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vertritt mehr die leichte Industrie (Deutsche Arbeit-
geberzeitung).
Zur Erreichung ihrer Zwecke bedienen sich die
Arbeitgebervereinigungen ähnlicher Mittel wie die
Arbeiterkoalitionen. Die Arbeitsbedingungen wer-
den tunlichst gemeinsam beraten und festgesetzt.
Bei dieser Gegenkoalition der Arbeitgeber hat sich
eine besondere Technik herausgebildet: Organi-
sation eines in ihrer Hand befindlichen Arbeits-
nachweises, Entlassungsscheine, schwarze Listen zur
Kennzeichnung der Streiker usw. Es ist klar, daß
diese Gegenorganisation der Unternehmer ein ge-
waltiges Machtmittel darstellt, indem sie meist nur
verhältnismäßig wenig Personen umfaßt gegen-
über den nach Tausenden zählenden Arbeiter-
koalitionen. Dieses gewährleistet ihnen eine viel
leichter zu erzielende Einigkeit, Schnelligkeit der Ak-
tion und Ausschluß der Offentlichkeit, welch letzleres
für sie die Einschränkungen des Vereins= und Ver-
sammlungsrechts kaum in Betracht kommen läßt.
9. Ausdehnung und Weiterbildung
des Vereinigungsrechts. Insbesondere der
Frankfurter Arbeiterkongreß 1908 hat sich mit der
Ausgestaltung des Vereinigungsrechts befaßt,
privatrechtlichen Schutz und Rechtsfähigkeit der
Berufsvereine, Ausdehnung des Vereinigungs-
rechts auf landwirtschaftliche Arbeiter und das
Gesinde sowie Aufhebung des § 153 G.O. ver-
langt. Eine Erweiterung des Vereinigungsrechts
und eine bessere privatrechtliche Sicherstellung der
Berufsvereine bezweckte der dem Reichstag im Nov.
1906 vorgelegte Entwurf eines „Gesetzes betr.
gewerbliche Berufsvereine", der aber vor allem an
einem Hereinziehen politischer Momente krankte,
dadurch daß er eine Scheidung sozialdemokrati-
scher und nationaler Gewerkschaften, Zurückdrän-
gung der einen, wirksame Förderung der andern
bezweckte. Der Entwurf wurde einer Kommission
überwiesen und durch die Reichstagsauflösung vom
Dez. 1906 hinfällig. Im Jahr 1908 erschien
ein erneuter Antrag des Zentrums zwecks Weiter-
bildung des Arbeiterrechts, durch den Sicherung
und Ausbau des Vereinigungsrechts und eine auf
freiheitlicher Grundlage aufgebaute Reglung der
privatrechtlichen Verhältnisse der Berufsvereine
aller Art verlangt wurde. „Eine Ergänzung zu
dem vorhandenen Schutz der Arbeitswilligen muß
sein ein Schutz der Koalitionswilligen“" (Trim-
born). Die innere Grenze des Vereinigungsrechts
mit dem Recht auf Ausstand und Aussperrung
bildet die Wohlfahrt der Gesamtheit. Die Rechte
des einzelnen oder einzelner Berufsgruppen be-
grenzen sich an den Rechten der Gesamtheit. Das
Wohl der Gesamtheit würde dann gefährdet sein,
Vereinigungsrecht.
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10. Vereinigungsrecht der geistigen
Arbeiter. In unserem Wirtschaftsleben haben
sich bisher nur Arbeitgeber und körperlich Arbei-
tende gegenüber gestanden, zwischen denen die
wirtschaftliche Auseinandersetzung erfolgte. Wäh-
rend der früher vereinzelt und machtlos dastehende
Handarbeiter heute durch Organisation zum Macht-
faktor geworden ist, ist eine Organisation des
dritten Faktors unseres Wirtschaftslebens, der
geistigen Arbeiter — Privatangestellte, Privat=
beamte, öffentliche Beamte — erst im Entstehen
begriffen. Am weitesten vorgeschritten ist die Ver-
einigung der Privatbeamten mit etwa /4 Mill.
Personen, während jedoch die Organisation der
Handarbeiter bereits 2½ Mill. Personen umfaßt
mit etwa 50 Mill. J1 jährlichen Ausgaben und
einem Vermögensstand von etwa 50 Mill. M.
Das Angebot geistiger Arbeit hat sich stark ver-
mehrt, während die Nachfrage nach geistiger Ar-
beit sich nicht so gesteigert hat, wie dies durch die
gewaltige industrielle Entwicklung für die körper-
liche Arbeit der Fall gewesen ist. Hierdurch ist für
geistige Arbeit der Lohn vielfach ein verhältnis-
mäßig geringerer als für körperliche Arbeit, so daß
dieser Lohn oft nicht mehr das angelegte Bildungs-
kapital verzinst und die standesgemäßen Lebens-
bedürfnisse deckt. Durch diese Entwicklung werden
immer mehr Berufsgruppen von geistig arbeiten-
den Angestellten vom Gedanken der Ausnutzung
des gewerblichen Koalitionsrechts erfaßt und zur
gewerkschaftlichen Klassenorganisation geführt. Und
schließlich sehen wir, wie derselbe Gedanke auch die
geistig arbeitenden Selbständigen erfaßt: Im
Leipziger Verband zur Hebung der wirtschaftlichen
Interessen der Arzte Deutschlands sind bereits
32.00 urzte organisiert, das ist nach Ausscheiden
der beamteten Arzte etwa Dreiviertel des ganzen
Arztestandes. Wir hören von Arztestreiks, von Be-
wegung der Kapitäne und Offiziere der Handels-
marine.
So bildet die wirtschaftliche Organisation der
geistigen Arbeiter den Abschluß im Ubergang von
der individualistischen Volkswirtschaft zur organi-
sierten, die mehr und mehr an Stelle des Einzel-
vertrags den Tarifvertrag stellt, gleichwie auf
anderem Gebiet die Einzelhilfe ergänzt wird durch
die organisierte Staatshilse (Leo). Aus dem Zeit-
alter des Individualismus treten wir ein in das
Zeitalter der Organisation.
Literatur. Bassermann u. Giesberts, Die Ar-
beiterberufsvereine, in Schriften der Gesellschaft für
Soziale Reform, Hft 2 (1901); v. Berlepsch, Das
Koalitionsrecht der Arbeiter, Sonderabdruck aus der
„Sozialen Praxis" (1904); Biederlack S. J., Zeitschr.
wenn durch die Austragung von Differenzen sei. für kathol. Theologie (Innsbruck 1910) Hft 2, 286
tens einer Koalition von Arbeitnehmern oder
Arbeitgebern ein öffentlicher Notstand absichtlich
herbeigeführt würde. Das ist gegeben, wenn nicht
der Streik selbst, das Aussetzen der Arbeit, son-
dern die Hervorrufung des öffentlichen Notstands
als Kampfmittel benutzt werden soll.
bis 306; ders., Theologische Fragen ÜNber die ge-
werkschaftl. Bewegung, in Soziale Bücherei, hrsg.
von der Hauptstelle des Verbands süddeutsch. kathol.
Arbeitervereine (München 1910); L. Brentano, Der
Schutz der Arbeitswilligen (1899); ders., Das Ar-
beitsverhältnis gemöß dem heutigen Recht (1877);
van der Borght, Die Weiterbildung des Koalitions-