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staatlich oder beruflich organisierte Gesellschaft
sollten an der Festsetzung des Maßes der Kennt-
nisse, der Dauer der Schulzeit, des Anfangs und
des Endes derselben teilnehmen. Ebenso sollte es
sein mit den Bestimmungen über die Ferien, die
Dispensationen vom Unterricht, die Strafen wegen
der Schulversäumnisse usw. Die notwendige Rück-
sicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern
wie der Kinder kann und wird sich dann geltend
machen.
Wenn der Staat einen Lernzwang nur an-
wenden darf, soweit das Lernen des einzelnen
Kindes für dieses selbst und für die ganze Gesell-
schaft notwendig ist, so muß er zugleich, wo die
einzelnen, die Berufsorganisationen und die Ge-
meinden nicht imstande sind, Volksschulen mit
weiter gehenden Zielen zu gründen, welche für die
ganze Gesellschaft erforderlich sind, ohne daß jedes
Kind diese weiteren Ziele erreicht, diese errichten
und erhalten bzw. unterstützen.
Aus dem Lernzwang folgt noch nicht der
Schulzwang, d. h. die den Eltern gesetzlich
auferlegte Pflicht, ihre Kinder für eine bestimmte
Zeit in eine Schule zu schicken. In der Theorie
ist derselbe auch wohl kaum in einem Staat voll-
ständig durchgeführt. Vielmehr steht in den meisten
Ländern den Eltern die Wahl frei, entweder die
Kinder in die öffentlichen Schulen zu schicken oder
ihnen in andern Lehranstalten oder zu Hause in
gleichem Umfang Unterricht erteilen zu lassen.
Doch ist diese Freiheit in der Praxis für den
größten Teil der Bewohner ohne Bedeutung, weil
die meisten Eltern schon aus Mangel an Mitteln
ihre Kinder in die am Wohnort bestehende staat-
liche Schule schicken müssen. Deshalb hat der
Staat um so mehr die Verpflichtung, die Schulen
so einzurichten, daß die Eltern imstande sind, ihre
Kinder ohne berechtigte Gewissensbedenken in diese
zu schicken. Solche Bedenken müßten eintreten,
sobald die religiös-sittliche Erziehung in der Schule
den religiösen Anschauungen der Eltern wider-
spräche. Schon aus diesem Grund muß es ge-
stattet sein, neben den staatlichen Schulen andere,
„freie“, zu gründen und die Kinder diesen Schulen
zu übergeben.
Im allgemeinen ist auch die Errichtung von
Unterrichtswesen.
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ausländischen Unterrichtsanstalten kann der Staat
keine Einwendungen erheben, wenn dort das hei-
mische Ziel, namentlich auch in Bezug auf die
vaterländische Gesinnung, erreicht wird. Indes
nimmt der höchste preußische Gerichtshof jetzt fol-
genden Standpunkt ein: Im Hinblick auf die
Kabinettsorder vom 14. Mai 1825, welche be-
sonders für Rheinland ergangen ist, und auf das
Allgemeine Landrecht ist anzunehmen, daß die
schulpflichtigen Kinder ihren Unterricht in der
Regel an einer inländischen Schule erhalten
sollen; denn der Schulinspektor könne nur dann
Entscheidung darüber treffen, ob ein Kind die er-
forderlichen Kenntnisse besitzt, wenn es eine in-
ländische Schule besuche. Die öffentlich-rechtlichen
Bestimmungen über die Schulpflicht seien keines-
wegs durch § 1631 des B.G. B. beseitigt, wonach
dem Inhaber der elterlichen Gewalt das Recht zu-
steht, das Kind zu erziehen und seinen Aufenthalt
zu bestimmen. Früher hatte das Kammergericht
angenommen, § 1631 gebe dem Vater das Recht,
unumschränkt über den Aufenthalt des Kindes zu
verfügen.
Noch mehr als durch den direkten Schulzwang
überschreitet der Staat seine Grenzen durch das
Schulmonopol. Im engeren Sinn be-
deutet dasselbe die vollständige Ausschließung jeder
privaten Tätigkeit vom Gebiet der Schule. Wo
dieses staatliche Schulmonopol eingeführt ist, darf
nur der Staat Schulen errichten und durch seine
Beamten leiten. Ein staatliches Schulmonopol
im weiteren Sinn besteht aber, wenn zwar
Privatschulen zugelassen werden, aber nur nach
staatlicher Genehmigung und unter staatlicher
Leitung. Ein solches Monopol ist ein Eingriff in
das Erziehungsrecht der Eltern und beschränkt
die Lehr= und Lernfreiheit. Allen Mißständen,
welche einreißen könnten, wenn uneingeschränkte
Freiheit in der Gründung von Schulen waltete,
könnte dadurch vorgebeugt werden, daß von allen
Lehrern, welche in einer Schule unterrichten woll-
ten, der Nachweis der Befähigung hierzu gefordert
würde. Ganz dieser Auffassung entsprechend be-
stimmte daher die preußische Verfassungsurkunde
vom 31. Jan. 1850: „AUnterricht zu erteilen und
1 Unterrichtsanstalten zu gründen und zu leiten, steht
Unterrichtsanstalten freigestellt. Ersordert wird jedem frei, wenn er seine sittliche, wissenschaftliche
dafür nur die wissenschaftliche und moralische Be= und technische Befähigung den betreffenden Stoats-
fähigung, von welcher der Staat sich auf Grund behürden nachgewiesen hat“ (Art. 22). Da Art. 26
von Zeugnissen Kenntnis verschafft. In England, ein Unterrichtsgesetz in Aussicht stellt und Art. 112
Nordamerika und Belgien ist das Recht zur Grün- ausdrücklich bestimmt, daß es bis zu dessen Erlaß
dung von Unterrichtsanstalten uneingeschränkt für bei dem bisherigen Recht zu bewenden habe. so
Geistliche und Laien. In Preußen und dem trat auch der angeführte Art. 22 nicht in Kraft.
übrigen Deutschland ist es von der besondern Ge-Sobald aber das längst in Aussicht gestellte
nehmigung der Regierung abhängig. Auch sind Schulgesetz endlich in Angriff genommen wird,
verschiedene religiöse Orden vom Unterricht aus= wird diese Bestimmung der preußischen Verfassung
geschlossen. Der Staat läßt in den Privatanstalten in der Frage des Schulmonopols maßgebend sein
von Zeit zu Zeit durch seine Vertreter Prüfungen müssen. Jetzt gelten für Preußen die Bestim-
vornehmen, um sich zu versichern, daß das all- mungen des Allgemeinen Landrechts: Wer eine
gemeine Unterrichtsziel erreicht wird. Auch gegen Privaterziehungs- oder sog. Pensionsanstalt er-
die Unterbringung von schulpflichtigen Kindern in richten will, muß bei der Ortsschulbehörde seine