Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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keit zu ersetzen, während der Darleiher, der von 
dem hingegebenen Kapital Zinsen bezieht, dazu 
keinen Antrieb habe. Die Steuer werde daher aus 
dem Einkommen bezahlt und schwäche das Pro- 
duktivkapital des Volks nicht; die Anleihe dagegen 
entziehe Kapitalien der produktiven Verwendung 
in der Volkswirtschaft und wirke zugleich auf all- 
gemeine Erhöhung des Zinsfußes zum Vorteil 
der Kapitalisten, aber zum Nachteil der Industrie 
und Landwirtschaft. Außerdem ist zu berücksich- 
tigen, daß erfahrungsmäßig die Tendenz zur Er- 
weiterung der Staatsaufgaben und damit zur Er- 
höhung des zukünftigen Staatsaufwands besteht, 
daß die Ereignisse der Folgezeit leicht neue schwere 
Anforderungen an die Finanzkraft des Staats 
stellen können, sowie daß die andauernde Nutz- 
wirkung einer Ausgabe immer mehr oder weniger 
zweifelhaft ist. Es kann daher wohl geraten sein, 
auch solche Ausgaben, deren Deckung durch Kredit- 
benutzung nicht unzulässig wäre, statt dessen durch 
Forterhebung der bestehenden Steuern zu be- 
streiten, wenn diese dazu ausreichen, oder auch 
eine mäßige Steuererhöhung zu diesem Zweck 
nicht zu scheuen. Selbst wenn die Ausgabe einer 
rentabeln Kapitalanlage dient, deren Erträgnis 
die Zinsenlast für eine dafür aufzunehmende 
Schuld ausgleichen würde, ist die ausschließliche 
Benutzung des Kredits nicht unbedingt geboten. 
In günstigen Zeiten den Staat für spätere Wechsel- 
fälle zu stärken, indem man Nutzauellen für die 
Zukunft schafft, ohne diese dafür zu belasten, 
kann eine weise Maßregel vorsorglicher Finanz- 
politik sein. Je mehr aber die Bestreitung einer 
außerordentlichen Ausgabe auf dem Weg der Be- 
steuerung einen empfindlichen Steuerdruck verur- 
sachen würde, um so mehr ist es angezeigt, diesen 
durch Benutzung des Kredits zu vermeiden. Eine 
ungewohnte hohe Steuerbelastung kann nicht 
nur durch die entstehende Unzufriedenheit poli- 
tische Gefahren erzeugen, sondern auch volkswirt- 
schaftlich weit nachteiliger wirken als eine Anleihe. 
Nicht alle Steuerpflichtigen werden sich die Ent- 
behrungen und Anstrengungen auferlegen wollen 
und können, die erforderlich wären, um eine neue 
hohe Steuer aus dem Einkommen zu bezahlen. 
Viele werden ihr Kapital angreifen müssen oder 
Schulden machen und damit auch den Zinsfuß 
steigern, oder sie werden zu ihrem wirtschaftlichen 
Ruin der Steuerexekution verfallen. Dabei ist zu 
erwägen, daß es keine Steuer und kein Steuersystem 
gibt und bei den entgegenstehenden praktischen 
Schwierigkeiten jemals geben wird, wodurch den 
Anforderungen an gerechte Steuerverteilung voll- 
ständig Genüge geleistet würde, und womit nicht 
auch Nachteile verbunden wären, die sich aus der 
Art der Steuererhebung ergeben. Die Ungleich- 
heiten und Mängel einer Besteuerung werden aber 
um so fühlbarer, je höher die Steuersätze sind. 
Bei mäßigen Sätzen können sie erträglich sein, bei 
  
hohen aber zu den größten Beschwerden und übel- 
ständen führen. Zudem sind selbst bei der gerech- 
Staatsschulden. 
  
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testen Steuerverteilung für gleich Besteuerte die 
Wirkungen hoher Steuern, die aus entbehrlichen 
Einnahmen nicht bestritten werden können, sehr 
verschieden. Dem einen ist es nicht schwer, Kapital 
dafür flüssig zu machen, dem andern kostet es 
Opfer, die seiner Wirtschaft verderblich werden. 
Durch eine Anleihe zieht der Staat nur solche 
Kapitalien an sich, die sich ihm freiwillig anbieten. 
Soweit diese aus bisheriger Verwendung in hei- 
mischer Produktion herausgezogen werden, wird 
allerdings die Volkswirtschaft dadurch beeinträch- 
tigt. In allen vorgeschrittenen Staaten finden sich 
aber viele disponible Kapitalien, die ohne Schmä- 
lerung des Kapitalfonds der inländischen Pro- 
duktion zu Darlehen an den Staat hingegeben 
werden können, und immer werden es wenigstens 
die bisher am mindesten vorteilhaft verwendeten 
Kapitalien sein, die man dem Staat anbietet. 
Überdies kann die Heranziehung ausländischen 
Kapitals zu Hilfe kommen, wenn es an disponi- 
belem inländischen fehlt. Freilich werden durch 
eine Anleihe die Steuerzahlenden in der Zukunft 
mit Beiträgen zu ihrer Verzinsung und Tilgung 
belastet. Aber darin liegt eben der Vorzug der 
Anleihe, daß durch sie eine große Steuerlast, die 
sonst unter schwerem Druck auf einmal zu tragen 
wäre, sich auf eine Reihe von Jahren verteilt. Wo 
es sich um ungesäumte Verfügung über hohe 
Summen handelt, wie dies bei dem Ausbruch 
eines Kriegs der Fall ist, dessen Erfolg von mög- 
lichst rascher, starker Machtentfaltung abhängt, 
zwingt ohnehin, was vorhin schon angedeutet 
wurde, das Bedürfnis zur Benutzung des Kredits, 
da der Weg einer außerordentlichen Besteuerung 
nicht schnell und sicher genug die erforderlichen 
Mittel liefern würde. Damitistnicht ausgeschlossen, 
kann vielmehr sehr empfehlenswert sein, daß für 
einen Teil des Kriegsaufwands auch die Steuer- 
kraft des Volks in Anspruch genommen werde, 
um die künftige Belastung nicht zu groß werden 
zu lassen, zumal dann, wenn der Staatskredit nur 
unter ungünstigen Bedingungen benutzt werden 
kann. Unter Umständen bleibt auch bei tief ge- 
sunkenem Kredit im Drang der Not nichts anderes 
übrig, als sich durch außerordentliche Besteuerung, 
wenn auch unter der weniger drückenden Form der 
Zwangsanleihe, oder durch übermäßige Ausgabe 
von Papiergeld mit Zwangskurs, so gut es gehen 
mag, zu helfen. 
Oben ist bereits darauf hingewiesen worden, 
daß der Mangel an inländischen Kapitalien, die 
ohne Nachteil für die inländische Produktion dem 
Staat dargeliehen werden können, durch Heran- 
ziehung fremdländischer Kapitalien ersetzt 
werden kann. Sovweit dieses bei einer Anleihe 
geschieht, bleiben die Mittel zur Fortführung und 
weiteren Entwicklung der heimischen Produktion 
ungeschwächt, zum Vorteil der Volkswirtschaft, 
sofern nur die Leistung des Kapitals, welches in- 
folgedessen der produktiven Verwendung im In- 
land verbleibt, an Wert die an die ausländischen
	        
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