Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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belgischen Rechts (s. unter 2), sich ausdrückt, „alle 
vorsätzlichen, gegen Bestand und Sicherheit des 
(eignen oder eines fremden) Staats sowie gegen 
das Staatsoberhaupt und die politischen Rechte 
der Staatsbürger (nicht gegen die Staatsverwal- 
tung) gerichteten Verbrechen“. Gemäß anderer 
Ansichten sind es „die gegen den Staat“" oder „die 
gegen den Staat und seine Institutionen gerich- 
teten, auch wenn die Handlungen in die Form des 
Widerstands gekleidet sind“, oder auch „die gegen 
den Staat als politische Organisation und jede 
seiner Gewalten gerichteten“, so daß in diesem 
Sinn die politischen Verbrechen auch als Staats- 
verbrechen bezeichnet werden. Andere Schriftsteller 
schränken den Begriff noch mehr ein, als es bereits 
mit der letzteren Erklärung geschieht, indem sie 
nur „die Verfassung und Regierung des Staats“ 
als Angriffsobjekte des politischen Verbrechens an- 
sehen, wieder andere, indem sie ganz konkret nur 
Hochverrat und Landesverrat als politische Delikte 
gelten lassen wollen. Andere dagegen erweitern 
den Begriff, indem sie nicht nur die Angriffe auf 
die sog. politische, sondern auch auf die soziale 
Ordnung als politische Delikte auffassen, ja die 
Angriffe auf „die sozialen Einrichtungen und die 
daraus entstehenden Rechte und Pflichten“ hier- 
herzählen. 
Nicht genug mit diesem negativen Ergebnis, es 
gibt auch, wie schon die oben mitgeteilte Auße- 
rung v. Holtzendorffs erwarten läßt, eine Ansicht, 
welche politische Delikte als eine besondere Klasse 
der verbrecherischen Handlungen überhaupt nicht 
anerkennen will, weil eine solche Unterscheidung 
zu treffen zu den Unmöglichkeiten gehöre. Allein 
wohl oder übel wird man über diese Ansicht zur 
Tagesordnung übergehen müssen und zu einem 
Versuch einer Begriffsbestimmung sich gezwungen 
sehen, schon weil sie für die Anwendung der posi- 
tiven oben erwähnten Bestimmungen unserer Aus- 
lieferungsverträge wie auch des gleichfalls er- 
wähnten § 3 des Wahlgesetzes die Voraussetzung 
bildet (s. unter 2 gegen Ende). 
Hierbei wird man davon auszugehen haben, 
daß es sich um eine verbrecherische Handlung im 
Gebiet der Politik handeln muß. Begriffsmäßig 
muß ein politisches Verbrechen das verbrecherische 
Widerspiel der legalen Politik sein. Die Politik 
als Staatskunst hat nach dem gleichnamigen Ar- 
tikel dieses Staatslexikons die Aufgabe, durch 
richtige Wahl der Mittel die jeweiligen Zwecke 
eines konkreten Staats zu realisieren (ugl. Bd IV, 
Sp. 193). Akzeptiert man diese Begriffsbestim- 
mung — und es liegt nicht die mindeste Veranlas- 
sung vor, dagegen Bedenken zu erheben —, so 
wäre es Aufgabe der praktischen Politik, diese 
Mittel zur Durchführung zu bringen. Jede ver- 
brecherische Handlung demnach, welche sich hier- 
mit in Widerspruch setzte, würde ein politisches 
Delikt bedeuten. Das bedarf natürlich noch einer 
näheren Erläuterung, und zwar sowohl in ob- 
jektiver als auch in subjektiver Richtung. — Zu- 
Verbrechen, 
  
politische. 710 
nächst in objektiver Beziehung. Sollen die Zwecke 
eines Staatswesens realisiert werden können, so 
darf sich vor allem dieser Aufgabe keine Handlung 
entgegenstellen, die das Staatswesen als solches, 
seine Existenz und mit ihr die Erfüllung der 
Staatszwecke überhaupt in Frage stellt. In erster 
Linie käme demnach als Objekt politischer Delikte 
die äußere Sicherheit des Staats in Betracht. 
Landesverrat und jede Gefährdung der äußern 
Sicherheit durch Beeinträchtigung der internatio- 
nalen staatlichen Beziehungen stellten sich also zu- 
nächst als politische Delikte heraus. Entsprechende 
Bedeutung würde sodann der innere Bestand des 
Staats beanspruchen, sein verfassungsmäßiger 
Zustand. Die Realisierung der Staatszwecke, wie 
sie ein konkreter Staat versteht, soll ihm durch seine 
Gesamtordnung, seine Verfassung, gewährleistet 
werden. Jeder gesetzwidrige Angriff und Eingriff 
auf und in diese Gesamtordnung würde demnach 
ein politisches Verbrechen bedeuten. Der Staats- 
streich auf der einen und der Hochverrat auf der 
andern Seite würde gleichmäßig getroffen. Weiter- 
hin verlangt aber jedes geordnete Staatswesen, 
daß seine von ihm selbst gesetzten Zwecke auf 
dem für es verfassungsmäßig festgestellten Weg 
durch die dafür bestellten Organe angestrebt und 
verwirklicht werden. Der Staatsorganismus und 
die für seine Betätigung gesetzlich festgelegten For- 
men sind daher weitere Objekte politisch-verbreche- 
rischer Angriffe. Dahin gehören z. B. das Staats- 
oberhaupt, soweit es nicht schon mit der vorauf- 
gehenden Bemerkung getroffen ist, die gesetzgebenden 
Körperschaften, der Beamtenorganismus, das ge- 
setzlich geregelte Wahlrecht, die verfassungsmäßig 
festgestellte Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt. 
Jede gesetzwidrige Handlung, die sich diesen Or- 
ganen und ihrer legalen Betätigung entgegenstellte, 
könnte demnach ein politisches Delikt bedeuten. 
Hier dürfte indessen eine nicht unerhebliche Ein- 
schränkung am Platz sein. Es wäre nämlich ver- 
kehrt, jeden einzelnen amtlichen rechtmäßigen Akt 
eines staatlichen Organs als staatliche Zweck- 
betätigung, also als politischen Akt anzusprechen. 
In den weitaus meisten zahllosen Fällen des täg- 
lichen Lebens sind solche amtlichen Akte nichts 
weiter als Ausführungshandlungen einer solchen 
Betätigung, die aber nicht mit der politischen 
Aktion, die dahinter steht, identifiziert werden 
dürfen. Nur eine allgemeine behördliche Maß- 
regel, die zwar nicht notwendig von der staatlichen 
Zentrale auszugehen braucht, ließe sich in letzterem 
Sinn identifizieren. Und nicht deren Ausführung, 
sondern ihre Anordnung wäre als das mögliche 
Objekt politisch-deliktischer Angriffe zu charak- 
terisieren. Hier werden allerdings die Grenzen 
zwischen politischen und gemeinen (unpolitischen) 
Verbrechen höchst unsicher, und nicht selten wird es 
schwer sein, im einzelnen festzustellen, ob ein solches 
dieser oder jener Art vorliegt. — In subjektiver 
Beziehung ist sodann folgendes zu bemerken. Wenn 
der praktischen Politik, der legalen politischen 
23“
	        
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