Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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hoben oder wird der Einspruch endgültig zurück- 
gewiesen, so hat die Eintragung zu erfolgen, und 
damit erwirbt der Verein Rechtsfähigkeit. Die 
eingetragenen Vereine sind verpflichtet, jede Ande- 
rung der Statuten und die erneute Bestellung von 
Vorstandsmitgliedern zur Eintragung in das Ver- 
einsregister anzumelden sowie auf Verlangen des 
Amtsgerichts jederzeit ein Verzeichnis der Vereins- 
mitglieder einzureichen (88 55/72). 
Dagegen istderin der Reichstagssession 1895/96 
aus der Initiative des Reichstags heraus unter- 
nommene Versucheiner weiteren allgemeinen reichs- 
rechtlichen Reglung des Vereinsrechts ge- 
scheitert. Es war dies nicht der erste Versuch 
gleicher Art. Schon im Jahr 1869 hatte der 
Reichstagsabgeordnete Schulze (Delitzsch) dem 
Reichstag einen Gesetzentwurf vorgelegt, welcher 
bezweckte, auch Vereinen, welche nicht auf Erwerb, 
Gewinn oder einen eigentlichen Geschäftsbetrieb 
abzielen, nach Analogie der im Gesetz vom 4. Juli 
1868 für die Erwerbs= und Wirtschaftsgenossen- 
schaften festgestellten Grundsätze die Rechtspersön- 
lichkeit zu verschaffen und damit an die Stelle der 
konzessionsweisen Verleihung der Korporations-= 
rechte Normativbedingungen treten zu lassen. Der 
Reichstag nahm diesen Gesetzentwurf im wesent- 
lichen an; derselbe fand indes nicht die Zustim- 
mung des Bundesrats. Auch der im Jahr 1873 
gemachte Versuch des (mecklenburgischen) Abgeord- 
neten Wiggers und Genossen, ein allgemeines 
Reichsgesetz betr. Vereine und Versammlungen 
zustande zu bringen, war erfolglos, da schon die 
betreffende Kommission gegen den vorgeschlagenen 
Entwurf sich aussprach und die Angelegenheit im 
Plenum nicht weiter verfolgt wurde. Der bei der 
Beratung des B.G.B. im Jahr 1896 wiederholte 
Versuch scheiterte an dem Widerspruch der ver- 
bündeten Regierungen. Doch ist für die politi- 
schen, sozialpolitischen und religiösen Vereine die 
Lage durch das B.G. B. insoweit verbessert, als 
über einen Einspruch der Behörde gegen die Ein- 
tragung in das Vereinsregister nicht mehr im ge- 
heimen Verwaltungsverfahren, sondern im öffent- 
lichen Verwaltungsstreitverfahren unter Mitwir- 
kung von Laienrichtern im Kreis= und Bezirks- 
ausschuß entschieden wird. 
Ist so durch das B.G.B. die Rechtslage der 
privaten Vereine nicht unwesentlich gebessert, so 
werden doch auch künftig zahlreiche Vereine der 
Rechtsfähigkeit entbehren. Insbesondere zeigen 
sich die meisten Staatsregierungen zunächst keines- 
wegs geneigt, den politischen und sozialpolitischen 
Vereinen, insbesondere den Vereinen der Arbeiter 
die Erlangung der Rechtsfähigkeit zu ermöglichen. 
Nach dem B.G.B. (§ 54) sind die nicht rechts- 
sähigen Vereine Gesellschaften und unterstehen dem 
Recht der Gesellschaften, soweit für sie nicht be- 
sondere Bestimmungen gegeben sind. Namentlich 
die Verleihung der Rechtsfähigkeit an die Arbeiter- 
berufsvereine wird in der Zukunft eine bedeutsame 
Rolle spielen. 
  
Vereins= und Versammlungsrecht. 
  
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In der Sitzung des Reichstags vom 11. Dez. 
1896 gelangte eine bei Beratung des B.G.B. von 
der Kommission vorgeschlagene Resolution, welche 
die Erwartung ausspricht, daß die Rechtsverhält- 
nisse der Berufsvereine für das Deutsche 
Reich tunlichst bald einheitlich geregelt werden, mit 
großer Mehrheit zur Annahme. Die verbündeten 
Regierungen haben dieser Resolution keine Folge 
gegeben, sich vielmehr wiederholten Anregungen 
des Reichstags gegenüber ablehnend verhalten. 
Ein gewisses Entgegenkommen wurde erst gezeigt 
gegenüber der am 30. Jan. 1904 im Reichstag 
verhandelten Interpellation der Abgeordneten 
Trimborn, Dr Hitze, Gröber und Genossen be- 
treffend Reglung der Rechtsverhältnisse der Be- 
rufsvereine. Der Staatssekretär des Innern gab 
bei dieser Gelegenheit namens der verbündeten 
Regierungen folgende Erklärung ab: „Die ver- 
bündeten Regierungen sind grundsätzlich nicht ab- 
geneigt, die Rechtsfähigkeit der Berufsvereine der 
unter die Gewerbeordnung fallenden Arbeiter und 
Arbeiterinnen anzuerkennen und diese Berufs- 
vereine somit als juristische Personen auszugestal= 
ten mit allen Rechten und Pflichten, welche solche 
Körperschaften zu haben pflegen. Die verbündeten 
Regierungen gehen aber hierbei, um zu einer 
Einigung im Bundesrat zu gelangen, von der 
Auffassung aus, daß eine derartige Gesetzgebung 
die Arbeiler in den Reichs= und Staatsbetrieben 
und gewissen öffentlichen Anlagen, welche dringende 
und wichtige Aufgaben für die Allgemeinheit zu 
erfüllen haben, nicht einzubegreifen hat. Die ver- 
bündeten Regierungen gehen ferner von der Auf- 
fassung aus, daß bei einer derartigen gesetzlichen 
Reglung ausreichende Fürsorge zu treffen ist, daß 
auch die Minderheiten genügend geschützt sind, 
und daß die anerkannten Berufsvereine, welche 
lediglich die wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter 
vertreten sollen, sich von dieser gesetzlichen und 
eventuell statutarischen Grundlage nicht entfernen 
dürfen“ (Stenograph. Bericht über die 22. Sitzung 
des Reichstags vom 30. Jan. 1904, S. 610). 
Auch der Frankfurter Arbeiterkongreß war in 
dieser Hinsicht eine bedeutsame Kundgebung. Zu- 
letzt wurde im Jahr 1908 vom Zentrum ein An- 
trag auf Weiterbildung des Arbeiterrechts einge- 
bracht, durch den eine auf freiheitlicher Grundlage 
aufgebaute Reglung der privatrechtlichen 
Verhältnisse der Berufsvereine aller Art gefordert 
wurde (I. Session 1907/08, Drucksachen Nr 512). 
C. Ausland. Weitgehenden Beschränkungen 
unterliegt das Vereins= und Versammlungswesen 
in Osterreich, obschon das Staatsgrundgesetz 
den Grundsatz der Vereins= und Versammlungs- 
freiheit aufstellt. Uber die preußische Berordnung 
vom 11. März 1850 noch hinausgehend sind ins- 
besondere die folgenden Bestimmungen. Die Be- 
hörde kann die Bildung jedes Vereins untersagen, 
wenn er nach seinen Zwecken oder seiner Einrich- 
tung rechtswidrig oder staatsgefährlich erscheint. 
Die Behörde kann jede Vereinsversammlung auf- 
 
	        
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