Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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höhtem Grad an der geistigen Kultur teilnehmen 
zu lassen. Es ist nicht bloß die rein leibliche 
Besserung des standard of life, sondern es ist im 
letzten Grund ein geistigeres Dasein, auf welches 
die Kämpfe des vierten Standes abzielen. Wohl 
mag vielfach der materielle Kampf, der „Kampf 
um den Futterplatz“ (Sombart) dieses Ziel ver- 
decken, aber schon dieser setzt, wenn er zielbewußt 
und ohne rohe Gewalt geführt wird, einen ge- 
wissen Grad der Intelligenz, ein Verständnis für 
die Aufgaben und Bedürfnisse des Staats voraus, 
in dem die Forderungen und Interessen aller 
Klassen ihren Ausgleich finden müssen. 
Daher sehen wir zugleich mit diesen sozialen 
Regungen, in denen die Arbeitermassen aus stumpfer 
Resignation erwachen und sich als Klasse bewußt 
werden, die Volksbildungsbestrebungen einsetzen. 
Reichen die Bemühungen, den niederen Schichten 
besseren Lesestoff zuzuführen, in Deutschland bis 
in die Mitte des 19. Jahrh. zurück, wo einzelne 
Vereine für Verbreitung guter Bücher ins Leben 
gerufen wurden, so wurde 1871 die sich über ganz 
Deutschland erstreckende Gesellschaft für Verbrei- 
tung von Volksbildung zu Berlin gegründet, die 
alle Bestrebungen der volkstümlichen Bildungs- 
arbeit in sich vereinigt. Sie läßt sich die Verbrei- 
tung von Volksbibliotheken und Veranstaltung 
von Einzelvorträgen angelegen sein, während die 
Humboldt-Akademie und andere Organisationen 
die Einrichtung von Unterrichtskursen auf ihr Pro- 
gramm setzten. Wie schon bemerkt, hatten alle 
derartigen Bestrebungen infolge der Zurückhaltung 
der Gelehrtenwelt keine nennenswerten Erfolge. 
Und es ist wieder für den Zusammenhang dieser 
Bewegung mit der allgemein wirtschaftlichen und 
sozialen Entwicklung charakteristisch, daß die Na- 
tionalökonomen sie zuerst auch in der Gelehrten- 
welt in Fluß brachten. 
Da eine genaue Statistik des gesamten Volks- 
bildungswesens hier zu geben unmöglich ist, sei 
auf die statistischen Angaben verwiesen, wie sie 
Biermer (S. 522 f) gibt. Für näheres Detail 
über Entwicklung der Volksbibliotheken, über die 
Ziffern der Bücherentlehnungen, Zahlen der Teil- 
nehmer an den Unterrichtskursen usw. sei besonders 
auf Reyers Handbuch des Volksbildungswesens 
sowie auf das mehrfach angezogene Referat des 
Nationalökonomen Fuchs verwiesen. Nur darf 
man auf die Zahlen über den Besuch der Vorträge, 
Volkskurse usw. nicht allzu optimistische Hoff- 
nungen setzen. 
Ein Sachverständiger spricht von einer trau- 
rigen Erfahrung, welche sich in den Volksbildungs- 
bestrebungen aufdränge, daß bei den Vorträgen in 
den Volksbildungsvereinen das eigentliche Volk, 
das nur Volksschulunterricht genossen hat, oft nur 
sehr spärlich vertreten ist; ferner müsse jedem Be- 
sucher der Vortragsabende auffallen, daß er immer 
wieder dieselben Gesichter sehe. Es seien dies die 
besonders Wißbegierigen, die sich auch durch Bücher 
selbst leicht fortbilden könnten, während die über- 
Volksbildung. 
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wiegende Masse des eigentlichen Volks kaum dem 
Hören nach von den Volksbildungsbestrebungen 
etwas wisse. Wo die Eintrittskarten nur in Ver- 
sammlungen der Arbeitervereine und christlichen 
Gewerkschaften abgegeben werden, hat man solche 
Erfahrungen nicht gemacht. Dort nehmen viel- 
mehr gerade diejenigen Schichten an den Ver- 
anstaltungen teil, für die sie eigentlich geschaffen 
sind. 
