Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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religiösen Charakters, verboten). Die Staatsge- 
walt greift nicht in die Sphäre der individuellen 
religiösen Uberzeugung ein; das religiöse Bekennt- 
nis darf keinen Einfluß auf die Rechtsstellung des 
einzelnen in bürgerlich-rechtlicher und politischer 
Beziehung haben, das Recht zur Bekleidung öffent- 
licher Amter nicht von einem bestimmten Bekennt- 
nis abhängig gemacht werden (in einigen Staaten 
sind allerdings Atheisten oder Personen, die nicht 
an ein Jenseits glauben, in andern alle Geistlichen 
von öffentlichen Amtern ausgeschlossen; ein Ka- 
tholik ist noch nie zum Präsidenten der Union ge- 
wählt worden). Bei Erfüllung wichtiger Pflichten 
des einzelnen gegenüber dem Staat wird auf dessen 
religiöse Anschauungen weitgehende Rücksicht ge- 
nommen; so dürfen in einer Anzahl von Staaten 
Personen, die es nicht mit ihrem Gewissen verein- 
baren können, Waffen zu tragen, für den persön- 
lichen Dienst in der Miliz durch Geld Ersatz 
leisten, diejenigen, die einen Eid zu schwören haben, 
können dabei die ihrer religiösen Auffassung am 
meisten entsprechende Form wählen usw. Die 
rechtliche Gleichheit aller Kulte ist dadurch ge- 
währleistet, daß weder die Union noch ein Einzel- 
staat eine Staatskirche einführen oder eine religiöse 
Körperschaft unterstützen darf; eine gewisse Aus- 
nahme davon ist insofern vorhanden, als die 
Union lange Zeit hindurch die konfessionellen 
Schulen unter den Indianern unterstützte und als 
vielfach in den einzelnen Staaten religiösen Kor- 
porationen Subventionen mittelbar dadurch zu- 
gewendet werden, daß diesen die Führung und 
Verwaltung von Hospitälern, Asylen, Waisen- 
häusern, Erziehungsanstalten usw. gegen Entgelt 
übergeben oder derartige im Eigentum von reli- 
giösen Vereinen stehende Anstalten und konfes- 
sionelle Schulen aus staatlichen oder gemeind- 
lichen Mitteln unterstützt werden. 
Der Staat ist aber trotz voller Religionsfrei- 
heit nicht vollkommen unchristlich, sondern nimmt 
in seiner Rechtsordnung auf die Religion, be- 
sonders die christliche, Rücksicht: so werden die 
Sitzungen des Kongresses und die vieler Staats- 
legislaturen durch ein Gebet eröffnet und zu diesem 
Zweck staatlich besoldete Kapläne gehalten; es 
werden von dem Präsidenten der Union und von 
den Regierungen der einzelnen Staaten Dank-, 
Buß- und Fasttage ausgeschrieben, das religiöse 
Gefühl der zum Gottesdienst Versammelten wird 
gegen Störungen strafrechtlich geschützt, die Blas- 
phemie wird nach allgemeinem amerikanischen Recht 
bestraft, die Sonntagsruhe durchweg gesegtzlich 
durchgeführt. Der Staat teifft Sorge dafür, daß 
die in staatlichen Anstalten, in Krankenhäusern, 
Gefängmssen, im Heer und in der Marine be- 
findlichen Personen Gelegenheit haben, ihre reli- 
giösen Bedürfnisse zu befriedigen. Der Unterricht 
in den öffentlichen Elementarschulen läßt heute die 
Religion ganz unberücksichtigt, vielfach aber wird 
der Unterricht durch Vorlesen von Bibelstellen oder 
durch das Vaterunser eröffnet. 
Vereinigte Staaten. 
  
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In allen Staaten besteht das Recht der ein- 
zelnen, sich auf Grund eines gemeinsamen reli- 
giösen Bekenntnisses zur Ausübung des Kultus zu 
versammeln und zu einem Verein oder einer 
Körperschaft zusammenzuschließen; nur mit diesen 
einzelnen organisierten religiösen Gesellschaften 
oder Kirchengemeinden hat es die amerikanische 
Gesetzgebung zu tun, nicht aber mit der Kirche in 
höherem Sinn, d. h. der Gesamtheit der durch ein 
gemeinsames Glaubensbekenntnis unter einer sich 
hieraus ergebenden Verfassung verbundenen Gläu- 
bigen (ein Begriff, der dem amerikanischen Staats- 
recht fremd ist). Um die Ernennung der Kultus- 
diener innerhalb dieser Körperschaften, um die 
Bildung von umfassenderen kirchlichen Sprengeln 
(wie Kirchenprovinzen) u. dgl. kümmert sich der 
Staat nicht. Die religiösen Vereine oder Körper- 
schaften können eine legale Existenz und das Recht 
einer juristischen Persönlichkeit (und damit das 
Recht, Eigentum für bestimmte Zwecke zu erwerben) 
dadurch erhalten, daß sie sich inkorporieren lassen. 
In fast allen Staaten bestehen Gesetze oder Sta- 
tuten, die generell die Bedingungen festsetzen, unter 
denen ein religiöser Verein Rechtsfähigkeit erwirbt. 
Die Möglichkeit, ein Vermögen dauernd für reli- 
giöse Zwecke nutzbar zu machen und so den Be- 
stand und die Forterhaltung des Kultus von dem 
jeweiligen wechselnden Bestand der Gläubigen, 
auf deren freiwilligen Beiträgen im allgemeinen 
die materielle Erhaltung des Kultus und seiner 
Diener beruht, teilweise unabhängig zu machen, 
besteht außerdem in der Form des Trufts, d. h. 
in der Form der ÜUbertragung eines Vermögens 
an einen Treuhänder, einen Fiduziar, der formell 
Eigentümer des Vermögens, aber rechtlich ver- 
pflichtet ist, es materiell entsprechend dem Willen 
des Stifters für einen bestimmten Zweck oder eine 
bestimmte Person zu verwenden; die Fortdauer 
des Trusts wird dadurch erreicht, daß bei dem 
Tod oder bei einem sonstigen Wegfall des Treu- 
händers das Gericht einen andern bestellt. Auch 
kann eine Verbindung zwischen einem religiösen 
inkorporierten Verein und einem Trust hergestellt 
werden, so daß dem Verein Vermögen in Form 
des Trusts zugewandt wird. Die religiösen Ver- 
eine unterstehen im allgemeinen dem gewöhnlichen 
bürgerlichen Recht; einer Ausnahmebehandlung 
unterliegen sie in einzelnen Beziehungen, vor allem 
durch die Amortisationsgesetze, indem den Ver- 
einen ein Höchstmaß für den Vermögenserwerb 
gesetzt oder die Testierfreiheit zugunsten religiöser 
Zwecke oder Vereine eingeschränkt ist; auch wird 
die stiftungsgemäße Verwendung des religiösen 
Zwecken dienenden Vermögens in gewissem Maß 
durch die staatlichen Gerichte beaussichtigt. Ander- 
seits werden den religiösen Vereinen gewisse Vor- 
züge gewährt: das Kuliusvermögen ist fast überall 
von Staats-, Grasschafts= und Ortssteuern frei, 
die Geistlichen sind pvom Geschworenen- und Mi- 
litärdienst befreit, und sie besitzen in den meisten 
Staaten die Fähigkeit, rechtsgültige Ehen ohne
	        
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