Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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nehmer sowohl wirtschaftlich wie rechtlich auch die 
Versicherer. 
Kaum hatte das Versicherungswesen seine Ent- 
wicklung begonnen, so bemächtigte sich das Kapital 
derselben als einer guten Anlagegelegenheit. Es 
wurden Versicherungsaktiengesellschaf— 
ten gegründet (ca 20 % eingezahlt, der Rest durch 
Solawechsel gedeckt), die gegen eine feste Prämie 
Risiken übernahmen. Wirtschaftlich sind auch hier 
die Versicherungsnehmer zugleich die Versicherer, 
da die von den Versicherungsnehmern gezahlten 
Prämien zur Regulierung der Schadensfälle dienen 
müssen. Der volkswirtschaftliche Gedanke der Ver- 
teilung kommt bei den Aktiengesellschaften ebenso 
zum Ausdruck wie bei denen auf Gegenseitigkeit. 
Dagegen sind rechtlich nur die Gesellschaften die 
Versicherer, nicht aber die Versicherungsnehmer. 
Daher haben sie auch die Pflicht, wenn die Prä- 
mien zum Schadenersatz nicht hinreichen, mit 
ihrem Vermögen einzutreten, während anderseits 
jeder Überschuß ihr Eigentum ist. Welcher der 
beiden Betriebsformen ist nun der Vorzug zu 
geben? Die Aktiengesellschaften haben den Vor- 
zug, daß niemals Nachzahlungen verlangt werden, 
und gerade dieser Umstand bestimmt viele Ver- 
sicherungsbedürftige, einer Aktiengesellschaft sich 
anzuvertrauen. Indes ist in den meisten Branchen, 
in denen die Aktiengesellschaften arbeiten, auch bei 
den Gegenseitigkeitsanstalten ein Nachschuß so gut 
wie ausgeschlossen, z. B. bei Feuer= und Lebens- 
versicherung. Dagegen besteht theoretisch der Vor- 
teil der Gesellschaften auf Gegenseitigkeit darin, 
daß die Verficherten Anteil haben an allem Über- 
schuß, d. h. am Gewinn, während er bei den 
Schwesternanstalten rechtlich nur den Aktionären 
zufällt. Doch hat die Geschäftspolitik auch diesen 
Vorteil zu paralysieren gewußt. Durch die Kon- 
kurrenz gezwungen, gewähren nämlich auch die 
Aktiengesellschaften Anteil am Gewinn. Man kann 
z. B. bei einer Aktiengesellschaft ebensogut eine 
Lebensversicherung mit steigender Dividende ab- 
schließen wie bei einer Gegenseitigkeitsanstalt; nur 
der Unterschied bleibt bestehen, daß bei einer 
Gesellschaft auf Gegenseitigkeit niemals eine Ver- 
sicherung ohne Anteil am Gewinn möglich ist, 
während eine Aktiengesellschaft auch solche Ver- 
sicherungen in ihren Plan aufnimmt. In dieser 
Tatsache kommt konkret zum Ausdruck, daß, wenn 
auch äußerlich der Betrieb beider Schwestern- 
anstalten meistens einander gleich, doch die recht- 
liche Struktur des Betriebs grundverschieden ist. 
Ein Vorzug der Gesellschaften auf Gegenseitigkeit 
ist es auch, daß jeder Versicherte in seiner Eigen- 
schaft als Versicherer teil hat an der Verwaltung, 
während er bei den Aktiengesellschaften rechtlich 
davon ausgeschlossen ist. Lassen auch diese einige 
ihrer Versicherten an der Beaufsichtigung des Be- 
triebs teilnehmen, so geschieht dies aus geschäft- 
lichen, nicht aber der Natur des Vertrags ent- 
nommenen Gründen. Anderseits ist es aber auch 
bei einer großen, sehr verzweigten Gegenseitigkeits- 
Versicherungswesen. 
  
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anstalt nicht möglich, alle Mitglieder an dem Be- 
trieb in der Weise teilnehmen zu lassen, wie es 
ihnen rechtlich zukäme. Auch in dieser Beziehung 
ist daher der Geschäftsgang beider Anstalten äußer- 
lich der nämliche. Wird daher der äußere Betrieb 
betrachtet, so stehen beide Gesellschaftsformen ziem- 
lich gleich. 
V. Geschichtliches. Man hat schon in der alten 
Kulturwelt die Versicherung finden wollen; indes 
steht heute fest, daß dieses ein mehr entwickeltes 
wirtschaftliches Leben voraussetzende Institut den 
Griechen wie den Römern unbekannt war. Ansätze 
zur Versicherung finden wir freilich auch schon im 
Altertum. Hierher gehört vor allem das See- 
darlehen, aus dem sich die Prämienversicherung 
entwickelt hat. Der eigentlichen Versicherung aber 
begegnen wir erst zu Anfang des 14. Jahrh., und 
zwar in Italien, wo in den Handelsbüchern von 
Del Bene e compagni aus den Jahren 1318 
bis 1320 Unkosten für See= und Landtrans- 
portversicherungen aufgeführt werden. Das 
alteste amtliche Aktenstück über Assekuranz, eine 
Sieneser Notariatsurkunde, ist vom 22. April 
1329 datiert. Nun entwickelte sich das Ver- 
sicherungswesen rasch, wozu sicher auch die kirch- 
lichen Zinsverbote ihr gutes Teil beitrugen. 1393 
hat ein und derselbe Notar in Genua innerhalb 
drei Wochen ungefähr 80 Assekuranzverträge auf- 
genommen; 1434 sind in Genua sieben Makler 
ansässig, die Versicherungsgeschäfte vermitteln. 
Jahrhundertelang war die Versicherung nur Klein- 
betrieb, indem sie von einzelnen Großkapitalisten 
gewährt wurde; nur bei größeren Risiken ver- 
bündeten sich solche zu Gesellschaften, wie dies 
auch heute noch bei den Lloyd's private under- 
writers geschieht. So werden in der ersten, in 
Antwerpen 1531 aufgestellten deutschen Police 
44 Versicherer aufgezählt. Der ältesten eigent- 
lichen Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit 
begegnen wir in Portugal unter König Fernando 
(1367/83). Nach detaillierten Vorschriften sollte 
ein eventueller Schaden auf alle Schiffer verteilt 
werden. Indessen war und blieb jene Zwangs- 
versicherungsanstalt eine vereinzelte Erscheinung 
jener Zeit. Der Kleinbetrieb der Versicherung war 
für Versicherer wie Versicherte mit großer Gefahr 
verbunden, weshalb im 17. Jahrh. Aktiengesell- 
schaften gegründet und von den Regierungen pri- 
vilegiert wurden. Gleichzeitig und im kleinen auch 
schon früher entstanden auch Gegenseitigkeits- 
anstalten. Während bis zu Beginn des 18. Jahrh. 
Italien, Spanien, Portugal und die Niederlande 
die Heimat der Seeversicherung waren, übernahm 
von da ab England die Führung. Als 1824 das 
der Royal Exchange Company und Assurance 
Corporation seit 1720 verliehene Monopol auf- 
gehoben wurde, entstanden zahlreiche englische 
Gesellschaften, die mit der Transportversicherung 
sich beschäftigten. In Deutschland finden wir die 
erste Seeversicherungsgesellschaft 1769 in Ham- 
burg. Seit dem Anfang des 19. Jahrh. dehnte
	        
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