Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Ansprüche und Pflichten sowie solche Streitigkeiten 
hierhin gehören, bei denen die Aufrechterhaltung 
der öffentlichen Rechtsordnung in Frage steht. 
Daneben unterliegen auch Entscheidungen in Diszi- 
plinarsachen der Beamten und kraft besonderer 
Gesetze verschiedene, den bürgerlichen Rechtsstreitig- 
keiten gleichende Sachen dem Verwaltungsstreit- 
verfahren. Für Streitigkeiten über die Veran- 
lagung zur Staatseinkommensteuer und Ergän- 
zungssteuer (Vermögenssteuer) ist, obwohl dieselben 
öffentlich-rechtlicher Natur sind, nicht das Ver- 
waltungsstreitverfahren, sondern ein besonderes 
Verfahren (bei einem Einkommen von nicht mehr 
als 3000 M Einspruch bei der Veranlagungs- 
kommission und gegen deren Entscheidung Be- 
rufung an die Berufungskommission, bei höheren 
Objekten Berufung und in höherer Instanz Be- 
schwerde an das Oberverwaltungsgericht) einge- 
führt (ogl. § 43 des Einkommensteuergesetzes vom 
19. Juni 1906 bzw. 8§ 33 des Ergänzungssteuer- 
gesetzes vom gleichen Tag), während bei den Kom- 
munalabgaben dem hierzu Herangezogenen gegen 
den seinen Einspruch verwerfenden Beschluß des 
Gemeindevorstands wieder die Klagen im Ver- 
waltungsstreitverfahren offen steht (vgl. 8 70 des 
K labgabengesetzes vom 14. Juli 1893). 
Ebenso findet gegen die Anordnungen 1. der 
Wegepolizeibehörde, welche den Bau und die Unter- 
haltung der öffentlichen Wege oder die Auf- 
bringung und Verteilung der dazu erforderlichen 
Kosten oder die Inanspruchnahme von Wegen für 
den öffentlichen Verkehr betreffen, und 2. der für 
Wahrnehmung der Wasserpolizei zuständigen Be- 
hörde wegen Räumung von Gräben, Bächen 
und Wasserläufen als Rechtsmittel innerhalb zwei 
Wochen der Einspruch an die Wege= bzw. 
Wasserpolizeibehörde statt. Gegen den darauf 
ergehenden Beschluß ist wiederum die Klage im 
Verwaltungsstreitverfahren gegeben. 
Während für die Verwaltungsrechtsprechung in 
der höchsten Instanz ein ausschließlich hierzu be- 
rufenes Gericht, das Oberverwaltungsgericht zu 
Berlin besteht, sind die mit der Verwaltungsrecht- 
sprechung in den unteren Instanzen betrauten Be- 
hörden, Kreis= (Stadt-) Ausschuß und Bezirks- 
ausschuß, zugleich Verwaltungsbehörden, die be- 
stimmte Angelegenheiten durch Beschluß zu erledigen 
und nur in Ausübung ihrer richterlichen Aufgaben 
das hierfür vorgeschriebene besondere Verfahren zu 
beobachten hoben. Welches von den beiden unteren 
Verwaltungsgerichten in erster Instanz zu ent- 
scheiden hat, ist nicht durch allgemeine Regel, 
sondern durch Einzelgesetze bestimmt. Jedenfalls 
hat der Kreisausschuß, an dessen Stelle in den 
einen selbständigen Kreis bildenden Städten in 
der Regel der Stadtausschuß tritt, nur in erster 
Inslanz, der Bezirksausschuß bald als erstinstanz- 
liches bald als Berufungsgericht gegen die Urteile 
des Kreis= (Stadt.) Ausschusses, das Oberver- 
waltungsgericht, abgesehen von wenigen Fällen, 
wo es in erster und letzter Instanz zu entscheiden 
  
Verwaltungsrecht ufw. 
  
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hat, als Berufungsgericht gegenüber den erst- 
instanzlichen Urteilen der Bezirksausschüsse und 
unter Umständen als Revisionsgericht gegen die 
in der Berufungsinstanz erlassenen Urteile der 
Bezirksausschüsse zu fungieren. 
Die Einleitung des Verwaltungsstreitverfahrens 
setzt die Erhebung einer Klage (bzw. die Stellung 
eines Antrags auf mündliche Verhandlung) vor- 
aus. Sie muß innerhalb der gesetzlichen Frist 
(meistens zwei Wochen) nach Zustellung der an- 
zufechtenden obrigkeitlichen Anordnung bei dem zu- 
ständigen Verwaltungsgericht schriftlich eingereicht 
werden. Gehört sie vor den Kreisausschuß, so 
kann sie dort auch zu Protokoll erklärt werden. 
In der Klage ist ein bestimmter Antrag zu stellen, 
und sind die Person des Beklagten, der Gegen- 
stand des Anspruchs sowie die den Antrag be- 
gründenden Tatsachen genau zu bezeichnen. An 
weitere Förmlichkeiten ist die Klageschrift nicht 
gebunden. Die örtliche Zuständigkeit unter den 
erstinstanzlichen Gerichten richtet sich bei Ange- 
legenheiten, welche sich auf Grundstücke beziehen, 
nach dem Bezirk, in welchem die Sache belegen 
ist, in allen sonstigen Fällen nach dem Ort, wo 
die in Anspruch genommene Person oder Korpo- 
ration oder Behörde ihre Wohnung bzw. ihren 
Sitz hat. 
Dasn der Form eines kontradiktorischen Partei- 
prozesses sich vollziehende Verwaltungs- 
gerichtsverfahren ist im allgemeinen dem 
zivilprozessualischen Verfahren nachgebildet, zeich- 
net sich jedoch vor diesem dadurch aus, daß es den 
Gerichten eine freiere Bewegung gestattet. Ins- 
besondere kann das Gericht unzulässige oder für 
unbegründet gehaltene Klagen sofort zurückweisen 
und bei fehlendem ausdrücklichen Antrag auf 
mündliche Verhandlung ohne diese entscheiden. 
Außerdem darf es bei den für begründet er- 
achteten Ansprüchen dem Beklagten durch Bescheid 
die Klaglosstellung des Klägers aufgeben. Der 
hiermit nicht zufriedenen Partei steht es frei, die 
Anberaumung der mündlichen Verhandlung zu 
beantragen oder dasjenige Rechtsmittel einzulegen, 
welches zulässig wäre, wenn der Bescheid als Ent- 
scheidung ergangen wäre. Kommt es zur münd- 
lichen, in öffentlicher Sitzung des Gerichts er- 
solgenden Verhandlung, vor welcher den Parteien 
Gelegenheit zur schriftlichen Erklärung gegeben 
wird, so sind die Parteien nur, wenn es das 
Gericht ausdrücklich angeordnet hat, zum persön- 
lichen Erscheinen verpflichtet. Sie können sich sonst 
in der Regel durch jede — mit Vollmacht aus- 
zurüstende — Person vertreten lassen und eine 
Ergänzung und Berichtigung der tatsächlichen und 
rechtlichen Anführungen herbeiführen. Erachtet das 
Gericht eine Beweisaufnahme für erforderlich, so 
gelten hierfür, von einigen Besonderheiten abge- 
sehen (ogl. 88 76/79 des L.V.G.), die in der 
Reichszivilprozeßordnung aufgestellten Grundsätze. 
Insbesondere gilt freie Beweiswürdigung, so daß 
das Gericht nach seiner freien, aus dem ganzen
	        
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