Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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lichen Vorlesungen vorbereitet wurden, anderseits 
der „Nationalismus“ und „Pennalismus“, d. h. 
die Ausbeutung und Mißhandlung der „Pen- 
näler“ (= jungen Studenten), barbarische Aus- 
wüchse zeigten, so wurden die Landsmannschaften 
von den akademischen Behörden oft verboten. Das 
landsmannschastliche Prinzip wurde nicht aufrecht 
erhalten in den Studentenorden, die im 18. Jahrh. 
entstanden. Sie verbreiteten sich über viele Hoch- 
schulen, hatten untereinander Kartellverhältnis, 
und ihre Mitglieder gehörten meist zu den Lands- 
mannschaften. Die hauptsächlichsten sind der Ami- 
zisten= und der nicht rein studentische Harmo- 
nistenorden; da jener durch eine Abzweigung der 
Mosellanerlandsmannschaft entstanden war, hieß 
er auch Mosellanerorden. Den Mittelpunkt des 
Pennalismus und des deutschen Studentenlebens 
im 18. Jahrh. bildete Jena. Die Gründer der 
Studentenorden waren Leute, die dem Freimaurer= 
orden angehörten, dem sie den Namen, den Eid 
und geheime Abzeichen und Zeremonien entlehnten. 
Im Fall einer behördlichen Untersuchung waren 
die Mitglieder verpflichtet, einen Meineid zu 
leisten, „zu schwören, was man ihnen zumutet“. 
Im 19. Jahrh. wurden die Orden teils von den 
Behörden aufgelöst, teils lösten sie sich freiwillig 
auf. — Aus den Landsmannschaften gingen die 
sog. Korps hervor; doch blieben noch viele Lands- 
mannschaften bestehen. Die Korps sind heute an 
den meisten Universitäten durch mehrere Korpora- 
tionen vertreten. Über sie urteilt Paulsen in dem 
Werk „Die deutschen Universitäten“ (1898): 
„Charakterisiert ist diese Gruppe, die sich durchweg 
aus den wohlhabenden und vornehmen Kreisen 
rekrutiert, durch Wertlegen auf äußeres Auftreten 
und Aufwand und dementsprechend durch starke 
Neigung zu aristokratischer Separation aus der 
Allgemeinheit.“ Neben den Korps taten sich in 
den Freiheitskriegen die deutschen Burschenschaften 
auf, gegründet 12. Juni 1815, welche außer der 
Pflege der Freundschaft und Geselligkeit auch po- 
litische Ziele verfolgten. Am 18. Okt. 1818 traten 
von 14 protestantischen Universitäten die Burschen- 
schaften zu einem gemeinsamen Verband, der „All- 
gemeinen deutschen Burschenschaft“, zusammen. 
Ihr Ziel war, alle deutschen Studenten in der 
einen Burschenschaft zu einigen. Dieser Versuch 
mißlang; die Burschenschaft blieb ein Verband 
neben andern bereits bestehenden und den noch 
werdenden Verbänden. Die politischen Bestre- 
bungen derselben machten sie den Regierungen 
verdächtig, und Männer wie Kotzebue forderten 
ihre Überwachung. Da brachte die Ermordung 
des letzteren durch Karl Sand (19. März 1819) 
die Auflösung der Burschenschaft und die Kon- 
nolle der Universiläten durch besondere Regierungs- 
bevollmächtigte (Zentral--Untersuchungskommission 
in Mainz). 1830 trat die Burschenschaft, die ins- 
geheim fortbestanden hatte, wieder öffentlich auf. 
Inzwischen hatte sie sich in die „Germanen“, die 
eine praktisch-politische, entschieden revolutionäre 
Universitäten. 
  
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Richtung verfolgten, und die „Arminen“, welche 
mehr auf die Gesinnung der Mitglieder wirkten 
und als deutschtümlich-pietistisch verspottet wurden, 
gespalten. Auf dem Frankfurter Burschentag 1831 
wurde beschlossen, die Burschenschaft solle eine Re- 
volution zwar nicht erregen, wohl aber an einer 
im Einklang mit den burschenschaftlichen Zwecken 
ausbrechenden teilnehmen; im folgenden Jahr hieß 
es in Stuttgart: „Die allgemeine Burschenschaft 
soll ihren Zweck, Einheit und Freiheit Deutsch- 
lands, auf dem Weg der Revolution erstreben.“ — 
Korps und Burschenschaften sind mit einigen an- 
dern studentischen Vereinigungen die Hauptvertreter 
des auf den deutschen Hochschulen herrschenden 
Duellunwesens. Obwohl seit 1570 von Behörden 
und Fürsten Mandate und Erlasse gegen dasselbe 
gerichtet worden sind, so ist es nicht gelungen, den 
der Religion, der Vernunft und dem Recht wider- 
streitenden und hohnsprechenden Mißbrauch auf- 
zuheben (vogl. A. Wiesinger, Das Duell vor dem 
Richterstuhl der Religion usw. 1895); v. Below, 
Das Duell und der germanische Ehrbegriff, und: 
Das Duell in Deutschland, Geschichte und Gegen- 
wart [1896|). Doch ist nicht zu verkennen, daß 
der Wahn, nur derjenige sei ein ebenbürtiger, 
gleichberechtigter deutscher Student, der Ehren- 
händel mit der blanken Waffe austrage, nicht 
mehr die in allen akademischen Kreisen maßgebende 
ist; an mehreren Hochschulen ist der Versuch ge- 
macht worden, allgemeine Ehrengerichte für Stu- 
dierende zu schaffen. In Leipzig entstand auf An- 
regung der Deutschen Antiduellliga 1908 ein 
Verein zum Schutz der Ehre an der Universität 
Leipzig, im Winter 1909 wurde in Göttingen 
der erste allgemein-studentische Ehrenrat als „neu- 
trales Gebiet für Anhänger und Gegner des 
Duells“ ins Leben gerufen (Karl Binding, Der 
Zweikampf und das Gesetz (1905); Hans Fehr, 
Der Zweikampf (19081; F. Kattenbusch, Ehren u. 
Ehre [19090). Seit 1850 bestehen an fast allen 
deutschen, deutsch-österreichischen und schweizerischen 
Universitäten auch katholische Studentenkorpora- 
tionen, die in zwei Hauptgruppen, die nicht farben- 
tragenden „Vereine“ und die farbentragenden 
„Verbindungen“, zerfallen und wie die obenge- 
nannten Korporationen meist nach deutschen 
Stämmen benannt werden. In den letzten Jahr- 
zehnten haben sie rasch zugenommen und zählen 
zusammen gegen 16 000 aktive Mitglieder und 
„alte Herren“. In naher Beziehung stehen zu 
ihnen der wissenschaftliche katholische Studenten- 
verein „Unitas“, der Verband der „süddeutschen 
Vereine“, die Kartellvereinigungen der katholischen 
deutschen Korporationen und der „Schweizerische 
Studentenverein“. Protestantische Verbände sind 
der „Wingolf“ und der „Schwarzburgbund“ mit 
17 Verbindungen; jüdische der „Kartellkonvent 
der Tendenzverbindungen deutscher Studenten jü- 
dischen Glaubens“ und der „Bund iüdischer Kor- 
porationen“ (S. K. C.-Jahrbuch 1906 und 1908). 
In neuerer Zeit sind an vielen Hochschulen aka- 
 
	        
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