Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Notschulen gegründet, die als Filialschulen, ex- 
ponierte Schulen (an denen ein Gehilfe dauernd 
unterrichtete), Exkurrendoschulen (an denen zeit- 
weise ein Lehrer einer benachbarten Schule unter- 
richtete), Notschulen (bei denen es an Räumen 
und Dotation mangelte) bezeichnet wurden; zu den 
letzteren gehören die Elementarsonntagsschulen. 
Bei diesen mangelhaften Einrichtungen waren in 
einzelnen Kronländern, besonders in Galizien, 
der Bukowina, in Kärnten, Krain, Istrien, Dal- 
matien, Tausende von Kindern ohne jeden Unter- 
richt. Das Jahr 1848 brachte Osterreich ein 
Unterrichtsministerium. Der Unterstaatssekretär 
Frhr v. Feuchtersleben arbeitete den Entwurf 
zu einem Unterrichtsgesetz aus, der beim Aus- 
scheiden v. Feuchterslebens unerledigt blieb. Des- 
halb wurden einzelne Gebiete des Schulwesens 
durch Erlasse geregelt. 1849 wurden die Landes- 
schulräte eingerichtet, die Trivialschulen erhielten 
eine dritte Klasse, die vierte Klasse der Haupt- 
schulen wurde zu einer Bürgerschule ausgebaut. 
Alle Schulbücher mußten aus dem Schulbücher- 
verlag zu Wien stammen, kein Gegenstand durfte 
ohne Benutzung des vorgeschriebenen Lehrbuchs 
gelehrt werden, weitgehende Abweichungen von 
den Lehrtexten waren streng untersagt. Hinsicht- 
lich der Methode war dem Lehrer Freiheit ge- 
lassen; der Unterricht wurde in der Muttersprache 
erteilt. Zu Beginn der 1860er Jahre finden sich 
vereinzelte Kundgebungen, die auf eine durch- 
greifende Schulreform abzielen; dieselbe wurde 
jedoch durch die langwierigen Verfassungskämpfe 
und den Doppelkrieg von 1866 verzögert. Das 
Staatsgrundgesetz vom 21. Dez. 1867 spricht 
jedem Staatsbürger, der die Befähigung besitzt, 
das Recht zur Gründung von Schulen zu: die 
oberste Leitung des Unterrichtswesens gebührt dem 
Staat, für den Religionsunterricht hat die betref- 
fende Kirche zu sorgen. Das Gesetz vom 25. Mai 
1868 führt diese Grundsätze weiter aus, indem 
es den Unterricht in den weltlichen Fächern von 
dem Einfluß der Religionsgesellschaften unab- 
hängig macht und die kirchliche Schulaussicht durch 
die Neueinführung von Orts-, Bezirks= und Lan- 
desschulräten beseitigt. Am 14. Mai 1869 wurde 
das Reichsvolksschulgesetz erlassen. Dieses teilt die 
Schulen in öffentliche und in Privatschulen. Letz- 
teren kann das Offentlichkeitsrecht, d. h. das Recht, 
staatsgültige Zeugnisse auszustellen, verliehen 
werden. Die öffentlichen Schulen sind inter- 
konfessionell. Die Uberwachung des Religions- 
unterrichts kommt der Kirchenbehörde zu. Die 
Bürgerschule kann in Städten errichtet werden, 
um den Schülern eine über das Ziel der all- 
gemeinen Volksschule hinausgehende Bildung zu 
vermitteln. Die Schulpflicht wird auf acht Jahre 
erweitert, die Entlassung von dem Nachweis eines 
Minimums von Kenntnissen abhängig gemacht. 
Die Errichtung einer öffentlichen Volksschule soll 
erfolgen, wenn bei einem fünfjährigen Durch- 
schnitt im Umkreis einer Stunde 40 Kinder woh- 
Volksschulen. 
  
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nen. Die Unterrichts= und Schulordnung vom 
20. Aug. 1870 stellt die Lehrziele der Schulen 
genau klar. Die Schulaufsicht, die Errichtung 
der Schulen und die Rechtsverhältnisse der Lehrer 
sind durch die Gesetzgebung der einzelnen Kron- 
länder geregelt. Die Schulunterhaltung fällt nach 
diesen Gesetzen den Gemeinden, den besondern 
Schulverbänden, den Bezirken oder dem Land 
zur Last, in manchen Fällen sind mehrere Fak- 
toren beteiligt. Durch die Schulgesetznovelle vom 
Jahr 1883 werden die Verhältnisse der Bürger- 
schulen geregelt. Diese werden als dreiklassige 
selbständige Anstalten organisiert, so daß nach 
fünfjährigem Besuch der Volksschule der Ubertritt 
in die Bürgerschule erfolgt. Der Fortschritt des 
österreichischen Schulwesens infolge des Reichs- 
schulgesetzes ist unverkennbar. Doch ist die Zahl 
der Analphabeten immer noch sehr groß, etwa 
24 % der gesamten über 6 Jahre alten Be- 
völkerung. Es ist das vor allem auf einzelne 
Kronländer mit sehr armer Bevölkerung zurück- 
zuführen (Dalmatien 73% , Galizien 55 %), 
während die Alpen= und Sudetenländer weit 
günstigere Ergebnisse aufweisen (Böhmen 4 %, 
Niederösterreich 5 /%). Im Jahr 1879 be- 
gann ein Kampf gegen das Reichsvolksschulgesetz. 
Man verlangte die Wiedereinführung der konfes- 
sionellen Schule, die Gewährung von Schul- 
besuchserleichterungen und die Herabsetzung der 
Schulpflicht. Daneben gingen Bestrebungen der 
Parteien, sich die Schule für die nationalen 
Kämpfe dienstbar zu machen. Die Schulgesetz- 
novelle von 1883 kommt einigen dieser Wünsche 
entgegen, indem sie für die letzten beiden Schul- 
jahre ausgedehnte Schulbesuchserleichterungen zu- 
läßt und bestimmt, daß der Leiter der Schule die 
Besähigung zum Religionsunterricht jenes Glau- 
bensbekenntnisses besitzen muß, dem die Mehrheit 
der Schüler angehört. Die lebhaften nationalen 
und religiösen Kämpfe führten zur Gründung 
nationaler (deutscher, tschechischer) Schulvereine 
und des katholischen Schulvereins, die durch Er- 
richtung von Privatschulen die von ihnen ver- 
tretenen Interessen zu fördern suchen (über die 
segensreiche Wirksamkeit des katholischen Schul- 
vereins für Osterreich (Sitz Wien] vgl. die 1911 
siahich des 25. Jubiläums herausgegebene Fest- 
chrift). 
In Ungarn beginnt die staatliche Fürsorge 
für die Volksschule mit dem Schulreglement der 
Kaiserin Maria Theresia. Joseph II. führte die 
Schulpflicht ein, doch verfiel nach seinem Tod das 
Schulwesen wieder, so daß 1848 die Schulpflicht 
und Unentgeltlichleit des Unterrichts neu befohlen 
werden mußten. 1868 wurde das noch jetzt gel- 
tende Schulgesetz erlassen, das verschiedentlich ab- 
geändert wurde. Alle Kinder, welche nicht ander- 
weitig genügend unterrichtet werden, müssen die 
öffentlichen Volksschulen besuchen. Diese sind 
simultan. Doch bilden die konfessionellen Privat- 
schulen etwa aller bestehenden Schulanstalten.
	        
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