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erwartete man in Bezug auf Erziehungstätigkeit
nicht viel, sonsi hätte man nicht Leuten, die zu
nichts anderem zu gebrauchen waren, den Unter-
richt übergeben können. Dieses geringe Erziehungs-
pensum leistete die alte Schule fast unbewußt, von
einer planmäßigen Schulerziehung kann absolut
nicht die Rede sein. Die wirtschaftlichen Verhält-
nisse der Gegenwart haben die Sachlage geändert,
durch sie wurden die Ansprüche an die Schule stark
gesteigert. Je mehr Maschinen aufgestellt wurden,
desto mehr verlangte man von dem Arbeiter nicht
allein rohe Kraft, sondern vielmehr Leistungen,
bei denen Kopf und Hand tätig sein müssen. An-
derseits begünstigte die Maschinenarbeit die Aus-
dehnung der Betriebe: die kleinen Werkstätten
gehen ein, Männer und Frauen wandern immer
zahlreicher in die Fabriken, ein immer höherer
Prozentsatz der Kinder entbehrt des elterlichen Ein-
flusses während des größten Teils des Tages.
Dazu kommteine materialistische Lebensauffassung,
die in weiten Kreisen des Volks verbreitet ist und
auf die Jugenderziehung einen verderblichen Ein-
fluß ausübt. Sowohl auf dem Gebiet des Unter-
richts als auf dem der Erziehung mußte also die
Schule ihre Leistungen erhöhen. Es kann nicht
geleugnet werden, und darin liegt das Berechtigte
des oben angeführten Vorwurfs, daß die moderne
Schule sich diesen erhöhten Anforderungen nicht
ganz gewachsen gezeigt hat. Zunächst ist sie der nahe-
liegenden Gefahr erlegen, den Unterricht auf Kosten
der Erziehung zu fördern, da ja seine Erfolge
leichter in die Augen fallen und einen in der
Praxis bemerkbaren Nutzen gewähren. Aber auch
auf rein intellektuellem Gebiet hat die Schule nicht
die Resultate gezeitigt, die man von ihr erwartete.
Die zahlreichen Klagen über die mangelhaften
Kenntnisse der schulentlassenen Jugend sind nicht
unberechtigt. Die oft geradezu erschreckenden Er-
fahrungen mit Fortbildungsschülern verleihen
ihnen Stütze. Aber das oft empfohlene Heilmittel,
den Schulunterricht zu beschränken und einzelne
Unterrichsgegenstände (Realien) vollständig aus-
zuschließen, kann unmöglich zum Ziel führen. Im
Gegenteil gilt es, die Leistungsfähigkeit der Schule
zu erhöhen. Daß die Lehrerschaft sich dieser Not-
wendigkeit bewußt ist, beweist das tiefgehende und
weilverbreitete Streben der Lehrer nach besserer
Vorbildung für ihren Beruf.
In der letzten Zeit sind zahlreiche Versuche
unternommen worden, der Schule eine Reihe
neuer Aufgaben zuzuweisen. Man kann zwei
Gruppen von Forderungen unterscheiden. Die
einen verlangen eine bessere Vorbildung der
Schüler für ihren künftigen Beruf, die andern
wünschen Körperpflege, ja selbst vollständigen
Unterhalt der Kinder durch die Schule. Die Schule
muß diese Ansprüche in ihren Ubertreibungen zu-
rückweisen. Sie ist eine allgemeine Bildungs-
anstalt, die Fachausbildung ist nicht ihre Sache.
Eine zu starke Betonung des Utilitätsprinzips
Volksschulen.
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zieherische Aufgabe zu lösen und einen auf das
Ideale gerichteten Sinn zu erzeugen. Aber auch
die eigentliche Körperpflege gehört nur in vernünf-
tigen und den jeweiligen Verhältnissen angepaßten
Grenzen in die Volksschule. Wohl wird die Schule
alles vermeiden, was die Gesundheit der Schüler
schädigen könnte, vielmehr im Gegenteil, soweit sie
vermag, alles aufbieten, um das körperliche Wohl
der Schüler zu fördern; so sind die vielfach ein-
gerichteten Schulbäder je nach den Verhältnissen
der Gemeinde für durchaus zweckmäßig zu er-
achten; aber z. B. die Beköstigung und Bekleidung
der Kinder geht doch weit über den Rahmen der
Aufgaben der Schule hinaus; es müssen sich an-
dere Mittel und Wege finden lassen, notleidenden
Kindern die Befriedigung ihrer elementarsten Be-
dürfnisse zu ermöglichen.
2. Die öffentliche Stellung der Schule. Die
Schule ist eine Hilfsanstalt der Familie, der Kirche
und des Staats. Sie steht zu diesen drei Faktoren
nicht in gleichem Verhältnis; die Tätigkeit der
Familie ergänzt sie, die Kirche wird von ihr beie
der Erziehung der Jugend unterstützt, für den
Staat ist sie ein Werkzeug. Diese Stellung der
Schule bedingt, daß alle drei Mächte auf die
Schule einzuwirken suchen. Die Rechte der ein-
zelnen Faktoren in jedem Fall gegeneinander ab-
zuwägen, ist schwer, deshalb kam es in fast allen
Ländern zu heftigen Kämpfen in Bezug auf die
Gestaltung des Volksschulwesens.
Als erster Faktor gelten die Eltern und deren
Gesamtheit, die Gemeinden, und zwar ent-
weder die sog. Hausvätergemeinden oder Schul-
sozietäten, wie sie das Preußische Allgemeine Land-
recht kennt, oder die politischen Gemeinden. Der
Unterhalt der Schule ist fast überall Gemeinde-
sache, ebenso die Reglung der äußern Schulange-
legenheiten. In zahlreichen Fällen beruft die Ge-
meinde auch die Lehrer. Meist ist sie dabei aber
an die Genehmigung der staatlichen Behörden
gebunden. Die Stellung der Gemeinde zur Schule
ergibt sich aus der Tatsache, daß die Schule ihre
Kinder erzieht. Aber es wäre bedenklich, wollte
man die Volksschule den Gemeinden ausschließlich
überlassen; von einer Einheitlichkeit der Schule
könnte dann keine Rede sein, und manche höheren
Aufgaben der Schulen blieben unberücksichtigt.
Letztere Gefahr schwindet um so mehr, je größer
das Gemeinwesen wird. Deshalb sind fast in
allen Ländern den größeren Städten erhöhte
Rechte in Bezug auf die Volksschulen eingeräumt,
ihnen wird auch die innere Verwaltung der Volks-
schule zum größten Teil überlassen. Fast überall
aber behält sich der Staat die oberste Leitung
des Schulwesens vor. Er tut dies auf Grund der
modernen Staatsidee, welche ihm die Sorge für
die Kultur des Volks auferlegt. Dazu kommt,
daß der Staat an der Bildung des Volks ein
unmittelbares Interesse hat. Besonders gilt das
für die Staaten mit konstitutioneller Regierung,
würde es der Schule unmöglich machen, ihre er- in denen das Volk Einfluß auf die Gesetzgebung