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über dem neutralen Handel im Krieg mit den gressen zu Aachen 1818, Troppau 1820, Laibach
abgefallenen nordamerikanischen Kolonien führte 1821 und Verona 1822 vereinigt, betrachteten
auf Veranlassung Katharinas II. zur „bewaffneten
Neutralität" der europäischen Seemächte von 1780.
Die ihr zugrunde liegende Deklaration der Kai-
serin statuierte als Unterlagen für die Entschei-
dungen der Prisengerichte die Freiheit der neutralen
Schiffahrt, den Satz Frei Schiff, frei Gut (vgl. d.
Art. Prisengerichtsbarkeit), nur bestimmte Gegen-
stände als Konterbande, gewisse Voraussetzungen
der Blockade. Doch hatte die „bewaffnete Neutra-
lität“ ebensowenig wie die zweite bewaffnete
Neutralität von 1800 dauernden Erfolg. Gleiches
gilt von den Verträgen der Nordamerikanischen
Union mit England, Holland, Schweden, Frank-
reich und vor allem Preußen von 1778 bis 1785,
welche die Kaperei abschaffen, neutrales schwim-
mendes Privatgut für frei erklären wollten.
In der Literatur dieser Periode machten sich
im Anschluß an den Dualismus bei Grotius zwei
Richtungen geltend: einmal die einseitig philo-
sophische sog. naturrechtliche Schule, deren Haupt-
vertreter Samuel Pufendorf (163 2/94), Christian
Thomasius (1655/1738), Jean Jacques Burla-
maqui (1694/1748) sind, sodann die positive
Richtung, die nur Gewohnheit und Verträge als
Quelle des Völkerrechts anerkannte. Zu nennen
sind: Richard de Zouch (1590/1660), Samuel
Rachel (1628/91), Kornelis voan Bynkershoek
(1673/1743), Johann Jakob Moser (1701/83)
und endlich vor allem Georg Friedrich v. Martens
(1756/1821), der Begründer des noch heute er-
scheinenden Recueil des Traités. Eine vermit-
telnde Stellung nehmen ein Christian Wolff
(1679/1754), der die Völkerrechtsgemeinschaft als
einen über den einzelnen Staaten stehenden Welt-
staat (civitas gentium maxima) erklärte, und
Emerich v. Vauel (1714/67), dessen droit des
gens 1758 bis in die neuere Zeit in diplo-
matischen Kreisen größtes Ansehen genoß.
5. Die Periode vom Wiener Kongreß
0.
bis zum Pariser Frieden (1856) wird
eingeleitet durch jenen Kongreß, der die Folgen
des jedem Völkerrecht feindlichen Prinzipatsystems
Napoleons beseitigte. Außer der Reglung der terri-
torialen Verhältnisse und der Wiederherstellung
des Gleichgewichts der Mächte wurde das Völker-
recht weitergebildet durch die Anerkennung des
Prinzips der freien Schiffahrt auf den inter-
nationalen Flüssen, das Verbot des Negerhandels
zur See und durch die Reglung der Rangordnung
der diplomatischen Agenten. Eine Normierung
des Seekriegsrechts scheiterte an dem Widerstand
Englands. Die Vereinbarungen des Wiener Kon- 6
gresses bildeten bis zum Jahr 1848 die Grund-
lage des europäischen Staatensystems. Seine
Stütze sand es in der sog. heiligen Allianz, einem
am 26. Sept. 1815 von den Herrschern Rußlands,
Osterreichs und Preußens geschlossenen Bünd-
nis, das sich bald zum Fünfbund, zur „Pent-
archie der Großmächte“ erweiterte. Auf den Kon-
sich die Großmächte nicht nur als Schiedsrichter
in völkerrechtlichen Streitigkeiten und Lenker der
Geschicke Europas, sondern beanspruchten zur
Wahrung des Besitzstands im Namen der „Legi-
timität“ auch ein Interventionsrecht in die innern
Angelegenheiten der Staaten. Mehrfach tatsäch-
lich ausgeübt, stieß dieses Interventionsrecht
zunächst bei der Einmischung in die südameri-
kanischen Verhältnisse zugunsten Spaniens auf den
entschiedenen Widerstand der Union, deren Präsi-
dent Monroe in der Botschaft vom 2. Dez. 1823
jede Intervention europäischer Mächte in ameri-
kanische Angelegenheiten als unzulässig erklärte
(sog. Monroe-Doktrin), wurde dann durch die
Julirevolution 1830, deren Verfassung das Prin-
zip der Nichtintervention ausdrücklich sanktionierte,
stark erschüttert und schließlich durch die Einfüh-
rung der Konstitution und die Beseitigung des
Absolutismus nach den Ereignissen von 1848
völlig beseitigt. Nachdem schon 1840 bei dem
Aufstand Mehemed Alis, des Paschas von Agypten,
die vier übrigen Großmächte sich gegen Frankreich
verbündet hatten, sprengte das zweite französische
Kaisertum die Pentarchie durch die Verbindung
mit England und Osterreich gegen Rußland zu-
gunsten der Türkei im Krimkrieg von 1854/56,
der durch den Pariser Frieden von 1856 beendigt
wurde. Durch ihn ward die Türkei in die euro-
päische Gemeinschaft aufgenommen, die Freiheit
der Donanschiffahrt unter europäischen Schutz ge-
stellt und vor allem in der Pariser Seerechts-
deklaration wichtige Punkte des Seekriegsrechts
geregelt. Durch Beitritt der übrigen Staaten sind
ihre Sätßze (Abschaffung der Kaperei, Freiheit des
neutralen Privateigentums (Frei Schiff, frei Gut,
Effektivität der Blockade) heute allgemein geltendes
Völkerrecht geworden.
6. Die ersten Jahrzehnte der letzten Periode,
vom Pariser Frieden bis zur Gegen-
wart, sind beherrscht von dem durch Napo-
leon III. begünstigten Nationalitätenprinzip, das
ihm aber nur als Mittel seiner auf Erlangung des
Prinzipats abgestellten Politik dienen sollte. Jenes
Prinzip führte zunächst zur Einigung JItaliens,
dann nach dem deutschen Bruderkrieg und dem
deutsch-französischen Krieg zur Einigung Deutsch-
lands, während Osterreich sich zur Doppelmon-
archie umgestaltete. Nach dem zweiten orientali-
schen Krieg werden auf dem Berliner Kongreß
1878 Numänien, Serbien und Montenegro als
selbständige Staaten, Bulgarien als türkischer
Bassallenstaat anerkannt, Bosnien und Hercego-
vina Osterreich-Ungarn zur Verwaltung über-
tragen, das sie 1908 völlig einverleibt, während
Bulgarien sich als selbständig erklärt. Durch den
nordamerikanisch-spanischen Krieg 1898 verliert
Spanien seine Stellung als Kolonialmacht, im
Osten tritt dagegen Japan nach dem chinesischen
Krieg 1894 unter Aufhebung der Konsularjuris-