Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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öffentlicht jährlich Mitteilungen über den Stand 
der seiner Aussicht unterliegenden Versicherungs- 
unternehmungen sowie über seine Wahrnehmungen 
auf dem Gebiet des Versicherungswesens. — Der 
sechste Abschnitt ist den ausländischen Versicherungs- 
unternehmungen gewidmet. Dieselben müssen inner- 
halb des Reichsgebiets eine Niederlassung unter- 
halten und sind im allgemeinen den inländischen 
gleichgestellt. Jedoch kann auf Antrag des Reichs- 
kanzlers der Bundesrat gegen zugelassene aus- 
ländische Unternehmungen die Untersagung des 
Geschäftsbetriebs nach freiem Ermessen beschließen. 
— Des siebte Abschnitt gibt Ubergangsvorschriften, 
während der achte Strafvorschriften enthält. Vom 
letzten Abschnitt (Schlußvorschriften) muß nament- 
lich die Bestimmung hervorgehoben werden, daß 
Unternehmungen, welche die Versicherung gegen 
Kursverluste oder die Transportversicherung oder 
ausschließlich die Rückversicherung zum Gegenstand 
haben, mit Ausnahme der Versicherung auf Gegen- 
seitigkeit, der Zulassung nicht bedürfen und auch 
keiner behördlichen Beaufsichtigung unterliegen. 
Die auf Grund landesgesetzlicher Vorschriften er- 
richteten öffentlichen Versicherungsanstalten unter- 
liegen den Vorschriften des Gesetzes nicht. Auf- 
gehoben werden endlich die landesrechtlichen 
Vorschriften, welche den Abschluß von Feuerver- 
sicherungsgeschäften von einer vorgängigen polizei- 
lichen Genehmigung abhängig machen. Wichtig 
ist hier auch noch die Bestimmung, daß jedes 
private Versicherungsunternehmen in demjenigen 
Bundesstaat, auf dessen Gebiet es seinen Betrieb 
erstreckt, ohne daß sein Sitz in diesem Gebiet ge- 
legen ist, auf Verlangen der Zentralbehörde dieses 
Staats einen Hauptbevollmächtigten zu bestellen 
hat, der ermächtigt sein muß, Versicherungsver- 
näge mit verbindlicher Kraft abzuschließen. 
Da nunmehr in Deutschland auch der private 
Versicherungsvertrag gesetzlich geregelt ist, so ist 
das Gebiet der Privatversicherung in einer Weise 
geregelt, wie dies in keinem andern Land der Fall 
ist. Wie auf dem Gebiet der sozialpolitischen 
Versicherung, so steht Deutschland auch an der 
Spitze in Bezug auf die Reglung der Privatver- 
sicherung, die in einer den modernen Bedürfnissen 
Rechnung tragenden Weise allseitig erfolgt ist. 
UÜber das Bestreben des Staats, die Versicherungs- 
gesellschaften zu zwingen, einen Teil ihres Ver- 
mögens an Staatspapieren anzulegen, vgl. Abschn. 
VII 
  
Bezüglich der Grenzen zwischen staat- 
licher und privater Versicherung sind 
die Meinungen sehr verschieden. „Man muß zu- 
geben, daß auf gewissen Kulturstufen das Ver- 
sicherungsbedürfnis nicht befriedigt werden würde, 
wenn nicht die öffentliche Gewalt mit eignen Unter- 
nehmungen und unter eigner Regie dafür einträte, 
und daß, wenn irgendwo Versicherungszwang aus 
wohlfahrtspolizeilichen Gründen für geboten er- 
achtet wird, die öffentliche Gewalt die Rolle des Ver- 
Versicherungswesen. 
  
sicherers zu übernehmen hat, so überzeugend lehrt 
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eine vielfältige Erfahrung, daß im Vergleich mit 
der privaten Versicherungsunternehmung die öffent- 
liche sich administrativ und technisch, namentlich 
aber hingesehen auf die Preise der Leistung und 
die Beweglichkeit der Geschäftsführung, rückständig 
zu erweisen pflegt“ (Emminghaus, Bericht für den 
VI. internationalen Kongreß für Versicherungs- 
wissenschaft (1909|). Die private Versicherung ist 
viel beweglicher, freier, an keine Marschroute ge- 
bunden wie die öffentliche. Deshalb gewinnt die 
private Versicherung fast überall in der Konkurrenz 
mit der öffentlichen den Vorsprung. Meist wird 
dann die private Versicherung die Lehrmeisterin 
der öffentlichen, was bei den preußischen Feuer- 
versicherungssozietäten hinsichtlich der Versiche- 
rungsbedingungen, ihrer Betriebsmethode, der 
Risikenklassifikation und der Brandschadenregulie- 
rung deutlich zu ersehen ist. Hierbei ist nicht so 
fast der Konkurrenzkampf zwischen privater und 
öffentlicher Versicherung als vielmehr zwischen 
den privaten Unternehmungen unter sich der be- 
wegende Keil gewesen, der Neuerungen und Ver- 
besserungen erzeugte. 
Auf der andern Seite darf jedoch nicht unbe- 
rücksichtigt bleiben, daß die öffentliche Versicherung 
sowohl da, wo sie allein das Feld behauptet, als 
auch, wo sie in Konkurrenz mit der privaten Ver- 
sicherung sich befindet, durch Weckung des Ver- 
sicherungssinns in den breiten Schichten des Volks 
der privaten Versicherung nicht unbedeutende 
Dienste geleistet hat und noch leistet. So ist z. B. 
durch die Einführung der obligatorischen Sozial- 
versicherung die Volksversicherung wesentlich ge- 
fördert worden, welche 1907 bereits 10,10 % des 
gesamten deutschen Kapitalversicherungsbestands 
ausmachte. 
Von 25 privaten Versicherungsunternehmungen 
betrieben, wies sie im letzteren Jahr einen Bestand 
von 6,20 Mill. Policen mit etwa 1132 Mill. Al 
Versicherungssumme auf. Die deutsche private Un- 
fallversicherung, welche durch die öffentliche Unfall- 
versicherung ihren Untergang befürchtete, hat trotz 
der Tätigkeit der letzteren oder wohl infolge der- 
selben einen ungeahnten Aufschwung erlebt. 1882 
wurde, wie Emminghaus weiter angibt, die private 
Unfallversicherung von 14 Gesellschaften mit einer 
Prämieneinnahme von 13,4 Mill. M bei 6,4 
Mill. Schäden, 1902 aber schon von 29 Gesell- 
schaften mit 41 Mill. J7 Prämieneinnahme, bei 
16,8 Mill. Jl Schäden betrieben. 1904 betrugen 
die Prämieneinnahmen der privaten deutschen Un- 
fallversicherungsgesellschaften bereits 61 Mill. M 
bei 25,5 Mill. M. Schäden. 
Die Frage, welche Versicherungszweige der 
staatlichen Ubernahme vorbehalten bleiben sollen, 
wird von Emminghaus dahin beantwortet, daß 
die Staats= und K lbeamt sicherung 
wegen der leichteren bequemeren Verwaltung dem 
Staat verbleiben soll; die Privatbeamtenversiche- 
rung sei zwar in Osterreich staatlich und man sei 
in Deutschland daran, sie als staatliche einzu- 
führen; allein der großen Mehrzahl der Privat-
	        
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