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beamten dürfe doch die Selbstübernahme der Ver-
antwortung für ihre wirtschaftliche Zukunft zuge-
mutet werden.
Inder Arbeitslosenversicherung wird die Privat-
unternehmung der öffentlichen, staatlichen oder
gemeindlichen jederzeit gern die Vorhand lassen.
Die Arbeitslosenversicherung hat jedoch auch als
staatliche oder gemeindliche Versicherung mit äußerst
großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ahnlich ist es
mit der Mutterschaftsversicherung bestellt. Hier ist
kein Feld für die Privatversicherung. Sie ist heute
immer noch Problem und ihre Verwirklichung
dürfte, auch falls sie der Staat betreiben wollte,
heute noch nicht genügend gereift sein.
Auch Professor Dr Otto v. Zwiedineck weist
in seinem Referat auf dem gleichen Kongreß auf
die Belebung hin, welche der öffentlichen Versiche-
rung durch die Konkurrenz der privaten angedeihen
konnte. „Individualisierung der Risiken nach
Maßgabe der verschiedenen Gefahrkategorien und
Herbeiführung einer Zusammensetzung des Ver-
sicherungsbestands, die eine vollkommenere Aus-
gleichung der Schadengefahr erwarten ließ und
tatsächlich bewirkte, das waren die Errungen-
schaften, mit denen die Privatversicherung auf den
Plan trat.“ — Die belebende Konkurrenz der
privaten mit der öffentlichen Versicherung ist auch
jederzeit allseits anerkannt worden. Die Indivi-
dualisierung der Privatversicherungsanstalten hat
auf die staatliche Versicherung eingewirkt, und die
unterschiedliche Behandlung der einzelnen Risiken
hat auf die Versicherten ebenfalls erzieherisch gewirkt,
indem sie beispielsweise durch bauliche Verbesse-
rungen die Prämien zu erniedrigen bestrebt sind.
Die Frage der Differenzierung der Tarife, die
Klassifizierung der Risiken veranlaßt Zwiedeneck
zu einer Untersuchung, deren Ergebnis ihm die
Forderung als berechtigt erscheinen läßt, einen
Risikoausgleich zwischen ungleichen Risiken ohne
vollständige proportionale Abstufung des
Versicherungsentgelts zu erstreben. „Die denkbar
höchste Stufe von Individualisierung müßte eine
Berechnung der Prämien ergeben, die dem Ver-
sicherten eine solche Beitragsleistung auferlegt,
durch die er selbst und allein für den Schaden
aufkäme, bis derselbe eintritt.“ Das wäre natür-
lich die Negation der Versicherung, welche doch
die Risiken auf möglichst viele Schultern ver-
teilen will.
Eine Abgrenzung der Arbeitsgebiete für die
Schadenversicherung für beide Organisationsfor-
men, für die öffentliche und für die private Ver-
sicherung, könnte etwa nach der Risikenqualität vor-
genommen werden, wobei die Privatversicherung
durch möglichst weitgehende Anpassung der Prämie
an das Risiko dem Versicherungslustigen entgegen-
kommen könnte, während die staatliche Versicherung
mehr kollektivwirtschaftlich einem weniger scharf
differenzierten Risikenbestand zustreben wird.
Bei der Lebensversicherung haben sich die Gren-
zen zwischen staatlicher und privater Unternehmung
Versicherungswesen.
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so festgelegt, daß man heute das Gebiet der so-
zialen bzw. Arbeiterversicherung nur mehr dem
Staat, der Individualversicherung der Privat-
unternehmung zuweist. Wesentliche Eigentümlich-
keiten der sozialen Versicherung sind vor allem der
Mangel an einer Auslese der Risiken und der Ver-
sicherungszwang für die in Betracht kommenden
Personen und Personengruppen. Durch die gesetz-
liche Festlegung der Bestimmungen für die soziale
Versicherung ist dieselbe in ihrer Bewegungsfrei-
heit sehr behindert.
Bezüglich der Abgrenzung der Wirkungsgebiete
der sozialen Versicherung ist im Lauf der Zeit eine
Verschiebung eingetreten, indem man nicht mehr
bloß die Unselbständigkeit im Beruf als Kriterium
der Erfassungsmöglichkeit zur Sozialversicherung
hinstellt, sondern in Rücksicht auf den Mittelstand
auch seine Angehörigen zum Teil, wie Landwirte,
Kleinkaufleute usw., in die Sozialversicherung
hereinzieht. Natürlich ist der Kreis der Versiche-
rungspflichtigen und Versicherungsberechtigten der
Sozialversicherung von größter Wichtigkeit für die
Tätigkeit der Privatversicherung, der große Ar-
beitsgebiete entzogen werden können. Freilich wird
durch die soziale Versicherung der Versicherungs-
sinn ganz bedeutend geweckt, und die im Wohl-
stand steigende Bevölkerung, namentlich ist dies
bei Industriearbeitern zu beobachten, sorgt weiter-
hin, durch die Versicherung für die Zukunft vor-
zusehen. Gerade die bedeutende Zunahme der
Volksversicherung in den Kreisen der Industrie-
arbeiter in der letzten Zeit ist ein Beweis für das
Streben der Arbeiterschaft, den einmal geweckten
Versicherungssinn auch in der Privatversicherung
zu betätigen. Allerdings wird der Staat immer
mehr darauf bedacht sein, sein Versicherungswesen
weiter auszudehnen, und zwar wegen der Indi-
vidualisierung der Risiken und damit der Prämien
seitens der Privatversicherung, wegen der hohen
Aquisitionskosten namentlich der Volksversicherung.
Wie die Beziehungen der öffentlichen und der
privaten Versicherung in der Zukunft sich gestalten
werden, läßt sich nicht näher feststellen. Wird der
Staat dieses Gebiet der Volksversicherung oder die
Versicherung „der minderwertigen Leben“ über-
nehmen? Erstere vielleicht, letztere wohl kaum; die
Privatversicherung wird gerade in der Frage der
Versicherung der „minderwertigen Leben“ eine der
ernstesten, aber auch schwersten Aufgaben der Zu-
kunft zu lösen haben.
VII. Finanzen der Persicherungsgesell-
schaften. Um die Spekulation tunlichst bei der
Anlage der Versicherungskapitalien im Interesse der
Versicherungsnehmer auszuschalten, sind von Auf-
sichtswegen Vorschriften erlassen. Das deutsche
Aussichtsgesetz hat die Anlage der Prämienreserven
der Lebensversicherungsgesellschoften besonders ge-
regelt (§§ 59 und 60); die Anlage kann nur in
solchen Werten erfolgen, welche den im Aussichts-
gesetz angegebenen Erfordernissen entspricht; mün-
delsichere Hypotheken und Grundschulden, Wert-