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werden, wenn ein staatliches oder allgemeines
Bedürfnis für solche Schulen vorhanden ist. Die
Schulen, welche ein speziell kirchliches Bedürfnis
befriedigen, sind von den einzelnen Kirchen bzw.
von dem Besitzer der eingezogenen Kirchengüter
zu unterhalten. Der Staat soll, wenn keine recht-
liche Verpflichtung vorliegt, nur eintreten, wenn
ein allgemeines Bedürfnis es erfordert.
Alle Schulen, welche in erster Linie einzelnen
Berufen, z. B. der Industrie, dem Handel und
der Landwirtschaft, dienen, sollten auch in erster
Linie von diesen Berufen unterhalten werden.
Wenn diese Schulen bisher sich ohne die Ini-
tiative und größere Beihilfe des Staats nicht
genug entwickelt haben, so liegt dies vornehmlich
an dem Mangel einer beruflichen Organisation
und an der Gewohnheit, alle Hilfe vom Staat
zu verlangen.
Eine mehr oder weniger vollständige Über-
wälzung der Kosten des höheren Schulwesens auf
den Staat ist auch der gesunden Entwicklung der
höheren Schulen in betreff ihrer Zahl und ver-
schiedenen Gattungen nicht günstig, weil sie von
der Finanzlage des Staats zu sehr abhängig ist.
Wenn die Gesellschaft wohlhabender wird und
infolgedessen mehr Schulen verlangt, die Steuern
aber nicht in gleichem Maß steigen oder andere
Ausgaben notwendiger erscheinen, so bleibt das
Schulwesen zum Schaden der Gesellschaft hinter
den Forderungen der Zeit zurück, wie die Ge-
schichte des Schulwesens im 19. Jahrh. deutlich
genug zeigt. Freiwillige Leistungen für das höhere
Schulwesen, welche nicht so drückend sind wie die
Steuern und weniger empfunden, ja vielfach mit
Freuden übernommen werden, fließen um so spär-
licher, je mehr das ganze Schulwesen äußerlich
und innerlich verstaatlicht wird.
Bei den Kosten, welche heute die höheren Schulen
verlangen, reicht das Schulgeld keineswegs aus
zur Bestreitung der Kosten. Das heißt, der Staat
oder die Stadt bezahlt für jeden Schüler jedes
Jahr eine bestimmte Summe, welche ihm bzw.
den Eltern geschenkt wird. Das ist nur gerecht-
fertigt, solang es sich darum handelt, die für den
Staat und die Stadt notwendige Anzahl der
Vertreter der höheren Berufe zu gewinnen oder
arme, aber begabte, für die Gesellschaft voraus-
sichtlich sehr nützliche und für die soziale Ent-
wicklung notwendige Mitglieder dieser Berufe
auszubilden. Unsere Zeit gebraucht ja mehr denn
je Beamte, Geistliche, Arzte, welche aus den
niederen Vollsklassen stammen. Bei wohlhaben-
den Schülern, welche in erster Linie die höhere
Schule besuchen, weil das als standesgemäß gilt,
ist ein derartiges Geschenk kaum berechtigt. Wenn
an slädtischen Anstalten zuweilen die auswärtigen
Schüler ein höheres Schulgeld zu zahlen haben
als die einheimischen, so wäre es mindestens ebenso
berechtigt, wenn an staatlichen Anstalten die aus-
wärtigen Schüler ein geringeres Schulgeld be-
zahlten, weil ja die einheimischen Schüler vor den
Unterrichtswesen.
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auswärtigen einen großen Vorteil voraushaben,
obwohl die Eltern der auswärtigen Schüler zu
den Steuern ebenso herangezogen werden als die
Eltern der einheimischen. Diese Festsetzung des
Schulgeldes würde nicht nur der Gerechtigkeit
mehr entsprechen, sondern auch das heutige allzu
große und in sozialer Beziehung geradezu gefähr-
liche Ubergewicht der reichen Leute, der Beamten,
der städtischen Bevölkerung in dem Nachwuchs
für die gelehrten Berufe wenigstens in etwa ver-
mindern.
Der Unterhalt der höheren Lehranstalten liegt
gegenwärtig in allen deutschen Bundesstaaten dem
Staat ob. Eine Verpflichtung für Gemeinden
oder andere Verbände zur Erhaltung höherer
Lehranstalten besteht nicht. Die Bedingungen,
unter denen staatliche Zuschüsse an nichtstaatliche
Anstalten gewährt werden, sind verschieden ge-
regelt. In Preußen sind dieselben festgelegt durch
Ministerialerlaß vom 1. April 1898 und be-
stimmen, daß für diese Anstalten in Bezug auf
Besoldung der Lehrer usw. die gleichen Grund-
sätze gelten wie für die staatlichen Anstalten. In
allen Bundesstaaten sind für begabte Schüler
Freistellen errichtet, deren Zahl unter Ausschluß
der Vorschule 10% von der Schülerfrequenz nicht
überschreiten darf. Gewöhnlich werden die gesetz-
lich zulässigen Freistellen, namentlich in den mitt-
leren Klassen, in halbe Freistellen geteilt, um
möglichst vielen Schülern eine Ermäßigung des
Schulgelds zu gewähren.
Während eine Verstaatlichung aller höheren
Lehranstalten nach der finanziellen Seite hin noch
nicht durchgeführt ist, ist ihr innerer Betrieb in
betreff der einzelnen Unterrichtsgegenstände, des
Lehrziels in diesen, ja selbst in Bezug auf wichtige
Punkte der Unterrichtsmethode in den meisten
Kulturstaalen durchaus von Staats wegen geregelt.
Das ist nicht zu billigen. Einmal wird die Be-
wegungsfreiheit für die einzelne Schule und den
einzelnen Lehrer leicht mehr, als gut ist, unter-
bunden. Zweitens ist der Fortschritt im Unter-
richtsbetrieb. für welchen staatliche Vorschriften
und staatliche Aufsicht oft sehr förderlich sind,
auch wieder gehemmt, weil bei zu geringer Be-
wegungsfreiheit neue Methoden und neue Ein-
richtungen an einer einzelnen Schule meist nicht
erprobt werden können und Neuerungen an allen
Schulen zugleich naturgemäß nur schwer vor-
genommen werden können. Werden sie vor-
genommen, so ist die Gefahr groß, daß sie ver-
kehrt sind, wenn sie im einzelnen gar nicht erst
haben erprobt werden können. Im allgemeinen
kann man wohl sagen, daß die eigentlichen Ziele
einheitlich aufgestellt werden müssen; alles übrige,
namentlich auch die Methoden, den einzelnen
Anstalten, ja vieles jedem Lehrer überlassen
bleiben möge.
Bei einer völligen Verstaatlichung aller höheren
Lehranstalten ist auch zu befürchten, daß die
geistige Richtung, welche in den Schulen als zu