Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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staaten, bei Ansprüchen der Vereinigten Staaten 
auf Grund von Bundesgesetzen und in Fällen, die 
Gesandte und andere diplomatische Vertreter des 
Auslands betreffen. Die Bundesgerichte können 
sofort angerufen werden, wenn die Parteien 
Bürger verschiedener Staaten sind, ferner in Pro- 
zessen zwischen Bürgern des gleichen Staats wegen 
Ansprüchen auf Land auf Grund der Verleihung 
seitens verschiedener Staaten, bei Prozessen zwi- 
schen einem Staat oder dessen Bürgern und einem 
fremden Staat oder dessen Bürgern und Unter- 
tanen. In den übrigen Fällen sind die Gerichte 
der Einzelstaaten zuständig. Die Bundesgerichte 
haben außerdem die Verfassung, Gesetze und Ver- 
träge der Vereinigten Staaten auszulegen und zu 
prüfen, ob die Gesetze und Verträge der Union 
verfassungsgemäß sind und ob die Verfassungen 
und Gesetze der einzelnen Staaten dem Unions- 
recht widersprechen; die Gerichte haben aber eine 
Entscheidung hierüber nicht im allgemeinen zu 
treffen, sondern erst dann, wenn die Frage nach 
der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm in 
einer bestimmten Streitsache unter bestimmten 
Parteien aufgeworfen wird. 
Die Grundlage, auf der das Recht der Ver- 
einigten Staaten beruht, ist das gemeine englische 
Recht (The Common Law of England), das im 
letzten Viertel des 18. Jahrh. von dem Mutter- 
land übernommen, seither aber mannigsach um- 
geändert wurde teils durch die Gesetzgebung des 
Bundes teils durch die der Einzelstaaten teils 
durch die Entscheidungen der Gerichte, die als 
Quelle des Gerichtsgebrauchs in Amerika fast einer 
positiven Gesetzgebung gleichkommen. Das Recht 
des Staats Louisiana beruht zum Teil auf dem 
französischen, das des Staats Florida auf dem 
spanischen Recht. Das Strafrecht ist jetzt in den 
meisten Staaten kodifiziert, weist aber große Unter- 
schiede auf (in manchen Staaten bestehen z. B. 
strenge Vorschriften gegen die Herstellung und den 
Verkauf von alkoholischen Getränken, in andern ist 
die Sonntagsheiligung unter schweren Strafen 
geboten, in den Südstaaten steht auf Ehen zwi- 
schen Weißen und Negern Zuchthaus usw.). Das 
Zivilprozeßverfahren ist jetzt in vielen Staaten 
ebenfalls kodifiziert, während andere das alte eng- 
lische gemeine Recht beibehalten haben. Die Ge- 
schworenengerichte sind nicht auf den Strafprozeß 
beschränkt, sondern kommen auch sehr oft bei 
Zivilsachen zur Anwendung, da bei Prozessen, 
in denen das Objiekt einen Wert von mehr als 
20 Dollar hat, jede Partei auf der Verhand- 
lung vor einer Jury bestehen kann; zu einem 
Wahrspruch der Geschworenen ist Stimmenein- 
helligkeit notwendig. Die Urteile der einzelstaat- 
lichen Gerichte haben keine extraterritoriale Kraft 
und können in einem andern Staat nicht auf dem 
Weg der Zwangsvollstreckung geltend gemacht 
werden; die Verfassung der Union bestimmt je- 
doch, daß den gerichtlichen Entscheidungen des 
einen Staats in den andern „voller Glanbe und 
Vereinigte Staaten. 
  
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Vertrauen“ entgegengebracht wird, so daß in der 
Praxis die obsiegende Partei auf Grund der zu 
ihren Gunsten ergangenen Entscheidung einen 
neuen Prozeß ohne erneute Beweisaufnahme oder 
ausführliche Verhandlung anstrengen und bis zum 
rechtsgültig vollstreckbaren Urteil durchführen kann. 
— Die Richter an den Bundesgerichten werden 
vom Unionspräsidenten unter Zustimmung des 
Senats auf Lebenszeit angestellt und können nur 
durch ein „Impeachment“-Verfahren entsetzt wer- 
den; die Richter an den einzelstaatlichen Gerichten 
werden meist vom Volk auf eine gewisse Amtszeit 
(bei guter Amtsführung faktisch oft auf Lebenszeit) 
gewählt, zum Teil auch von den Gouverneuren 
(unter Mitwirkung des Staatssenats) ernannt. 
Sie rekrutieren sich, da es in den Vereinigten 
Staaten keine Richterlaufbahn gibt, aus dem 
Rechtsanwaltstand, sind meist selbst aktive Politiker 
oder eng mit den Führern der jeweils herrschenden 
Partei verbunden. — Große Mängel der ameri- 
kanischen Rechtspflege sind das langwierige, schwer- 
fällige Prozeßverfahren, ein Erbstück aus der 
englischen Vergangenheit der Vereinigten Staaten, 
und die Bedeutung, die Formfehlern beigelegt 
wird; eine große Nolle spielt der Eid bei den 
Verhandlungen, da alle Aussagen der Parteien 
und der Zeugen unter Eid stattfinden, und das 
Massenschwören zeitigt denn auch zahlreiche Mein- 
eide, deren strafrechtliche Verfolgung jedoch ver- 
hältnismäßig selten ist. 
Die Bundesgerichte zerfallen in Bezirks-, Kreis- 
und Kreisberufungsgerichte, das Beschwerdegericht 
und das Oberbundesgericht. Der Geschäftskreis 
eines Bezirksgerichts umfaßt einen ganzen Staat 
oder einen Teil; die Union ist in 68 Bezirke ein- 
geteilt und in der Regel amtiert an jedem Be- 
zirksgericht ein Richter. Die Bezirksgerichte sind 
hauptsächlich zuständig in Streitsachen bis zu 
2000 Dollar und in Konkurssachen. Die neun 
Kreisgerichte sind zuständig in Streitsachen von 
2000 Dollar aufwärts und in den Klagen aus 
dem Urheberrecht. Über Berufungen gegen Urteile 
der Bezirksgerichte entscheidet das Kreisberufungs- 
gericht (neun an der Zahl), in einigen bestimmten 
Fällen jedoch das Oberbundesgericht, in Berufungen 
gegen das Urteil der Kreisgerichte stets das Ober= 
bundesgericht; gegen die Entscheidung der Kreis- 
berufungsgerichte ist in gewissen Fällen noch ein 
Rechtsmittel an das Oberbundesgericht gegeben. 
Letzteres entscheidet ferner in erster und letzter 
Instanz in allen Streitsachen, die Botschafter oder 
andere diplomatische Beamte oder Konsuln be- 
treffen, sowie in denjenigen, in denen ein Staat 
Partei ist. Das Beschwerdegericht entscheidet nur 
über Forderungen gegen den Bundesfiskus; eine 
Berufung dagegen geht an das Oberbundesgericht. 
Das Oberbundesgericht (in Washington) besteht 
aus einem Präsidenten (Thief Justice) und acht 
Oberrichtern (Justices). 
Die Gerichtsorganisation der Einzelstaaten ist 
verschieden. Die niedersten Gerichte sind die der
	        
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