Literatur. Über Bedeutung u. Einrichtung der 
Volksbibliotheken, Denkschrift des sächs. Kultus- 
ministeriums (1876); Biermer, V.svereine, im 
Handwörterb. der Staatswissenschaften VII (21901) 
524 ff; J. Tews, „Deutsche V.svereine“ u. „Volks- 
bibliotheken“, in Reins Enzyklopäd. Handbuch der 
Pädagogik (1899); ders., Freiwillige Bildungs- 
arbeit in Deutschland (1896); Reyer, Entwicklung 
u. Organisation der Volksbibliotheken (1903); 
ders., Handbuch des V.swesens (1896); Volker, 
Handbuch der deutschen V.sbestrebungen (1893); 
Bäcker, Die Volksunterhaltung (1893); Roß, Of- 
fentliche Bücher= u. Lesehallen (1897); Nörren- 
berg, Die Bücherhallenbewegung (1898); E. Schultze, 
Englische Volksbibliotheken (1898); derf., Freie 
öffentliche Bibliotheken, Volksbibliotheken u. Lese- 
hallen (1900); Aschrott, Volksbibliothek u. Lese- 
halle, eine kommunale Veranstaltung (1896); Bon- 
sort, Das Bibliothekswesen in den Vereinigten 
Staaten (1896); Mannheimer, Die Bildungsfrage 
als soziales Problem (1901); Ehrhard, Die Grund- 
säcze der christlichen V. (1901); Kellen, Arbeiter- 
bildungsvereine (1904); Böhmert, Entstehung der 
Gesellschaft für Verbreitung von V. (1907); Fritz, 
Das moderne V.swesen (1909); Herz, Der Weg des 
Buchs ins Volk (1909); Zeitschriften: Zentralblatt 
für V.wesen (seit 1901); Blätter für Volksbiblio- 
theken u. Lesehallen, hrsg. von Liesegang (seit 
1900); V Sarchiv, hrsg. von v. Erdberg (seit 1909); 
die „Bücherwelt“ (seit 1903), hrsg. vom Borro- 
mäusverein. 
über „volkstümliche Kunst" s. Reich, Die bürger- 
liche Kunst u. die besitzlosen Volksklassen (21894); 
ders., Die Kunst u. das Volk (1899); Möhl, Kunst 
u. soziale Bewegung (1901); v. d. Palten, Kunst 
u. Proletariat (1901); Leo Berg, Gefesselte Kunst 
(1901); Kindermann, Volkswirtschaft u. Kunst 
(1903); Walter, Die Stellung der Kunst zu den soz. 
Bewegungen der Gegenwart, in Wahrheit (1902) 
33 f; Waentig, Wirtschaft u. Kunst (1909); Pie- 
per, V.sbildungsbestrebungen, ihre Notwendigkeit 
u. ihre Mittel; Otto Müller, V.Sabende; Katho- 
lische Kolportage, in Soziale Tagesfragen, hrsg. 
vom Volksverein für das kath. Deutschland. Sehr 
wichtige Anregungen wurden auf der 21. General= 
versammlung des Verbands Arbeiterwohl (1902) 
gegeben, die in der Zeitschrift „Arbeiterwohl“, 
Jahrg. 1902, Hft 8/9 veröffentlicht sind (auch se- 
parat erschienen in den „Sozialen Tagesfragen des 
Volksvereins für das kath. Deutschland“ unter dem 
Tilel: „Die geistige Bildung des Arbeiterstands“); 
Huppert, Offentliche Lesehallen, ihre Aufgabe, Ge- 
schichte u. Einrichtung (1899). — Speziell Üüber die 
Teilnahme des Geistlichen an den Bildungsbestre- 
bungen s. Heimbucher, Die praktisch-soziale Tätig- 
keit des Priesters (1902; § 5: Pflege der V. u. 
Volksaufklärung S. 63 ff); Drammer, Bademekum 
U für die Präsides der Jünglingsvereine (1902). 
 
	        
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