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schrift des Professors Raidt dargelegten Grundsätze
als eine geeignete Grundlage für eine Handelshoch-
schule anerkannt hatte. Im Sommer 1901 wurde
die Handelshochschule in Köln gleich nach dem Muster
einer Universität errichtet und ausgebaut (Eckert,
Die städtische Handelshochschule in Köln (1911));
im Okt. 1906 von den Altesten der Kaufmann-
schaft eine solche in Berlin (Jastrow, Die Handels-
hochschule Berlin. Bericht über die erste Rektorats-
periode 1906/09 11909|). Die Handelshochschule
in Mannheim wurde 1908 errichtet, ihr Bestand
ist durch die am 7. März 1910 gemachte Heinrich
Lanz-Stiftung sichergestellt; im Herbst 1908
wurde an dieser Anstalt der erste weibliche Hoch-
schuldozent ernannt. Die jüngste Handelshochschule
wurde in München im Okt. 1910 von der Stadt
München, der Handelskammer für Oberbayern
und dem Münchner Handelsverein gegründet (S.
Emil Döll, Handelsstudent und studentisches We-
sen (21900|).— Das Verlangen nach allgemeiner
Bildung hat in manchen größeren Unidversitäts-
städten sog. Volkshochschulkurse für Angehörige
aller Stände ins Leben treten lassen, wodurch einer-
seits die Abschließung der Wissenschaft gegen die
Aufgaben des praktischen Lebens gemildert, ander-
seils wissenschaftliche Bildung auch weiteren Kreisen
der Bevölkerung zugänglich gemacht werden soll (E.
Zöller, Die Universitäten und die Technischen Hoch-
schulen (18861; Alois Riedler, Unsere Hochschulen
und die Anforderungen des 20. Jahrh. (18981; .
Bestimmungen für die Technischen Hochschulen in
Deutschland [1904]; Paul Friedr. Damm, Die
Technischen Hochschulen in Preußen. Ihre Ent-
wicklung und gegenwärtige Verfassung (1909)).6
Die deutschen Universitäten haben im 19. Jahrh.
eine außerordentliche, vielseitige Bedeutung er-
langt, namentlich die großen. Sämtliche Wissens-
disziplinen sind auf ein höheres Niveau erhoben
infolge der kritischen Behandlung der Quellen in
den Geisteswissenschaften und der zahlreichen Er-
findungen und Entdeckungen in den Erfahrungs-
wissenschaften. Solange es dem deutschen Volk an
einer verfassungsmäßigen Vertretung in Parlamen-
ten fehlte — also bis zur Mitte des 19. Jahrh. —,
hatten die Universitäten geradezu die geistige Füh-
rung der Nation. Sie haben sich aber auch den
Ruf internationaler Bildungsstätten erworben, und
die Hochschulen in Osterreich, in der Schweiz, in
Schweden-Norwegen und in den Niederlanden,
in den Vereinigten Staaten und die neu gegrün-
deten Provinzialuniversitäten in Frankreich sind
ihnen im ganzen nachgebildet. Diesen Lichtseiten
fehlen aber auch nicht die Schattenseiten. Durch
Universitäten.
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Lebenshaltung, die aus der Unzulänglichkeit des
Einkommens sich ergibt, nährt in vielen Kreisen
eine Unzufriedenheit, die für Staat und Gesell-
schaft die größten Gefahren birgt (E. Bernheim,
Der Universitätsunterricht und die Erfordernisse
der Gegenwart 118981; ders., Die gefährdete
Stellung unserer deutschen Universitäten (1899)).
6. Universitätsbesuch. Die Gesamtzahl
der Studierenden an den deutschen Universitäten
betrug im Wintersemester 1910/11:•52 999. Da-
von entfielen auf Berlin 7902., Bonn 3936,
Breslau 2455, Erlangen 1011, Freiburg 2246,
Gießen 1102, Göttingen 2233, Greifswald 948,
Halle 2661, Heidelberg 2008, Jena 1637, Kiel
1439, Königsberg 1387, Leipzig 4900, Marburg
1981, München 6905, Münster 2047, Rostock
816, Straßburg 2067, Tübingen 1883, Würz-
burg 1435. An den drei Großstadtuniversitäten
Berlin, München, Leipzig waren rund 20 000
Studierende. — In der katholisch-theologischen
Fakultät waren 1760 immatrikuliert, in der evan-
gelisch-theologischen 3406, in der juristischen
10 298, in der medizinischen 10 885, in der phi-
losophischen 26 468; hiervon widmeten sich der
Philosophie, Philologie und Geschichte 13 637,
der Mathematik und Naturwissenschaft 6614, der
Landwirtschaft 1244. Den gewaltigen Aufschwung
des Universitätsbesuchs zeigt das Beispiel Berlins.
Hier gab es im Gründungssemester 1810/11:
256 immatrikulierte Studierende zehn Jahre
später 994, 1870/71: 2155, 1900/01: 6321
und im Wintersemester 1910/11: 7902.
Die Gesamtzahl der österreichischen Hochschulen
war im Winter 1910/11: 28662; in der theo-
logischen Fakultät 1500, in der rechts- und staats-
wissenschaftlichen 18.050, in der medizinischen
5319, in der philosophischen 8793. Die größte
Besuchsziffer weist Wien auf, nämlich 9736. Es
folgen Lemberg mit 4824, die böhmische Univer-
sität Prag mit 4432, Krakau mit 3308, Graz
mit 2063, die deutsche Universität Prag mit 1844,
JInnsbruck mit 1288 und Czernowitz mit 1167.
Die Zahl der auf deutschen Universitäten vor-
übergehend zur Ergänzung ihrer heimischen Stu-
dien oder während einer ganzen akademischen
Studienfrist besuchenden Angehörigen fremder
Nationen betrug im Jahr 1860/61: 753, 1880:
1150, 1910/11: 4672. Besonders sind es Stu-
dierende aus den osteuropäischen Staaten und aus
Japan, welche deulsche Hochschulen aussuchen. Im
Winter 1910/11 waren es 1998 Russen, 760
aus Osterreich-Ungarn, 853 Schweizer, 159 Bul-
garen, 141 Engländer, 137 Rumänen, 45 Fran-
den großen Zustrom junger Leute zu dem akademi= zosen, 203 Japaner. An den drei Großstadtuni-
schen Studium ist mit der Zeit eine chronische versitäten Berlin, Leipzig, München studierten
Überproduktion in den gebildeten Ständen, zu- 2777 Ausländer, im Verhällnis zur Gesamtzahl
meist im juristischen und medizinischen Beruf, ein- 636%. Den Großstädten am nächsten kommt
getreten, die zu einem wirklichen „Gelehrten= Halle mit 285; Heidelberg hat 186, Kiel nur 17
Proletariat“ geführt hat. Die Uberspannung der ausländische Studierende.
gesellschaftlichen Pflichten in den Beamtenkakegoo Inm letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts
rien und die Unmöglichkeit einer standesgemäßen kamen auf 100 000 Einwohner Studierende in