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nehmer sowohl wirtschaftlich wie rechtlich auch die
Versicherer.
Kaum hatte das Versicherungswesen seine Ent-
wicklung begonnen, so bemächtigte sich das Kapital
derselben als einer guten Anlagegelegenheit. Es
wurden Versicherungsaktiengesellschaf—
ten gegründet (ca 20 % eingezahlt, der Rest durch
Solawechsel gedeckt), die gegen eine feste Prämie
Risiken übernahmen. Wirtschaftlich sind auch hier
die Versicherungsnehmer zugleich die Versicherer,
da die von den Versicherungsnehmern gezahlten
Prämien zur Regulierung der Schadensfälle dienen
müssen. Der volkswirtschaftliche Gedanke der Ver-
teilung kommt bei den Aktiengesellschaften ebenso
zum Ausdruck wie bei denen auf Gegenseitigkeit.
Dagegen sind rechtlich nur die Gesellschaften die
Versicherer, nicht aber die Versicherungsnehmer.
Daher haben sie auch die Pflicht, wenn die Prä-
mien zum Schadenersatz nicht hinreichen, mit
ihrem Vermögen einzutreten, während anderseits
jeder Überschuß ihr Eigentum ist. Welcher der
beiden Betriebsformen ist nun der Vorzug zu
geben? Die Aktiengesellschaften haben den Vor-
zug, daß niemals Nachzahlungen verlangt werden,
und gerade dieser Umstand bestimmt viele Ver-
sicherungsbedürftige, einer Aktiengesellschaft sich
anzuvertrauen. Indes ist in den meisten Branchen,
in denen die Aktiengesellschaften arbeiten, auch bei
den Gegenseitigkeitsanstalten ein Nachschuß so gut
wie ausgeschlossen, z. B. bei Feuer= und Lebens-
versicherung. Dagegen besteht theoretisch der Vor-
teil der Gesellschaften auf Gegenseitigkeit darin,
daß die Verficherten Anteil haben an allem Über-
schuß, d. h. am Gewinn, während er bei den
Schwesternanstalten rechtlich nur den Aktionären
zufällt. Doch hat die Geschäftspolitik auch diesen
Vorteil zu paralysieren gewußt. Durch die Kon-
kurrenz gezwungen, gewähren nämlich auch die
Aktiengesellschaften Anteil am Gewinn. Man kann
z. B. bei einer Aktiengesellschaft ebensogut eine
Lebensversicherung mit steigender Dividende ab-
schließen wie bei einer Gegenseitigkeitsanstalt; nur
der Unterschied bleibt bestehen, daß bei einer
Gesellschaft auf Gegenseitigkeit niemals eine Ver-
sicherung ohne Anteil am Gewinn möglich ist,
während eine Aktiengesellschaft auch solche Ver-
sicherungen in ihren Plan aufnimmt. In dieser
Tatsache kommt konkret zum Ausdruck, daß, wenn
auch äußerlich der Betrieb beider Schwestern-
anstalten meistens einander gleich, doch die recht-
liche Struktur des Betriebs grundverschieden ist.
Ein Vorzug der Gesellschaften auf Gegenseitigkeit
ist es auch, daß jeder Versicherte in seiner Eigen-
schaft als Versicherer teil hat an der Verwaltung,
während er bei den Aktiengesellschaften rechtlich
davon ausgeschlossen ist. Lassen auch diese einige
ihrer Versicherten an der Beaufsichtigung des Be-
triebs teilnehmen, so geschieht dies aus geschäft-
lichen, nicht aber der Natur des Vertrags ent-
nommenen Gründen. Anderseits ist es aber auch
bei einer großen, sehr verzweigten Gegenseitigkeits-
Versicherungswesen.
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anstalt nicht möglich, alle Mitglieder an dem Be-
trieb in der Weise teilnehmen zu lassen, wie es
ihnen rechtlich zukäme. Auch in dieser Beziehung
ist daher der Geschäftsgang beider Anstalten äußer-
lich der nämliche. Wird daher der äußere Betrieb
betrachtet, so stehen beide Gesellschaftsformen ziem-
lich gleich.
V. Geschichtliches. Man hat schon in der alten
Kulturwelt die Versicherung finden wollen; indes
steht heute fest, daß dieses ein mehr entwickeltes
wirtschaftliches Leben voraussetzende Institut den
Griechen wie den Römern unbekannt war. Ansätze
zur Versicherung finden wir freilich auch schon im
Altertum. Hierher gehört vor allem das See-
darlehen, aus dem sich die Prämienversicherung
entwickelt hat. Der eigentlichen Versicherung aber
begegnen wir erst zu Anfang des 14. Jahrh., und
zwar in Italien, wo in den Handelsbüchern von
Del Bene e compagni aus den Jahren 1318
bis 1320 Unkosten für See= und Landtrans-
portversicherungen aufgeführt werden. Das
alteste amtliche Aktenstück über Assekuranz, eine
Sieneser Notariatsurkunde, ist vom 22. April
1329 datiert. Nun entwickelte sich das Ver-
sicherungswesen rasch, wozu sicher auch die kirch-
lichen Zinsverbote ihr gutes Teil beitrugen. 1393
hat ein und derselbe Notar in Genua innerhalb
drei Wochen ungefähr 80 Assekuranzverträge auf-
genommen; 1434 sind in Genua sieben Makler
ansässig, die Versicherungsgeschäfte vermitteln.
Jahrhundertelang war die Versicherung nur Klein-
betrieb, indem sie von einzelnen Großkapitalisten
gewährt wurde; nur bei größeren Risiken ver-
bündeten sich solche zu Gesellschaften, wie dies
auch heute noch bei den Lloyd's private under-
writers geschieht. So werden in der ersten, in
Antwerpen 1531 aufgestellten deutschen Police
44 Versicherer aufgezählt. Der ältesten eigent-
lichen Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit
begegnen wir in Portugal unter König Fernando
(1367/83). Nach detaillierten Vorschriften sollte
ein eventueller Schaden auf alle Schiffer verteilt
werden. Indessen war und blieb jene Zwangs-
versicherungsanstalt eine vereinzelte Erscheinung
jener Zeit. Der Kleinbetrieb der Versicherung war
für Versicherer wie Versicherte mit großer Gefahr
verbunden, weshalb im 17. Jahrh. Aktiengesell-
schaften gegründet und von den Regierungen pri-
vilegiert wurden. Gleichzeitig und im kleinen auch
schon früher entstanden auch Gegenseitigkeits-
anstalten. Während bis zu Beginn des 18. Jahrh.
Italien, Spanien, Portugal und die Niederlande
die Heimat der Seeversicherung waren, übernahm
von da ab England die Führung. Als 1824 das
der Royal Exchange Company und Assurance
Corporation seit 1720 verliehene Monopol auf-
gehoben wurde, entstanden zahlreiche englische
Gesellschaften, die mit der Transportversicherung
sich beschäftigten. In Deutschland finden wir die
erste Seeversicherungsgesellschaft 1769 in Ham-
burg. Seit dem Anfang des 19. Jahrh. dehnte