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Religionsunterrichts, besonders des religiösen Me-
morierstoffs, äußerste Beschränkung der meisten
übrigen Lehrgegenstände, in erster Linie der Re-
alien, sind die Grundzüge der Regulative. Ihr
Verfasser war Stiehl, vorher Seminardirektor in
Neuwied.
Unter den Ministerien Bethmann-Holl-
weg und Mühler blieben die Regulative be-
stehen. Die Unterrichtsgesetzentwürfe der beiden
Minister scheiterten (1862 und 1869). Das Mi-
nisterium Falk stand im Zeichen des Kultur-
kampfs. Falks erste Tat war die Durchsetzung des
Schulaussichtsgesetzes vom 11. März 1872, das
mit der preußischen Verfassung in offenbarem
Widerspruch stand, weil der Art. 26 derselben in
seiner damaligen Fassung nur die Reglung des
ganzen Unterrichtswesens durch ein besonderes
Gesetz zuließ, die Reglung einzelner das Schul-
wesen betreffender Materien aber ausschloß. In
diesem Gesetz wird die Aufsicht über alle öffent-
lichen und Privatunterrichts= und Erziehungs-
anstalten ausdrücklich dem Staat zugesprochen.
Bis 1878 wurden alsdann 172 weltliche Kreis-
schulinspektoren angestellt, fast alle in katholischen
Bezirken; den katholischen Geistlichen wurde die
Ortsschulaufsicht entzogen, alle geistlichen Orden
wurden von der Lehrtätigkeit ausgeschlossen, die
Errichtung von Simultanschulen begünstigt. Am
15. Okt. 1872 erschienen die Allgemeinen Be-
stimmungen, die an die Stelle der Regulative
traten, und soweit sie sich auf die Volksschule be-
ziehen, noch heute in Kraft sind. Unter Falk
wurde die Herrschaft des Staats über die Schule
eine vollständige; die Kirche hat nur so weit Rechte,
als der Staat ihr solche zugesteht. Als in den
leitenden Kreisen die Neigung zur Weiterführung
des Kulturkampfs schwand, wurde Falk durch
Puttkamer ersetzt, dem nach kurzer Zeit Goß-
ler und dann Graf v. Zedlitz folgten. Alle
drei hatten die Aufgabe, mit der katholischen
Kirche ein erträgliches Verhältnis herbeizuführen.
Sowohl v. Goßler wie Graf v. Zedlitz machten den
vergeblichen Versuch, ein Schulgesetz zustande zu
bringen. Der im Herbst 1890 von v. Goßler vor-
gelegte Entwurf begünstigte ganz offenbar die
Simultanschule; er nahm für den Staat sogar
das Recht auf Erteilung des Religionsunterrichts
in Anspruch, während er nur in beschränktem Maß
die Mitwirkung kirchlicher Organe dabei vorsah.
Der Kirche blieb das Recht entzogen, irgendwie
bei der Schulaufsicht mitzuwirken. Der heftige
Widerstand, den der Entwurf bei der Mehrheit
des preußischen Abgeordnetenhauses fand, ver-
anlaßte die Zurückziehung... Im Jan. 1892
wagte Graf v. Zedlitz wiederum ein Schulgesetz
vorzulegen. Sein Entwurf stand in Überein-
stimmung mit Art. 24 der preußischen Ver-
fassung auf dem Boden der Konfessionsschule und
berücksichtigte auch im übrigen in anerkennens-
werter Weise die Rechte der Kirche. Das Schicksal
des Entwurfs war ein im parlamentarischen Leben
Volksschulen.
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einzig dastehendes: von liberaler Seite wurde eine
derartige Agitation im ganzen Land gegen die
Vorlage entfacht, daß sich die Regierung leider
veranlaßt sah, den Entwurf noch während der
Kommissionsverhandlungen, obwohl eine Mehr-
heit für denselben im preußischen Landtag ge-
sichert war, zurückzuziehen. Der Kultusminister
Graf v. Zedlitz nahm seine Entlassung, der Reichs-
kanzler Graf v. Caprivi legte das Präsidium
im preußischen Ministerium nieder. Erst dem
Kultusminister Studt gelang es, hauptsächlich
infolge eines zwischen Konservativen, Freikonser-
vativen und Nationalliberalen abgeschlossenen
Kompromisses das Volksschulunterhaltungsgesetz
vom 28. Juli 1906 (Gesetzessammlung S. 335)
zustande zu bringen, nachdem die verfassungs-
rechtlichen, oben hervorgehobenen Bedenken durch
eine Abänderung des Art. 26 der Verfassung ge-
mäß dem Gesetz vom 10. Juli 1906 (Gesetzes-
sammlung S. 333) beseitigt worden waren. Durch
dieses Gesetz (8 63) sind alle entgegenstehenden
Bestimmungen, mögen sie in allgemeinen Gesetzen,
in Provinzialrechten, Bezirks-, Orts= oder Schul-
verfassung, Herkommen, Gewohnheitsrecht oder
in allgemeinen auf Grund der Gesetze getroffenen
Anordnungen beruhen, außer Kraft gesetzt. Aus
„nationalen Gründen“ findet das Gesetz auf die
Provinzen Westpreußen und Posen keine Anwen-
dung. Träger der Volksschullast ist die bürgerliche
Gemeinde. Der Staat gewährt den Gemeinden
teils gesetzlich festgelegte Beiträge zur Schulunter-
haltung, teils sog. Ergänzungszuschüsse im Fall
des Unvermögens nach freiem Ermessen des Mi-
nisters. — Der § 33 des Gesetzes legt für Preußen
die konfessionelle Schule als Regel gesetzlich fest.
Der 8 36 gestattet, „aus besondern Gründen“
unter Beobachtung des im Gesetz vorgesehenen
Verfahrens, Simultanschulen einzurichten. In
Schulverbänden, in denen lediglich Simultan-
schulen bestehen, können in Zukunft auch nur wieder
Simultanschulen errichtet werden, wenn nicht „aus
besondern Gründen“ eine Anderung seitens der
Schulaussichtsbehörde zugelassen wird. Die Be-
stimmungen des Gesetzes über die konfessionellen
Verhältnisse (8§ 33—42) finden „aus historischen
Gründen“ in dem Gebiet des ehemaligen Herzog-
tums Nassau keine Anwendung. Hier bleibt es
bei dem Schuledikt vom 24. März 1817, dessen
§ 2 die Simultanschule einführte.
Die Reglung des Schulwesens gehört in
Deutschland zur Zuständigkeit der Landes-
gesetzgebung und Landesverwaltung. Deshalb er-
geben sich in den einzelnen Bundesstaaten mannig-
sache Unterschiede, wenn sich auch im allgemeinen
die Entwicklung des Volksschulwesens in ähnlichen
Bahnen vollzogen hat wie in Preußen.
Auch in Bayern gingen die Volksbildungs-
bestrebungen zunächst von der Kirche aus, die
Schulstellen wurden lange Zeit unter die Kirchen-
dienste gezählt. Im Anfang des 19. Jahrh.
kommen die Schulen allmählich in die Gewalt des