937
Die Schulpflicht dauert vom 6. bis 12. Jahr.
Daran schließt sich die Verpflichtung zum drei-
jährigen Besuch der Fortbildungs= oder Wieder-
holungsschule. Erstere ist eine höhere Volksschule,
letztere wird sonntags abgehalten. Die Kosten
des Schulwesens werden von den Gemeinden
durch Schulsteuern gedeckt, die aber nicht mehr
als 5% der Staatssteuern betragen dürfen. Der
Religionsunterricht an den öffentlichen simultanen
Volksschulen wird von den betreffenden Religions-
gesellschaften erteilt und überwacht. Nach der Ver-
fassung soll in jeder Schule der Unterricht in der
Muttersprache des überwiegenden Teils der Ge-
meinde erteilt werden. Doch ist seit 22. Mai
1879 für alle Schulen Unterricht im Magyarischen
vorgeschrieben.
In der Schweiz ist das Schulwesen nicht
einheitlich geregelt, wird auch nicht von einer
Zentralbehörde geleitet. Artikel 27 der Bundes-
verfassung vom Jahr 1874 bestimmt: „Die Kan-
tone sorgen für genügenden Primärunterricht,
welcher ausschließlich unter staatlicher Leitung
stehen soll. Derselbe ist obligatorisch und in den
öffentlichen Schulen unentgeltlich. Die öffentlichen
Schulen sollen von den Angehörigen aller Be-
kenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens-
und Gewissensfreiheit besucht werden können.“
Aus dieser Bestimmung wurde vielfach die Kon-
fessionslosigkeit der Schule abgeleitet, doch will
der Satz nur besagen, daß jeder Konfession eine
öffentliche Schule ohne Verletzung der Gewissens-
freiheit offen stehe, nicht etwa, daß jede öffentliche
Schule allen Konfessionen offen stehen muß. Von
großem Einfluß auf die Entwicklung des Schul-
wesens war die Einführung der Rekrutenprüfungen
(1875), wonach jeder Bürger beim Eintritt in das
Heer im Lesen, Schreiben, Rechnen und in der
Vaterlandskunde geprüft wird. Mit Rücksicht dar-
auf führten zwölf Kantone obligatorische, fünf
freiwillige Fortbildungsschulen ein. Die Schul-
pflicht dauert vom 6. oder 7. bis zum 13., 14.,
15., ja selbst 16. Lebensjahr. Die Schulen sind
Kindergärten, Primärschulen, Sekundärschulen,
Fortbildungsschulen, landwirtschaftliche und Re-
krutenkurse. In den Sekundärschulen wird in einer
fremden Sprache unterrichtet. Die Aufhebung
des Schulgelds wurde trotz der Bestimmung der
Bundesverfassung erst 1880 allgemein durchge-
führt. 1877 wurde der Entwurf eines Bundes-
gesetzes über den Volksschulunterricht verworfen.
Seitdem besteht jedoch ein Bureau des öffentlichen
Unterrichts, das einen informatorischen Charakter
besitzt. Konfessionsloser Religionsunterricht wird
erteilt in den Schulen der Kantone Aargau, Basel-
Stadt und Zürich, religionsloser Sittenunterricht
im Kanton Solothurn.
Frankreich besaß schon früh ein blühendes
Unterrichtswesen, das fast ausschließlich von der
Kirche unterhalten wurde. Die Revolution ver-
nichtete die Schulen, kein Geistlicher durfte mehr
Lehrer sein. Der Befehl des Konvents vom 17. Nov.
Volksschulen.
938
1794, daß die Gemeinden Schulen begründen und
unterhalten sollten, gelangte ebensowenig zur vollen
Ausführung wie die von Napoleon I. unter dem
17. März 1808 angeordnete Reglung des Schul-
wesens. Im Jahr 1848 sollte ein Gesetzentwurf
die Schule zur reinen Staatsanstalt machen.
Namentlich Thiers bekämpfte ihn heftig und setzte
es durch, daß das Gesetz vom 15. März 1850
(Gesetz Falloux) die Freiheit des Primärunter-
richts aussprach, somit den kirchlichen Lehranstalten
unter Vorbehalt der Staatsaussicht dieselben Rechte
wie den staatlichen Schulen verlieh, den Gemeinden
die Wahl ließ zwischen Ordensleuten oder welt-
lichen Lehrern. Nach Errichtung der Republik
1870 gewann die kirchenfeindliche Richtung immer
mehr an Boden. Man versuchte zunächst den von
religiösen Orden geleiteten Schulen durch scharfe
Konkurrenz die Lebensfähigkeit zu rauben. Die
Gemeinden wurden zum Bau von Schulhäusern
angehalten und die ärmeren Gemeinden vom Staat
reichlich unterstützt. Die Ferryschen Unterrichts-
gesetze führten dann den Grundsatz der Verwelt-
lichung der Volksschule mit großen staatlichen Auf-
wendungen durch. Durch das Gesetz vom 27. Febr.
1880 wurde der Oberschulrat (conseil supérieur
de T’instruction publique) neu gestaltet, die geist-
lichen Mitglieder wurden ausgeschlossen. Das De-
kret vom 29. Mai 1880 untersagte den nicht an-
erkannten geistlichen Genossenschaften alle unter-
richtliche Tätigkeit. Das Gesetz vom 16. Juni
1881 verlangte die Ablegung einer staatlichen
Prüfung für alle an Volksschulen Unterrichtenden.
Am 28. März 1882 erfolgte die Einführung des
Schulzwangs (vom vollendeten 6. bis zum zurück-
gelegten 13. Lebensjahr) sowie der Unentgeltlich-
keit des Elementarunterrichts und der Ausschluß
des Religionsunterrichts aus dem Lehrplan der
Volksschule. An seiner Stelle wurde Moralunter-
richt eingeführt; der Name „Gott“ sollte in den
Schulen nicht genannt werden. Das Gesetz vom
28. Okt. 1886 verpflichtet jede Gemeinde, wenig-
stens eine Schule zu unterhalten, an der nur
Laien unterrichten, beseitigte das Aufsichtsrecht der
Pfarrer, gestattete aber den religiösen Orden,
„freie Schulen“ zu errichten, wenn deren Lehrer
eine staatliche Prüfung bestanden hätten. Gegen
die Lehrtätigkeit der religiösen Orden in diesen
Schulen richtete sich dann die radikale Gesetz-
gebung seit dem Jahr 1900. Das Vereinsgesetz
vom 1. Juli 1901 verpflichtete die religiösen Ge-
nossenschaften, die Genehmigung der Regierung
einzuholen. Diese Genehmigung wurde gegen den
Sinn des Vereinsgesetzes fast sämtlichen nach-
suchenden Niederlassungen grundsätzlich verweigert
und die nicht genehmigten freien Schulen unter-
drückt (bis 1904 etwa 16 000). Durch das Gesetz
vom 7. Juli 1904 wurde dann auch den vom
Staat genehmigten („autorisierten") Kongregatio-
nen und ihren Mitgliedern die Erteilung von
Unterricht verboten, zugelassen wurden nur katho-
lische Schulen, die Lehrkräfte für die Kolonien