Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

711 
Handlung, untrennbar, begriffsmäßig das Merk- 
mal innewohnt, daß sie einen Staatszweck ver- 
folgen will, wenn es also eine zwecklose Politik 
begrifflich nicht geben kann, so kann es auch kein 
politisches Verbrechen geben, das im entgegen- 
gesetzten Sinn des Zwecks entbehrte. Das zeigt 
sich am deutlichsten beim Hochverrat durch Mord 
des Staatsoberhaupts einer erblichen Monarchie. 
Ein solcher Mord kann fraglos ohne jegliche Ab- 
sicht, auf dem Gebiet der politischen Belätigung 
des Staats eine Anderung herbeizuführen, er kann 
in dem vollen Bewußtsein und in der Erwartung, 
daß in politischer Beziehung alles beim alten 
bleibe, begangen werden. Kurz, ein politischer 
Beweggrund und ein politischer Zweck brauchen 
gar nicht vorzuliegen; sie können vielmehr einem 
ganz andern Gebiet, z. B. dem rein persönlichen, 
angehören. Zahlreiche geschichtliche Beispiele be- 
stätigen das. Trifft solches zu, so ist es unmög- 
lich, einen solchen Mord anders als einen ge- 
meinen anzusprechen, und es geht daher nicht an, 
bei der Beurteilung, ob eine verbrecherische Hand- 
lung als ein politisches oder als ein gemeines 
(nicht politisches) Verbrechen zu betrachten sei, 
Motiv und Zweck der Handlung außer acht zu 
lassen. Was von dem bdeispielshalber gewählten 
Hochverrat gilt, muß auch von jeder andern ver- 
brecherischen Handlung gelten. Allerdings ist hier 
unter Motiv der Handlung nicht der jeder frei 
gewollten Handlung untrennbar innewohnende 
Vorsatz, sie zu begehen, auch nicht der im Gefühls- 
leben des Täters zu suchende und aus dem per- 
sönlichen Empfinden und Interesse entspringende 
Reiz zur Tat und unter Zweck der Handlung nicht 
die Befriedigung persönlichen Interesses zu ver- 
stehen, sondern gerade im direkten Gegensatz zu all 
diesem der spezifische unpersönliche dem oben um- 
schriebenen Gebiet der Politik angehörende und 
aus ihr herausgewachsene, zugleich Richtung, Ziel 
und Zweck der Handlung bestimmende Beweg- 
grund, also die Motiv und Zweck gleichmäßig 
umfassende Tendenz, mit der Handlung selbst 
einen Akt der Politik zu setzen, einen Ersolg in 
politischer Richtung zu erzielen. — Und noch ein 
drittes, die Handlung selbst betreffendes Moment 
muß hinzukommen. Nicht jede Handlung nämlich 
kann als geeignetes Mittel zur Erreichung politi- 
scher Zwecke angesehen werden und muß daher von 
vornherein von der Gruppe der politischen Ver- 
brechen ausgeschieden werden. Das gilt z. B. von 
den Verbrechen und Vergehen wider die Sittlich- 
keit. Beleidigung, Bankrott. Zu unterscheiden von 
solchen Handlungen sind solche, die durch den 
Gegenstand, dem sie unmittelbar gelten, als ge- 
meine charakterisiert werden und nur dadurch einen 
politischen Charakter annehmen, daß sie mit einem 
unmittelbaren oder absoluten politischen Delikt in 
Verbindung stehen, mit ihm in idealer Konkurrenz 
begangen werden oder zu ihm im Verhältnis des 
Mittels zum Zweck stehen (sog. konnexe politische 
Delikte). Insoweit bedarf es für jeden einzelnen 
Verbrechen, 
  
politische. 712 
Fall genauer Sachuntersuchung, ob wirklich eine 
solche Verbindung besteht oder nicht, ob z. B. ein 
bei einem Aufruhr begangener Mord ein Teil der 
politischen Bewegung oder rein persönlicher Art 
war, der nur unter Benutzung der günstigen Ge- 
legenheit begangen wurde. — Damit ein politi- 
sches Verbrechen vorliegt, müssen also diese vor- 
gedachten drei Momente zusammentreffen: in 
objekliver Beziehung eine gesetzwidrige Handlung, 
welche der Durchführung der staatlichen Ordnung 
und staatlichen Zwecke als solcher widerstrebt, in 
subjektiver Beziehung, daß Motiv und Zweck des 
Täters in dieser Richtung sich bewegen und in 
Bezug auf die Handlung selbst, daß sie für den 
Zweck geeignet ist. 
Der in der vorstehenden Erörterung heraus- 
gearbeitete Begriff des politischen Verbrechens 
erweist sich bedeutend enger als der von der herr- 
schenden Meinung angenommene. Im Gegensatz 
zu dieser wäre zunächst die Beleidigung des Staats- 
oberhaupts (Majestätsbeleidigung) nicht dahin zu 
zählen, sondern als gemeines Verbrechen zu be- 
trachten, da in ihr ein Angriff auf die staatliche 
Ordnung als Bedingung für die Durchführung 
der Staatszwecke nicht erkannt werden kunn. Auch 
deliktische Handlungen gegen die staatsbürgerlichen 
Rechte der einzelnen Staatsbürger können nicht 
ohne weiteres als unmittelbare politische Ver- 
brechen, sondern nur insoweit in Betracht kommen, 
als nach geführter Sachuntersuchung sich heraus- 
stellt, daß sie gegen die Staatsordnung selbst ver- 
stoßen. Im übrigen erweist sich der Begriff des 
politischen Verbrechens, soweit es sich dabei um 
einen deliktischen Angriff auf die innere staatliche 
Ordnung handelt, als ein sehr wandelbarer und 
relativer, so daß ein und dieselbe Handlung, in 
demselben Staat aber zu verschiedenen Zeiten oder 
in verschiedenen Staaten aber zu derselben Zeit 
begangen, eine ganz verschiedene politische Quali- 
fizierung erfahren muß. War vor dem Jahr 510 
v. Chr. das gewaltsame Unternehmen, in Rom 
das Königtum zu beseitigen, ein politisches Ver- 
brechen, so war es nach diesem Jahr ein solches 
Unternehmen zum Zweck der Einführung desselben. 
Zur Zeit, als in Preußen die absolute Monarchie 
bestand, würde das gewaltsame Unternehmen, die 
konstitutionelle Monarchie einzuführen, ein politi- 
sches Verbrechen bedeutet haben; heute würde 
umgekehrt ein gewaltsames Vorgehen, aus der 
konstitutionellen Monarchie eine absolute zu machen, 
diesen Charakter haben. Ein deliklischer Angriff 
auf die republikanische Verfassung einer der Hanse- 
städte zum Zweck der Einführung der Monarchie 
würde zu derselben Zeit ein politisches Verbrechen 
sein, zu der ein gewaltsames Unternehmen, in 
einem andern deutschen Bundesstaat statt der 
monarchischen die republikanische Staatsform ein- 
zuführen, es ebensalls wäre. 
2. Die politischen Verbrechen in der 
Rechtspflege. Wenn auch nach dem unter 1 
eingangs Gesagten der Ausdruck „politische Ver-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.