteln ein; 1810
wurde Frankfurt a. O. mit der katholischen Uni-
versität Breslau vereinigt. Erfurt wurde 1816,
Paderborn und Duisburg von Friedrich Wil-
helm III. 1818 aufgehoben, Wittenberg 1817
mit Halle verbunden.
4. Die erste sog. „paritätische“ Univer-
sität war Erfurt im kurfürstlich mainzischen Ge-
biet; sie hatte nämlich eine katholische und eine
protestantische theologische Fakultät. Nach ihrem
Muster wurden als weitere paritätische Hochschulen
eingerichtet Breslau (1811) und die 1818 neu
begründete Friedrich-Wilhelms-AUniversität in
Bonn; in Württemberg 1817 Tübingen. In
Deutschland gibt es heute 17 evangelisch-theolo-
gische Fakultäten, davon in Preußen 9; 8 katho-
lisch-theologische Fakultäten, davon in Preußen 3;
außerdem bestehen noch die katholischen Lyzeen zu
Augsburg, Bamberg, Braunsberg, Dillingen,
Eichstätt, Freising, Passau, Regensburg; Priester-
seminarien mit theologischer Lehranstalt zu Fulda,
Mainz, Metz, Paderborn, Pelplin, Posen und
Trier. An den paritätischen Universitäten Preu-
ßens, Breslau und Bonn, welche eine reiche Aus-
steuer aus den säkularisierten Kirchen= und Kloster-
gütern erhalten hatten, ließ Jahrzehnte hindurch
die Besetzung mit katholischen Professoren, wie sie
durch Kabinettsordern zugestanden war, sowie die
Beförderung der wenigen vorhandenen zu wün-
schen übrig; die Berufung katholischer Professoren
zur Ausfüllung entstandener Lücken stieß trotz der
Universitäten.
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dringlichen Beschwerden auf die größten Schwie-
rigkeiten. Bittern Verdruß erregte es ferner in
Münster, daß nach Verlegung der juristischen und
medizinischen Fakultät der stiftungsgemäß katho-
lische Charakter der durch Kabinetltsorder vom
Jahr 1832 bestätigten Akademie durch Berufung
nichtkatholischer Professoren verletzt wurde. Das
aktenmäßig zusammengestellte Material hierüber
ist aus der unten angegebenen Literatur ersichtlich.
5. Fortschritte im 19. Jahrh. Nascher
und bedeutender als jede andere deutsche Universi-
tät hat sich aus geringen Anfängen die am 3. Aug.
1810 in der Hauptstadt des preußischen Staats
gegründete Hochschule entwickelt und zu ihrer
jetzigen Stellung als Weltuniversität empor-
geschwungen. Errichtet in einer Zeit der schwer-
sten Not und der drückendsten Finanzlage mit der
Motivierung des Königs: „Der Staat muß durch
geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen ver-
loren hat“, sollte Berlin einen Ersatz bilden für
Halle, das nunmehr in dem an Frankreich ab-
getretenen Gebiet lag. Von vornherein wurden
die beiden Akademien, die bestehenden wissenschaft-
lichen Institute, Museen und Bibliotheken damit
zu einem organischen Ganzen verbunden. Um die
neue Universität „gegen die Stürme der Zeit und
selbst in dem Vertrauen der Nation durch Eigen-
tum mehr zu sichern“, wies der König ihr in der
Urkunde vom 16. Aug. 1809 ein Grundeigentum
bis zum jährlichen Reinertrag von 150 000
Taler in der Art an, daß dazu benachbarte
Domänengüter verliehen, dagegen aber wieder
katholisch-geistliche Güter in Schlesien und West-
preußen von gleichem Betrag zu den Domänen ge-
zogen und deshalb säkularisiert werden sollten, so-
bald die Zeitumstände solches gestatteten. Diese Be-
stimmungen fußten auf den Vorschlägen, welche
Wilhelm v. Humboldt in seinem Antrag auf Errich-
tung der Universität Berlin am 24. Juli desselben
Jahrs dem König gemacht hatte. Entgegen den
Forderungen Fichtes, der 1807 seinen „Dedu-
zierten Plan einer zu Berlin zu errichtenden Lehr-
anstalt“ eingereicht hatte, hatte er sich an die von
Schleiermacher in seinen „Gelegentlichen Ge-
danken über Universitäten in deutschem Sinn“
ausgesprochenen Ideen angeschlossen. Die Uni-
versitäten wurden von nun ab national, doch
wurde die allgemeine Freizügigkeit der Professoren
und der Studenten anerkannt. Seit dem Jahr
1905 ist zwischen Deutschland und Amerika ein
Professorenaustausch eingerichtet. Er be-
steht a) zwischen den deutschen Universitäten und
der Harvarduniversität in Cambridge, Mass.,
b) zwischen den deutschen und den amerikanischen
Universitäten, außer der Harvarduniversität. Die
nach diesem letzten Abkommen nach Amerika ent-
sandten deutschen Austauschprofessoren werden an
die Columbiauniversität in Neuyork abgeordnet.
Die nach Berlin entsandten Professoren der ame-
rikanischen Universitäten, mit Ausnahme der Har-
vard-Professoren, werden von den Trustees der
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