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religiösen Charakters, verboten). Die Staatsge-
walt greift nicht in die Sphäre der individuellen
religiösen Uberzeugung ein; das religiöse Bekennt-
nis darf keinen Einfluß auf die Rechtsstellung des
einzelnen in bürgerlich-rechtlicher und politischer
Beziehung haben, das Recht zur Bekleidung öffent-
licher Amter nicht von einem bestimmten Bekennt-
nis abhängig gemacht werden (in einigen Staaten
sind allerdings Atheisten oder Personen, die nicht
an ein Jenseits glauben, in andern alle Geistlichen
von öffentlichen Amtern ausgeschlossen; ein Ka-
tholik ist noch nie zum Präsidenten der Union ge-
wählt worden). Bei Erfüllung wichtiger Pflichten
des einzelnen gegenüber dem Staat wird auf dessen
religiöse Anschauungen weitgehende Rücksicht ge-
nommen; so dürfen in einer Anzahl von Staaten
Personen, die es nicht mit ihrem Gewissen verein-
baren können, Waffen zu tragen, für den persön-
lichen Dienst in der Miliz durch Geld Ersatz
leisten, diejenigen, die einen Eid zu schwören haben,
können dabei die ihrer religiösen Auffassung am
meisten entsprechende Form wählen usw. Die
rechtliche Gleichheit aller Kulte ist dadurch ge-
währleistet, daß weder die Union noch ein Einzel-
staat eine Staatskirche einführen oder eine religiöse
Körperschaft unterstützen darf; eine gewisse Aus-
nahme davon ist insofern vorhanden, als die
Union lange Zeit hindurch die konfessionellen
Schulen unter den Indianern unterstützte und als
vielfach in den einzelnen Staaten religiösen Kor-
porationen Subventionen mittelbar dadurch zu-
gewendet werden, daß diesen die Führung und
Verwaltung von Hospitälern, Asylen, Waisen-
häusern, Erziehungsanstalten usw. gegen Entgelt
übergeben oder derartige im Eigentum von reli-
giösen Vereinen stehende Anstalten und konfes-
sionelle Schulen aus staatlichen oder gemeind-
lichen Mitteln unterstützt werden.
Der Staat ist aber trotz voller Religionsfrei-
heit nicht vollkommen unchristlich, sondern nimmt
in seiner Rechtsordnung auf die Religion, be-
sonders die christliche, Rücksicht: so werden die
Sitzungen des Kongresses und die vieler Staats-
legislaturen durch ein Gebet eröffnet und zu diesem
Zweck staatlich besoldete Kapläne gehalten; es
werden von dem Präsidenten der Union und von
den Regierungen der einzelnen Staaten Dank-,
Buß- und Fasttage ausgeschrieben, das religiöse
Gefühl der zum Gottesdienst Versammelten wird
gegen Störungen strafrechtlich geschützt, die Blas-
phemie wird nach allgemeinem amerikanischen Recht
bestraft, die Sonntagsruhe durchweg gesegtzlich
durchgeführt. Der Staat teifft Sorge dafür, daß
die in staatlichen Anstalten, in Krankenhäusern,
Gefängmssen, im Heer und in der Marine be-
findlichen Personen Gelegenheit haben, ihre reli-
giösen Bedürfnisse zu befriedigen. Der Unterricht
in den öffentlichen Elementarschulen läßt heute die
Religion ganz unberücksichtigt, vielfach aber wird
der Unterricht durch Vorlesen von Bibelstellen oder
durch das Vaterunser eröffnet.
Vereinigte Staaten.
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In allen Staaten besteht das Recht der ein-
zelnen, sich auf Grund eines gemeinsamen reli-
giösen Bekenntnisses zur Ausübung des Kultus zu
versammeln und zu einem Verein oder einer
Körperschaft zusammenzuschließen; nur mit diesen
einzelnen organisierten religiösen Gesellschaften
oder Kirchengemeinden hat es die amerikanische
Gesetzgebung zu tun, nicht aber mit der Kirche in
höherem Sinn, d. h. der Gesamtheit der durch ein
gemeinsames Glaubensbekenntnis unter einer sich
hieraus ergebenden Verfassung verbundenen Gläu-
bigen (ein Begriff, der dem amerikanischen Staats-
recht fremd ist). Um die Ernennung der Kultus-
diener innerhalb dieser Körperschaften, um die
Bildung von umfassenderen kirchlichen Sprengeln
(wie Kirchenprovinzen) u. dgl. kümmert sich der
Staat nicht. Die religiösen Vereine oder Körper-
schaften können eine legale Existenz und das Recht
einer juristischen Persönlichkeit (und damit das
Recht, Eigentum für bestimmte Zwecke zu erwerben)
dadurch erhalten, daß sie sich inkorporieren lassen.
In fast allen Staaten bestehen Gesetze oder Sta-
tuten, die generell die Bedingungen festsetzen, unter
denen ein religiöser Verein Rechtsfähigkeit erwirbt.
Die Möglichkeit, ein Vermögen dauernd für reli-
giöse Zwecke nutzbar zu machen und so den Be-
stand und die Forterhaltung des Kultus von dem
jeweiligen wechselnden Bestand der Gläubigen,
auf deren freiwilligen Beiträgen im allgemeinen
die materielle Erhaltung des Kultus und seiner
Diener beruht, teilweise unabhängig zu machen,
besteht außerdem in der Form des Trufts, d. h.
in der Form der ÜUbertragung eines Vermögens
an einen Treuhänder, einen Fiduziar, der formell
Eigentümer des Vermögens, aber rechtlich ver-
pflichtet ist, es materiell entsprechend dem Willen
des Stifters für einen bestimmten Zweck oder eine
bestimmte Person zu verwenden; die Fortdauer
des Trusts wird dadurch erreicht, daß bei dem
Tod oder bei einem sonstigen Wegfall des Treu-
händers das Gericht einen andern bestellt. Auch
kann eine Verbindung zwischen einem religiösen
inkorporierten Verein und einem Trust hergestellt
werden, so daß dem Verein Vermögen in Form
des Trusts zugewandt wird. Die religiösen Ver-
eine unterstehen im allgemeinen dem gewöhnlichen
bürgerlichen Recht; einer Ausnahmebehandlung
unterliegen sie in einzelnen Beziehungen, vor allem
durch die Amortisationsgesetze, indem den Ver-
einen ein Höchstmaß für den Vermögenserwerb
gesetzt oder die Testierfreiheit zugunsten religiöser
Zwecke oder Vereine eingeschränkt ist; auch wird
die stiftungsgemäße Verwendung des religiösen
Zwecken dienenden Vermögens in gewissem Maß
durch die staatlichen Gerichte beaussichtigt. Ander-
seits werden den religiösen Vereinen gewisse Vor-
züge gewährt: das Kuliusvermögen ist fast überall
von Staats-, Grasschafts= und Ortssteuern frei,
die Geistlichen sind pvom Geschworenen- und Mi-
litärdienst befreit, und sie besitzen in den meisten
Staaten die Fähigkeit, rechtsgültige Ehen ohne