Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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einen und Versammlungen betätigen, aber auch 
auf andere Art, z. B. durch bloße Verträge, die 
keine Vereinsbildung bedeuten (s. Vereinigungs- 
(Koalitions(recht). Andere wollen Berufsvereine 
als sozialpolitische Zwecke verfolgend hingestellt 
wissen, wenn sie nicht nur das Interesse ihrer 
Mitglieder, sondern ganzer Berufsklassen verfolgen 
und zur Erreichung ihrer Zwecke die Organe und 
Funktionen des Staats in Anspruch nehmen wollen. 
Jedenfalls ignorieren die Gewerkschaften usw. so- 
wohl den §8 3 über die Vereine als auch den § 5 
über die Anmeldepflicht öffentlicher politischer Ver- 
sammlungen. 
Es muß eine „Einwirkung“ auf politische 
Angelegenheiten bezweckt werden. Einwirkung be- 
deutet ein Handeln, das unmittelbar die Ande- 
rung eines bestehenden Zustands zum Zweck hat. 
Dieses Moment fehlt also z. B. da, wo es sich 
lediglich um eine Belehrung oder Aufklärung 
handelt. 
3. Personenmehrheiten, die vorübergehend zu- 
sammentreten, um im Auftrag von Wahlberech- 
tigten Vorbereitungen für bestimmte 
Wahlen zu den auf Gesetz oder Anordnung 
von Behörden beruhenden öffentlichen Körper- 
schaften zu treffen, gelten vom Tag der Bekannt- 
machung des Wahltags bis zur Beendigung der 
Wahlhandlung nicht als politische Vereine (§ 4). 
Hiernach sollen die zur Vorbereitung einer Wahl 
üblichen Wahlkomitees (Wahlvereine) von den im 
§ 3 vorgeschriebenen Verpflichtungen entbunden 
werden. Wahlen jeglicher Art kommen in Be- 
tracht, also z. B. auch Handels-, Handwerks- 
kammerwahlen, Wahlen zu den Gewerbegerichten, 
Krankenkassenvorständen usw. 
4. Wer eine öffentliche Versammlung zur Er- 
örterung — nicht „Einwirkung“ wie bei §3 — poli- 
tischer Angelegenheiten (politische Versammlung) 
veranstalten will, hat hiervon mindestens 24 Stun- 
den vor dem Beginn der Versammlung unter An- 
gabe des Orts, der Zeit, bei der Polizeibehörde 
Anzeige zu erstatten (§ 5). Also nur unter den 
beiden Voraussetzungen, daß die Versammlung 
öffentlich und zur Erörterung politischer Angelegen- 
heiten veranstaltet wird, muß eine Versammlung 
bei der Polizei angezeigt werden. Also alle 
nicht öffentlichen und nicht politischen Versamm- 
lungen brauchen überhaupt nicht angemeldet zu 
werden. Was ist eine Versammlung? Unter Ver- 
sammlung versteht man jede absichtliche Vereini- 
gung an demselben Ort zu einem gemeinsamen, 
schnell vorübergehenden Zweck. Wann ist eine 
Versammlung öffentlich? Sie ist dann öffentlich, 
wenn zu ihr nach der Art der Zusammenberufung 
nicht nur ein bestimmter, begrenzter Personenkreis, 
sondern jedermann oder doch eine unbestimmte 
Menschenmenge Zutritt haben soll. Auch Vereins- 
versammlungen, an denen nur Vereinsmitglieder 
teilnehmen, können öffentlich sein, nämlich dann, 
wenn die Vereinszusammenkunft durch die räum- 
liche Ausdehnung des Vereinsgebiets, die große 
Vereins= und Versammlungsrecht. 
  
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Zahl der Mitglieder, die lose Vereinsorganisation, 
den leichten Erwerb der Mitgliedschaft die Merk- 
male einer öffentlichen Versammlung in sich trägt. 
5. Ausnahmen von der Anzeigepflicht für öffent- 
liche politische Versammlungen. a) Einer Anzeige 
bedarf es nicht für Versammlungen, die öffent- 
lich bekannt gemacht worden sind; die Erforder- 
nisse der Bekanntmachung bestimmt die Landes- 
zentralbehörde (§ 6, Abs. 1). b) Einer Anzeige 
bedarf es ferner nicht für Versammlungen der 
Wahlberechtigten zum Betrieb der Wahlen zu den 
auf Gesetz oder Anordnung der Behörden beruhen- 
den öffentlichen Körperschaften vom Tag der amt- 
lichen Bekanntmachung des Wahltags bis zur 
Beendigung der Wahlhandlung (§ 6, Abs. 2). 
Versammlungen zur Entgegennahme des Wahl- 
resultats sind nicht anmeldepflichtig, wenn in ihnen 
keine politischen Reden gehalten werden, also ledig- 
lich das Resultat der Wahlen mitgeteilt wird; 
denn nichtpolitische Versammlungen, auch wenn 
sie öffentlich sind, sind nicht anzeigepflichtig. Fin- 
det aber nach der Hauptwahl noch eine Stichwahl 
statt, dann dürfen in einer solchen Versammlung 
noch politische Reden gehalten werden, denn die 
Wahlhandlung ist ja noch nicht geschlossen. c) Das 
gleiche gilt für Versammlungen der Gewerbe- 
treibenden, gewerblichen Gehilfen, Gesellen, Fa- 
brikarbeiter, Besitzer und Arbeiter von Bergwerken, 
Salinen, Aufbereitungsanstalten und unterirdisch 
betriebenen Brüchen und Gruben zur Erörterung 
von Verabredungen und Vereinigungen zum Be- 
huf der Erlangung günstiger Lohn= und Arbeits- 
bedingungen, insbesondere mittels Einstellung der 
Arbeit oder Entlassung der Arbeiter (§6, Abf. 3). 
In gewerkschaftlichen Kreisen nimmt man an, daß 
der Absatz 3 des § 6 von der gesetzlich bestehenden 
Meldepflicht des § 5gerade solche öffentliche 
gewerbliche Versammlungen ausnehmen, die die 
Frage des Arbeitsverhältnisses in unmittel- 
barer Beziehung auf den Staat oder seine 
Organe behandeln; denn so folgert man, der 86, 
Abs. 3 muß Versammlungen betreffen, die an sich 
der Verpflichtung des § 5 unterliegen würden, 
also öffentliche, die zur Erörterung politischer 
Angelegenheiten bestimmt sind, sonst wäre der Ab- 
satz ja ganz überflüssig. 
Seitens der Gewerkschaften wird seit dem In- 
krafttreten des R.V.G. in diesem Sinn verfahren, 
Gewerkschaftsversamml werden nicht mehr 
angemeldet. 
III. Beschränkungen des Vereins= und 
Versammlungsrechts. „Dieses Recht unterliegt 
polizeilich nur den in diesem Gesetz und andern 
Reichsgesetzen enthaltenen Beschränkungen.“ Durch 
das Wort „polizeilich“ soll zum Ausdruck gebracht 
werden, daß etwaige „den einzelnen beschränkende, 
zivilrechtliche oder disziplinarische Bestimmungen“ 
durch das Vereinsgesetz nicht berührt werden sollen. 
Es soll damit „kraft primären Rechts dem Vater 
und dem Lehrherrn vermöge ihres Gewaltverhält- 
nisses, der Schule aller Grade vermöge der Schul-
	        
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