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erst nach heftigem Widerstand der Universilät ein
Laie in die medizinische Fakultät als Professor
aufgenommen werden. Eine große Fürsorge zeigte
die Kirche für die Universitäten auch dadurch, daß
sie die Inhaber von Pfründen von der Residenz-
pflicht entband, d. h. die an einer Hochschule stu-
dierenden Geistlichen davon dispensierte, sich am
Ort ihrer Pfründen aufzuhalten, ohne daß ihnen
ihr Einkommen daraus gekürzt wurde.
Wie sehr die Universitäten zum Organismus
der Kirche gehörten, beweist anderseits auch das
Ansehen und die Stellung derselben bei kirchlichen
Anlässen. Viele Päpste zeigten den Universitäten
ihre Erhebung auf den Apostolischen Stuhl eigens
an (z. B. Gregor XII., Nikolaus V.). Zur Ent-
scheidung wichtiger kirchlicher Fragen, so in dem
abendländischen Schisma oder bei Konzilien,
wurden die älteren Universitäten als Gesamtheiten,
nicht bloß die theologische Fakultät, eingeladen
oder Gutachten von ihnen eingefordert. Wien
hatte außer dem allen Universitäten zustehenden
Recht der Zensur noch das ius inquisitionis
in haereticam pravitatem nec non excom-
municandi et absolvendi in quibusdam casi-
bus. Das Zensurrecht wurde gewissenhaft von
der Universität Heidelberg geübt: am 18. Juli
1394 sprach sie Johannes Malkaw aus Preußen
von der Anklage auf Häresie frei. Hieronymus
von Prag, Hussens Freund, der 1406 als
magister artium ausgenommen war, wurde
wegen ketzerischen Auftretens sofort suspendiert.
Sechs Jahre später wurden die Lehren Wickifs
verboten. Zum Konzil von Konstanz entsandte
Heidelberg sieben, Köln auf besondere Einladung
Johanns XXIII. vier Professoren, die dort drei
Jahre verweilten; auch auf dem Konzil zu Basel
waren diese Universitäten vertreten.
2. Auch Fürsten und Gemeinden erkannten früh,
welch günstigen Einfluß die Universitäten auf den
geistigen Zustand des Volks auszuüben imstande
seien; sie haben sich deshalb um die Erlangung
eines päpstlichen oder kaiserlichen Stiftungsbriefs
energisch beworben und den Universitäten bei der
Gründung Gunsterweise zu teil werden lassen, in-
dem sie den Angehörigen der hohen Schulen Frei-
heit von Steuern, Zöllen und andern Lasten ge-
währten sowie die Sicherheit der Person und
Habe verbürgten; die Städte, indem sie, wie Bo-
logna, den Hochschulen Zölle anwiesen oder aus
der Staatskasse Zuschüsse leisteten. An erster Stelle
verdient als Förderer der Universitäten Kaiser
Friedrich Rotbart genannt zu werden durch seine
Authentica „Habita“ (vgl. oben). Sein Enkel
Friedrich II. errichtete die Universität Neapel aus-
drücklich als Landesuniversität für das unteritalische
Gebiet. Die meisten Universitätsprivilegien unter
den deutschen Kaisern erteilte Karl IV. — In
größere Abhängigkeit von der weltlichen Macht
gelanglen die Universitäten nach der Glaubens-
spaltung; sie verloren ihren autonomen Charakter
mehr und mehr, ihr Vermögen wurde nicht selten
Universitäten. 628
zu dem landesfürstlichen Kammergut geschlagen,
bis sie schließlich in reine Staatsanstalten, nach
dem preußischen Landrecht (TI II, Tit. 12, § 1)
„Veranstaltungen des Staats“, verwandelt wur-
den. In der Neuzeit werden die Universitäten vom
Einzelstaat, ohne Mitwirkung des Kaisers oder
des Papstes als einer übergeordneten Macht, ge-
gründet, unterhalten und verwaltet. Die äußere
Lage der höchsten Lehr- und Bildungsstätten ist
somit von den fiskalischen Verhältnissen des Staats
abhängig. Die Institute und Kliniken, Labora-
torien und Seminare nebst den sonstigen Einrich-
tungen und besonders die Bibliotheken erheischen
einen von Jahr zu Jahr sich steigernden Etat.
Anderseits erfordert der regelmäßige Betrieb in
all diesen Anstalten eine solche Menge von Do-
zenten und Beamten, daß die Universitäten immer
mehr auf die Unterstützung und materielle Beihilfe
des Staats, der Regierungen und Parlamente an-
gewiesen sind, immer mehr reine Staatsanstalten
werden, an denen die Dozenten Staatsbeamte
sind und der letzte Rest von Selbstverwaltung all-
mählich schwindet. Die Reaktion dagegen zeigt sich
in rein städtischen Stiftungsuniversitäten wie
Frankfurt a. M. Die Universität Berlin erhielt im
Jahr 1810 einen Staatszuschuß von 450000 M,
im Jahr 1911 waren im Etat dafür 3879 961 M
ausgesetzt. Breslau erhielt im gleichen Jahr einen
Zuschuß von 1 622 162 M, Bonn 1 380 983 M.
Kiel 1 268 598 M. Im Gegensatz zu den deutschen
Universitäten streisen die englisch-amerikanischen
mehr und mehr den ursprünglichen Staatscharakter
ab und entwickeln sich zu autonomen Privat-
anstalten, die wegen ihrer bedeutenden Geldmittel
der Staatsunterstützungen entraten können und
ihre innern und äußern Angelegenheiten als selb-
ständige Körperschaften verwalten und regeln (val.
N. M. Butler, Monographs on Education in
the United States (2 Bde, 1900); E. D. Perry,
Die amerikan. Universität(1908f]; Müller, Techn.
Hochschulen in Nordamer. 1908); B. J. Wheeler.
Unterricht und Demokratie in Amerika (1910.)).
In Deutschland hingegen ist es der Staat, der
den Hochschulen ihre Organisation und Gesetze
gibt: er erläßt die Universitäts= und Fakultäts-
statuten und die Prüfungsordnungen, bestimmt
ihre Pflichten und Aufgaben und verleiht ihnen
ihre Rechte, vornehmlich das der Erteilung der
akademischen Grade. Unmittelbar sind die Uni-
versitäten dem Kultusminister unterstellt; doch ist
er an den preußischen Provinzialuniversitäten durch
einen Kurator (Kanzler) vertreten, der die staatliche
Oberaussicht führt und den Verkehr mit der Landes-
regierung vermittelt. Auf Grund ihrer geschicht-
lichen Entwicklung haben die Universitäten noch
einige Rechte, die diesen gelehrten Körperschaften
eine gewisse Selbständigkeit gewähren. Aus der
Fülle der miltelalterlichen Rechte und Privilegien
ist ihnen verblieben das Recht der Wahl des Rek-
tors, der Dekane und des Senats, das Vorschlags-
recht der Fakultäten bei der Besetzung von Pro-