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liche bzw. nichtkatholische ersetzt werden. Aber die
christliche Volksbildung ist wahre Bildung, ja die
Volksbildung schlechthin, weil sie dem Menschen
die Anteilnahme an den höchsten Gütern ver-
mittelt: Wahrheit, Sittlichkeit, Religion und
reinen ästhetischen Genuß (Ehrhard S. 12 ff; val.
die schönen Gedanken über „Die soziale Bedeutung
der christlichen Kunst“ bei v. Kralik, Kulturstudien
(1900) 168 ffl.
Es machen sich bisweilen in den gutgemeinten
Bestrebungen bedenkliche Übertreibungen geltend.
Vor allem wird der erzieherische Wert der Wissen-
schaft und Kunst auf Kosten der Religion überschätzt.
So wenn die Kunst an Stelle der Religion als
das edelste Mittel für die Bedrängten und Armen
bezeichnet wird, um sich über die Mühen und
Leiden der Alltäglichkeit hinwegzusetzen (Möhl,
Kunst und soziale Bewegung 17, 19). Es sei
ferne, den erzieherischen Einfluß der Kunst zu ver-
kennen oder zu bestreiten, daß sie auch in sozialer
Hinsicht die Herzen der durch Besitz Getrennten
einander wieder zu nähern vermag. Diese erziehe-
rische Macht hat ja gerade die Kirche in vorzüg-
lichem Maß erkannt und hat dieselbe in den Dienst
ihrer pädagogischen Zwecke genommen. In Bild-
werk und Architektur, in Gesang und Musik,
ebenso wie im Drama hat sie diesen veredelnden
Einfluß zur Geltung gebracht, ja sie hat im In-
nern des Heiligtums selbst Schauspiele aufgeführt.
Aber der moralische Einfluß der Kunst, der wohl
in religiösen Kunstwerken ein wichtiges Element
bildet, tritt doch hinter die ästhetische Wirkung
zurück. Die modernen Volksbildungsbestrebungen
müssen den bildenden Einfluß der Religion achten
und anerkennen, wenn sie ihn auch nicht selbst zur
Geltung bringen können; sie dürfen sich nicht ver-
messen, an die Stelle der Religion Wissen und
Kunst zu setzen. Reich, ein Vorkämpfer dieser
Bestrebungen (Die Kunst und das Volk), meint,
zumal in Zeiten, wo die Religion mehr und mehr
an Boden verliere, scheine die Kunst berufen, an
ihre Stelle zu treten. „Viel zitierte Worte Goethes
weisen jenen, dem positive Kirchlichkeit abhanden
gekommen, zum Ersatz auf Kunst und Wissen-
schaft hin."“
Solche Übertreibungen sind nur dazu angetan,
einerseits weite positiv christliche Kreise mit Miß-
trauen gegen die an sich so verdienstvollen Be-
strebungen zu erfüllen und viele einer edeln Sache
zu entfremden, die sonst ihre werktätige Mitarbeit
in ihren Dienst gestellt hätten, anderseits viele
einer höheren Bildung Bedürftigen, denen das
Gut des Glaubens mehr gilt als weltliche Bil-
dung, von der Teilnahme an den Veranstaltungen
fernzuhalten. Man darf nicht vergessen, daß auch
heute noch die katholische Kirche die erste volks-
bildnerische Macht darstellt, „die an einem ein-
zigen Tag mehr leistet als alle Volksbildungs-
vereine der Welt während des ganzen Jahrs,
durch den unmittelbaren veredelnden Einfluß, den
ihre hohe Lehre, ihre ernsten Forderungen an die
Volksbildung.
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Sittlichkeit, ihr majestätischer Kultus auf das
Volkskind von seiner frühesten Jugend an aus-
übt, ein Einfluß, der nur deshalb oft nicht zur
vollen Geltung gelangt, weil er in künstlicher
Weise zurückgedämmt wird“ (Ehrhard S. 11).
Die Vorträge, die entweder durch lokale Redner
oder durch sog. Wanderredner, welche die Kunst
der gemeinverständlichen Darstellung besonders
ausgebildet haben, gehalten werden, erfahren eine
Steigerung ihrer Wirkung, wenn sie durch Demon-
strationen, Projektionsbilder (Skioptikon) unter-
stützt werden. Auch Führungen durch Museen,
Galerien, bedeutende Werke der Archi-
tektur empfehlen sich, wenn sie mit belehrenden
Erklärungen verbunden sind. Die gewaltigen
Bildungsschätze, die in den verschiedenen staat-
lichen und sonstigen Sammlungen aufgespeichert
sind, werden so erst für das Volk fruchtbar ge-
macht. Auch sonst sollen die Besuchszeiten für
dieselben so angesetzt sein, daß auch der Mann
der Arbeit in seinen freien Stunden davon Ge-
brauch machen kann. (Vgl. Die Museen als Volks-
bildungsstätten [Schriften der Zentralstelle für
Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen 1904, Hft 251.)
Seine höchste Ausbildung findet das populäre
Vortragswesen in den Volkshochschulkursen,
welche nach dem Vorbild der englischen Univer-
sity-extension ins Leben traten, besonders in
Dänemark eine hohe Entwicklung fanden (Reyer,
Handbuch des Volksbildungswesens 13 ff), aber
auch in Österreich und Deutschland festen Fuß
faßten. Besonders die Lehrer der Nationalökonomie
waren es, welche aus der von den Gelehrten lange
beobachteten Reserve zuerst heraustraten. Diese
Popularisierung der Wissenschaft ist nicht ohne
Widerstand geblieben. „Man solle doch“, so faßt
Professor Natorp (Die Erziehung des Volks auf
den Gebieten der Kunst und Wissenschaft 5) die
dagegen geltend gemachten Bedenken zusammen,
„bei seinem Leisten bleiben, ruft man uns zu: der
Gelehrte am Studiertisch, der Bibliothekar, der
Museumsbeamte bei seinen Katalogen usf. Die
Gründlichkeit leide notwendig Schaden; etwas
Ordentliches könne bei den Lernenden überhaupt
nicht erreicht werden, die Lehrenden aber ge-
wöhnen sich, auf ein niederes Niveau herabzu-
steigen. Um der Gründlichkeit willen habe man
wohlweislich die Berechtigung, beim Professor
Kolleg zu hören, an die schweren Bedingungen des
Abiturientenexamens gebunden; was soll daraus
werden, wenn nun der Professor Kolleg hält vor
Leuten, die nicht die mindeste Berechtigung auf-
weisen können? Die Universität ist statutengemäß
dazu da, Diener des Staats und der Kirche her-
anzubilden; was sie darüber hinaus zu leisten
versucht, wird dieser ihrer eigentlichen Zweckbestim-
mung entzogen“ uff. Allerdings wollen die Volks-
hochschulkurse keine Fachgelehrsamkeit vermitteln,
aber sie wollen eine gründliche Bildung und An-
regung zu weiterem Fortarbeiten auch solchen geben,
die nicht akademische Bildung genossen haben,
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