Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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bestehen zahlreiche Notschulen und ein weit ver- 
zweigtes, vielfach von Ordensleuten geleitetes Pri- 
vatschulsystem, das jedoch seit der 1910 ausge- 
brochenen Revolution zerstört worden ist. Seit 
Einführung der jeder staatlichen Ordnung ent- 
behrenden Republik sind auch die Schulverhöltnisse 
ganz unübersichtlich. 
Seit dem Bestehen Belgiens sind vier Schul- 
gesetze erlassen worden (1842, 1879, 1884, 1895). 
Der Grundgedanke der Organisation ist in allen 
wesentlich gleich geblieben. Der Elementarunter- 
richt ist Gemeindesache. Die Schulgesetze geben 
nur den Rahmen für die Einrichtung und Unter- 
haltung der Schulen. Eine mannigfache Verän- 
derung erlitten durch die öftere Verschiebung der 
Parteiverhältnisse die Bestimmungen über den Re- 
ligionsunterricht. Das Schulgesetz vom 15. Sept. 
1895 entspricht den Anschauungen der Katholiken. 
Jede Konfession hat ein Recht darauf, daß Reli- 
gionsunterricht erteilt werde, wenn die Anzahl 
der Kinder in einklassigen Schulen 20, in mehr- 
lassigen die Zahl 40 erreicht. In gemischten 
Schulen muß der außerreligiöse Unterricht einen 
neutralen Charakter haben. Staatszuschüsse wer- 
den nicht nur den Gemeindeschulen, sondern auch 
den ihre Stelle vertretenden (adoptierten) Privat- 
schulen und auch solchen Privatschulen erteilt, die 
infolge ihrer Einrichtung den Gemeindeschulen 
gleichwertig sind. Ein im Jahr 1910 vom Mi- 
nister Schollaert vorgelegter Gesetzentwurf, der die 
Unterrichtsfreiheit noch mehr wie bisher fördern 
sollte, entfachte eine wüste Hetze der Sozialdemo- 
kraten und Liberalen, deren nächste Folge der 
Sturz des Ministers war. Ob der Gesetzentwurf 
wieder zur Beratung vorgelegt werden wird, läßt 
sich zur Zeit nicht sagen. 
Auch in Holland war das Volksschulwesen 
srüher vollständig den kirchlichen Gemeinden über- 
lassen. Schon zur Zeit der Batavischen Republik 
(1801) wurde jedoch die konfessionslose Schule 
eingeführt. Für den Religionsunterricht sind einige 
Stunden freigegeben. Zeitweise wurde der Aus- 
schluß der Religion aus der Schule so streng durch- 
geführt, daß Lehrer gemaßregelt wurden, weil sie 
den Namen „Christus“ gebraucht hatten. Seit 
1848 dürfen Privatschulen, die meist einen kon- 
fessionellen Charakter tragen, errichtet werden. 
Holland besitzt keinen direkten Schulzwang, doch 
sind diejenigen Eltern, welche ihre Kinder zwischen 
dem 6. und 13. Jahr nicht in die Schule schicken, 
in ihren bürgerlichen Rechten beschränkt. Tat- 
sächlich besuchen nur 5 % der Kinder dieses Alters 
keine Schule, und die Rekrutenprüfung ergab 1902 
nur 2,3 % Analphabeten. In den meisten Schulen 
wird Schulgeld erhoben. Die gesetzliche Reglung 
des Schulwesens erfolgte am 17. Aug. 1878. Die 
Novellen zu diesem Gesetz von 1889, 1901 und 
1905 sichern auch den konfessionellen Privatschulen 
eine Staatsunterstützung und Gleichberechtigung 
ihrer Lehrer mit denen der Staatsschulen zu. Die 
staatlichen konfessionslosen Schulen (1908:3274) 
Volksschulen. 
  
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treten an Wichtigkeit und Einfluß allmählich zurück 
gegenüber den konfessionellen Privatschulen (1908: 
1885, davon 1734 mit staatlichen Beiträgen). 
In Großbritannien war das Volksschul- 
wesen bis 1833 lediglich Sache der Konfessionen, 
welche es hauptsächlich durch verschiedene Schul- 
gesellschaften unterhielten. 1833 bewilligte das 
Parlament 20000 Pfund Sterling zur Förderung 
der Volksschulen, 1839 erfolgte die Einrichtung 
einer obersten Schulbehörde. Erst am 9. Aug. 
1870 erschien das erste englische Volksschulgesetz, 
das 1873 und 1876 ergänzt wurde. Danach er- 
richtet der Staat nur Schulen, wo solche nicht 
vorhanden sind, im übrigen unterstützt er die 
öffentlichen Schulen. Die Höhe der Subventionen 
ist von der Einrichtung der Schulen und der Zahl 
der Unterrichtsfächer abhängig. Die öffentlichen 
Schulen stehen unter der Aufsicht der School 
Boards, einer aus der Wahl der Steuerzahler 
hervorgegangenen Schulbehörde. In den Board- 
schulen darf kein konfessionelles Religionsbuch ver- 
wendet werden, der Religionsunterricht bleibt den 
Geistlichen überlassen. Die Schulpflicht ist nicht 
überall durchgeführt, selbst in London besuchen 
Tausende von Kindern keine Schule. Ursprünglich 
glaubte man, daß die Boardschulen allmählich die 
seit alters bestehenden Kirchenschulen verdrängen 
würden. Aber im Jahr 1900 besuchten noch mehr 
als 3 Mill. Schüler die Voluntary Schools, 
während etwa 2,6 Mill. in Boardschulen unter- 
richtet wurden. Die katholischen Schüler sind fast 
ausschließlich in diesen konfessionellen Kirchen- 
schulen untergebracht. 1902 wurde vom Parla- 
ment ein Gesetz genehmigt, nach welchem die 
School Boards aufgehoben und sämtliche Schulen, 
die öffentlichen (Board oder Undenominational 
Schools) und die konfessionellen (Oenomina- 
tional Schools) unter die Aufsicht des Graf- 
schaftsrats gestellt wurden. Jede Schule erhält 
einen Aufsichtsrat von sechs Mitgliedern, von 
denen bei den Regierungsschulen vier durch den 
Grasschaftsrat, zwei durch die lokalen Behörden, 
bei den konfessionellen Schulen zwei durch den 
Grafschaftsrat und vier von den „Gründern" der 
Schulen ernannt werden. Offentliche und Kirchen- 
schulen erhalten nach diesem Gesetz gleiche Unter- 
stützung aus Staatsmitteln. Als die liberale Re- 
gierung ans Ruder kam, brachte sie 1906 auf 
Drängen der Gegner des konfessionellen Religions- 
unterrichts (der sog. Nonkonformisten) einen Ge- 
setzentwurf auf Beseitigung des konfessionellen 
Neligionsunterrichts in den katholischen und angli- 
kanischen Privatschulen ein; der vom Unterhaus 
angenommene Entwurf wurde jedoch von den 
Lords abgelehnt und nach dreimaligem vergeb- 
lichen Vorbringen zurückgezogen. In den Board-- 
schools wird eine Art konfessionsloser Religions- 
unterricht gelehrt. Ahnliche Einrichtungen besitzen 
die englischen Kolonien. 
In den Vereinigten Staaten besteht 
kein einheitliches Schulwesen. Jeder Staat regelt
	        
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