Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

887 Völkerrecht. 888 
über dem neutralen Handel im Krieg mit den gressen zu Aachen 1818, Troppau 1820, Laibach 
abgefallenen nordamerikanischen Kolonien führte 1821 und Verona 1822 vereinigt, betrachteten 
auf Veranlassung Katharinas II. zur „bewaffneten 
Neutralität" der europäischen Seemächte von 1780. 
Die ihr zugrunde liegende Deklaration der Kai- 
serin statuierte als Unterlagen für die Entschei- 
dungen der Prisengerichte die Freiheit der neutralen 
Schiffahrt, den Satz Frei Schiff, frei Gut (vgl. d. 
Art. Prisengerichtsbarkeit), nur bestimmte Gegen- 
stände als Konterbande, gewisse Voraussetzungen 
der Blockade. Doch hatte die „bewaffnete Neutra- 
lität“ ebensowenig wie die zweite bewaffnete 
Neutralität von 1800 dauernden Erfolg. Gleiches 
gilt von den Verträgen der Nordamerikanischen 
Union mit England, Holland, Schweden, Frank- 
reich und vor allem Preußen von 1778 bis 1785, 
welche die Kaperei abschaffen, neutrales schwim- 
mendes Privatgut für frei erklären wollten. 
In der Literatur dieser Periode machten sich 
im Anschluß an den Dualismus bei Grotius zwei 
Richtungen geltend: einmal die einseitig philo- 
sophische sog. naturrechtliche Schule, deren Haupt- 
vertreter Samuel Pufendorf (163 2/94), Christian 
Thomasius (1655/1738), Jean Jacques Burla- 
maqui (1694/1748) sind, sodann die positive 
Richtung, die nur Gewohnheit und Verträge als 
Quelle des Völkerrechts anerkannte. Zu nennen 
sind: Richard de Zouch (1590/1660), Samuel 
Rachel (1628/91), Kornelis voan Bynkershoek 
(1673/1743), Johann Jakob Moser (1701/83) 
und endlich vor allem Georg Friedrich v. Martens 
(1756/1821), der Begründer des noch heute er- 
scheinenden Recueil des Traités. Eine vermit- 
telnde Stellung nehmen ein Christian Wolff 
(1679/1754), der die Völkerrechtsgemeinschaft als 
einen über den einzelnen Staaten stehenden Welt- 
staat (civitas gentium maxima) erklärte, und 
Emerich v. Vauel (1714/67), dessen droit des 
gens 1758 bis in die neuere Zeit in diplo- 
matischen Kreisen größtes Ansehen genoß. 
5. Die Periode vom Wiener Kongreß 
  
0. 
bis zum Pariser Frieden (1856) wird 
eingeleitet durch jenen Kongreß, der die Folgen 
des jedem Völkerrecht feindlichen Prinzipatsystems 
Napoleons beseitigte. Außer der Reglung der terri- 
torialen Verhältnisse und der Wiederherstellung 
des Gleichgewichts der Mächte wurde das Völker- 
recht weitergebildet durch die Anerkennung des 
Prinzips der freien Schiffahrt auf den inter- 
nationalen Flüssen, das Verbot des Negerhandels 
zur See und durch die Reglung der Rangordnung 
der diplomatischen Agenten. Eine Normierung 
des Seekriegsrechts scheiterte an dem Widerstand 
Englands. Die Vereinbarungen des Wiener Kon- 6 
gresses bildeten bis zum Jahr 1848 die Grund- 
lage des europäischen Staatensystems. Seine 
Stütze sand es in der sog. heiligen Allianz, einem 
am 26. Sept. 1815 von den Herrschern Rußlands, 
Osterreichs und Preußens geschlossenen Bünd- 
nis, das sich bald zum Fünfbund, zur „Pent- 
archie der Großmächte“ erweiterte. Auf den Kon- 
  
sich die Großmächte nicht nur als Schiedsrichter 
in völkerrechtlichen Streitigkeiten und Lenker der 
Geschicke Europas, sondern beanspruchten zur 
Wahrung des Besitzstands im Namen der „Legi- 
timität“ auch ein Interventionsrecht in die innern 
Angelegenheiten der Staaten. Mehrfach tatsäch- 
lich ausgeübt, stieß dieses Interventionsrecht 
zunächst bei der Einmischung in die südameri- 
kanischen Verhältnisse zugunsten Spaniens auf den 
entschiedenen Widerstand der Union, deren Präsi- 
dent Monroe in der Botschaft vom 2. Dez. 1823 
jede Intervention europäischer Mächte in ameri- 
kanische Angelegenheiten als unzulässig erklärte 
(sog. Monroe-Doktrin), wurde dann durch die 
Julirevolution 1830, deren Verfassung das Prin- 
zip der Nichtintervention ausdrücklich sanktionierte, 
stark erschüttert und schließlich durch die Einfüh- 
rung der Konstitution und die Beseitigung des 
Absolutismus nach den Ereignissen von 1848 
völlig beseitigt. Nachdem schon 1840 bei dem 
Aufstand Mehemed Alis, des Paschas von Agypten, 
die vier übrigen Großmächte sich gegen Frankreich 
verbündet hatten, sprengte das zweite französische 
Kaisertum die Pentarchie durch die Verbindung 
mit England und Osterreich gegen Rußland zu- 
gunsten der Türkei im Krimkrieg von 1854/56, 
der durch den Pariser Frieden von 1856 beendigt 
wurde. Durch ihn ward die Türkei in die euro- 
päische Gemeinschaft aufgenommen, die Freiheit 
der Donanschiffahrt unter europäischen Schutz ge- 
stellt und vor allem in der Pariser Seerechts- 
deklaration wichtige Punkte des Seekriegsrechts 
geregelt. Durch Beitritt der übrigen Staaten sind 
ihre Sätßze (Abschaffung der Kaperei, Freiheit des 
neutralen Privateigentums (Frei Schiff, frei Gut, 
Effektivität der Blockade) heute allgemein geltendes 
Völkerrecht geworden. 
6. Die ersten Jahrzehnte der letzten Periode, 
vom Pariser Frieden bis zur Gegen- 
wart, sind beherrscht von dem durch Napo- 
leon III. begünstigten Nationalitätenprinzip, das 
ihm aber nur als Mittel seiner auf Erlangung des 
Prinzipats abgestellten Politik dienen sollte. Jenes 
Prinzip führte zunächst zur Einigung JItaliens, 
dann nach dem deutschen Bruderkrieg und dem 
deutsch-französischen Krieg zur Einigung Deutsch- 
lands, während Osterreich sich zur Doppelmon- 
archie umgestaltete. Nach dem zweiten orientali- 
schen Krieg werden auf dem Berliner Kongreß 
1878 Numänien, Serbien und Montenegro als 
selbständige Staaten, Bulgarien als türkischer 
Bassallenstaat anerkannt, Bosnien und Hercego- 
vina Osterreich-Ungarn zur Verwaltung über- 
tragen, das sie 1908 völlig einverleibt, während 
Bulgarien sich als selbständig erklärt. Durch den 
nordamerikanisch-spanischen Krieg 1898 verliert 
Spanien seine Stellung als Kolonialmacht, im 
Osten tritt dagegen Japan nach dem chinesischen 
Krieg 1894 unter Aufhebung der Konsularjuris-
	        
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