847
Ansprüche und Pflichten sowie solche Streitigkeiten
hierhin gehören, bei denen die Aufrechterhaltung
der öffentlichen Rechtsordnung in Frage steht.
Daneben unterliegen auch Entscheidungen in Diszi-
plinarsachen der Beamten und kraft besonderer
Gesetze verschiedene, den bürgerlichen Rechtsstreitig-
keiten gleichende Sachen dem Verwaltungsstreit-
verfahren. Für Streitigkeiten über die Veran-
lagung zur Staatseinkommensteuer und Ergän-
zungssteuer (Vermögenssteuer) ist, obwohl dieselben
öffentlich-rechtlicher Natur sind, nicht das Ver-
waltungsstreitverfahren, sondern ein besonderes
Verfahren (bei einem Einkommen von nicht mehr
als 3000 M Einspruch bei der Veranlagungs-
kommission und gegen deren Entscheidung Be-
rufung an die Berufungskommission, bei höheren
Objekten Berufung und in höherer Instanz Be-
schwerde an das Oberverwaltungsgericht) einge-
führt (ogl. § 43 des Einkommensteuergesetzes vom
19. Juni 1906 bzw. 8§ 33 des Ergänzungssteuer-
gesetzes vom gleichen Tag), während bei den Kom-
munalabgaben dem hierzu Herangezogenen gegen
den seinen Einspruch verwerfenden Beschluß des
Gemeindevorstands wieder die Klagen im Ver-
waltungsstreitverfahren offen steht (vgl. 8 70 des
K labgabengesetzes vom 14. Juli 1893).
Ebenso findet gegen die Anordnungen 1. der
Wegepolizeibehörde, welche den Bau und die Unter-
haltung der öffentlichen Wege oder die Auf-
bringung und Verteilung der dazu erforderlichen
Kosten oder die Inanspruchnahme von Wegen für
den öffentlichen Verkehr betreffen, und 2. der für
Wahrnehmung der Wasserpolizei zuständigen Be-
hörde wegen Räumung von Gräben, Bächen
und Wasserläufen als Rechtsmittel innerhalb zwei
Wochen der Einspruch an die Wege= bzw.
Wasserpolizeibehörde statt. Gegen den darauf
ergehenden Beschluß ist wiederum die Klage im
Verwaltungsstreitverfahren gegeben.
Während für die Verwaltungsrechtsprechung in
der höchsten Instanz ein ausschließlich hierzu be-
rufenes Gericht, das Oberverwaltungsgericht zu
Berlin besteht, sind die mit der Verwaltungsrecht-
sprechung in den unteren Instanzen betrauten Be-
hörden, Kreis= (Stadt-) Ausschuß und Bezirks-
ausschuß, zugleich Verwaltungsbehörden, die be-
stimmte Angelegenheiten durch Beschluß zu erledigen
und nur in Ausübung ihrer richterlichen Aufgaben
das hierfür vorgeschriebene besondere Verfahren zu
beobachten hoben. Welches von den beiden unteren
Verwaltungsgerichten in erster Instanz zu ent-
scheiden hat, ist nicht durch allgemeine Regel,
sondern durch Einzelgesetze bestimmt. Jedenfalls
hat der Kreisausschuß, an dessen Stelle in den
einen selbständigen Kreis bildenden Städten in
der Regel der Stadtausschuß tritt, nur in erster
Inslanz, der Bezirksausschuß bald als erstinstanz-
liches bald als Berufungsgericht gegen die Urteile
des Kreis= (Stadt.) Ausschusses, das Oberver-
waltungsgericht, abgesehen von wenigen Fällen,
wo es in erster und letzter Instanz zu entscheiden
Verwaltungsrecht ufw.
848
hat, als Berufungsgericht gegenüber den erst-
instanzlichen Urteilen der Bezirksausschüsse und
unter Umständen als Revisionsgericht gegen die
in der Berufungsinstanz erlassenen Urteile der
Bezirksausschüsse zu fungieren.
Die Einleitung des Verwaltungsstreitverfahrens
setzt die Erhebung einer Klage (bzw. die Stellung
eines Antrags auf mündliche Verhandlung) vor-
aus. Sie muß innerhalb der gesetzlichen Frist
(meistens zwei Wochen) nach Zustellung der an-
zufechtenden obrigkeitlichen Anordnung bei dem zu-
ständigen Verwaltungsgericht schriftlich eingereicht
werden. Gehört sie vor den Kreisausschuß, so
kann sie dort auch zu Protokoll erklärt werden.
In der Klage ist ein bestimmter Antrag zu stellen,
und sind die Person des Beklagten, der Gegen-
stand des Anspruchs sowie die den Antrag be-
gründenden Tatsachen genau zu bezeichnen. An
weitere Förmlichkeiten ist die Klageschrift nicht
gebunden. Die örtliche Zuständigkeit unter den
erstinstanzlichen Gerichten richtet sich bei Ange-
legenheiten, welche sich auf Grundstücke beziehen,
nach dem Bezirk, in welchem die Sache belegen
ist, in allen sonstigen Fällen nach dem Ort, wo
die in Anspruch genommene Person oder Korpo-
ration oder Behörde ihre Wohnung bzw. ihren
Sitz hat.
Dasn der Form eines kontradiktorischen Partei-
prozesses sich vollziehende Verwaltungs-
gerichtsverfahren ist im allgemeinen dem
zivilprozessualischen Verfahren nachgebildet, zeich-
net sich jedoch vor diesem dadurch aus, daß es den
Gerichten eine freiere Bewegung gestattet. Ins-
besondere kann das Gericht unzulässige oder für
unbegründet gehaltene Klagen sofort zurückweisen
und bei fehlendem ausdrücklichen Antrag auf
mündliche Verhandlung ohne diese entscheiden.
Außerdem darf es bei den für begründet er-
achteten Ansprüchen dem Beklagten durch Bescheid
die Klaglosstellung des Klägers aufgeben. Der
hiermit nicht zufriedenen Partei steht es frei, die
Anberaumung der mündlichen Verhandlung zu
beantragen oder dasjenige Rechtsmittel einzulegen,
welches zulässig wäre, wenn der Bescheid als Ent-
scheidung ergangen wäre. Kommt es zur münd-
lichen, in öffentlicher Sitzung des Gerichts er-
solgenden Verhandlung, vor welcher den Parteien
Gelegenheit zur schriftlichen Erklärung gegeben
wird, so sind die Parteien nur, wenn es das
Gericht ausdrücklich angeordnet hat, zum persön-
lichen Erscheinen verpflichtet. Sie können sich sonst
in der Regel durch jede — mit Vollmacht aus-
zurüstende — Person vertreten lassen und eine
Ergänzung und Berichtigung der tatsächlichen und
rechtlichen Anführungen herbeiführen. Erachtet das
Gericht eine Beweisaufnahme für erforderlich, so
gelten hierfür, von einigen Besonderheiten abge-
sehen (ogl. 88 76/79 des L.V.G.), die in der
Reichszivilprozeßordnung aufgestellten Grundsätze.
Insbesondere gilt freie Beweiswürdigung, so daß
das Gericht nach seiner freien, aus dem ganzen