921 Volksschulen. 922
Schulen gegeben. Aber man geht zu weit, wenn griff des modernen Staats in die Entwicklung des
man Luther den Gründer der deutschen Volksschule Schulwesens besteht daher fast überall darin, daß
nennt; es hat vor der Reformation durchaus nicht ein Schul= oder doch wenigstens ein Lernzwang
an Volksschulen gefehlt, die Idee der allgemeinen eingeführt wird. Die Leitung der Schule verbleibt
Volksschule war schon vorher vorhanden, und die zunächst meist noch der Kirche, der Staat führt
Verwirklichung derselben ist auch Luther nicht ge= ihr nur die Schüler zu.
lungen. Noch während der Wirren des Dreißigjährigen
Auch die katholische Kirche stand in jener 6 Kriegs erschien im Jahr 1642 der „Schul-
Zeit nicht zurück. Mit Eifer und Geschick ging methodus“ des Herzogs Ernst des Frommen von
man daran, das auf kirchlichem Gebiet Verlorene Gotha. Durch ihn werden die pädagogischen Ideen
wieder zu erobern. Das Konzil von Trient machte des Comenius (1592/1670) in die Praxis
es den Geistlichen zur dringenden Pflicht, sich des übergeführt. Sittlich-religiöse Bildung, die sich
Jugendunterrichts anzunehmen und den vernach- 6 auf eine umfassende intellektuelle Bildung gründet,
lässigten Pfarrschulen ihr Interesse zuzuwenden. ist nach Comenius das einheitliche Ziel der Men-
Eine Reihe von Synoden zwischen 1536 und schenerziehung. Daher berücksichtigt der Schul-
1628 führte diese Vorschriften weiter aus. Zuer= methodus neben Religion, Lesen, Schreiben,
wähnen sind die Synoden von Köln, Osnabrück, Rechnen und Singen auch die Realien. Die
Ermland, Metz, Augsburg, Straßburg und Mün= Schulpflicht ist allgemein; über die Melhode des
ster. Die letztere ordnete beispielsweise die Errich= Unterrichts werden verständige Vorschriften ge-
tung von Schulen in allen Ortschaften, die Ein= geben; auch den materiellen Verhältnissen der
richtung getrennter Klassen für Knaben und Lehrer wird Aufmerksamkeit geschenkt. Aber die
Mädchen und die Anstellung von Lehrerinnen für Vorschriften des Schulmethodus bildeten für die
die Mädchen an. Auch manche katholische Orden damalige Zeit einen so großen Schritt vorwärts,
haben sich große Verdienste um die niederen Schu= daß die Wirklichkeit der Theorie nicht zu folgen
len erworben, besonders die Piaristen und die vermochte. Auch in Gotha entsprach das Schul-
ochristlichen Schulbrüder“. wesen durchaus nicht den weisen Anordnungen des
3. Die Schule als Gegenstand staatlicher Herzogs. Langsam folgten die andern Staaten.
Fürsorge. Der Dreißigjährige Krieg In Preußen war es Friedrich Wilhelm I.,
unterbrach die Entwicklung, er zerstörte unzählige der durch eine Verordnung vom 28. Sept. 1717
Schulen. Nach dem Westfälischen Frieden wird befahl, „daß hinkünfftig in denen Orten, wo
die Schule auf ganz anderer Grundlage neu er= Schulen seyn, die Eltern bey nachdrücklicher Straffe
richtet. Verschiedene Verhältnisse hatten die Macht gehalten seyn sollen, Ihre Kinder im Winter
der Fürsten allmählich erweitert, der Dreißigjährige täglich und im Sommer, wann die Eltern die
Krieg schuf die absolute Monarchie. In evangeli= Kinder bey ihrer Wirtschaft benötigt seyn, zum
schen Staaten war der Landesfürst zugleich um- wenigsten ein= oder zweymahl die Woche in
mus episcopus. Da der Friede nur den Landes= die Schuel schicken“". Mit der ihm eignen Ent-
herren freie Religionsübung zugestand und ihnen
zugleich das Recht verlieh, in ihren Gebieten zu
reformieren (cuius regio, eins religio), so dehnte
er die Fürstengewalt auf geistlichem Gebiet außer-
ordentlich aus. Dazu kam, daß sich allmählich die
moderne Staatsidee ausbildete, der zufolge der
Staat nicht allein Schutz zu gewähren hat, son-
dern auch zur Förderung aller Kulturinteressen ver-
pflichtet ist. Die Schule wird daher ein Gegen-
stand staatlicher Fürsorge, und früher oder später
werden in allen Ländern gesetzliche Bestimmungen
über das Schulwesen erlassen, welche den Einfluß
der Kirche wesentlich beschränken. Begünstigt wurde
diese Entwicklung durch den Umstand, daß die
Religionskriege der Kirche schweren Schaden zu-
gefügt hatien. Es fehlten ihr vielfach die materiel-
len Mittel, das Zerstörte wiederherzustellen und
weiter zu entwickeln. Auch war es der Kirche nicht
gelungen, ihre Idee einer allgemeinen Volksbil-
dung in die Wirklichkeit umzusetzen. Gerade die
unwissendsten und rohesten Elemente, die der
Schulzucht am meisten bedurften, entzogen sich
ihrem Einfluß, und die moralischen Machtmittel
der Kirche genügten nicht in einem Zeitalter der
Verrohung und Entkirchlichung. Der erste Ein-
schiedenheit ging Friedrich Wilhelm an die Grün-
dung von Schulen; es war ihm Ernst mit der
Einführung der Schulpflicht. Die Principia re-
gulativa vom 30. Juli 1736 geben genaue Vor-
schrifren über die Unterhaltung der Schulen in
der Provinz Preußen. Damit war der Grund-
stein zur jetzigen preußischen Volksschule gelegt,
Friedrich Wilhelm I. ist der Vater des preußischen
Volksschulwesens. Friedrich d. Gr. ging auf dem
beschrittenen Weg weiter. Neben der allmählichen
Durchführung der Schulpflicht erstreckt sich seine
Tätigkeit wie auch die seiner Nachfolger haupt-
sächlich auf zwei Gebiete. Es zeigte sich, daß der
Staat den von ihm gegründeten Schulen nicht
ohne weiteres einen Inhalt zu geben vermochte,
wie dies durch die Kirche, eine geistige Macht, ge-
schehen war. Der Gedanke einer nationalen Er-
ziehung lag zunächst noch fern, die Erziehung zum
Weltbürger, die für den aufgeklärten Absolutis-
mus in erster Linie in Betracht kam, war doch ein
Ziel, das sich für die Volksschule als zu wenig
geeignet erwies. Ebenso fehlte es dem Staat an
cLehrern, wie sie die Kirche in den Geistlichen und
Küstern besessen hatte. Wenn man also der Kirche
die innere Leitung der Volksschule vorläufig noch