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sog. Realien: Erdkunde, Naturgeschichte und die
Anfänge der Naturlehre, und drittens die tech-
nischen Fächer: Zeichnen, Turnen und Hand-
arbeit. Auch dem Singen sind besondere Stunden
eingeräumt. Bezüglich der „Theorie des Lehr-
plans“ kann hier nur kurz erwähnt werden, daß
man dabei einen „fortschreitenden“, einen „kon-
zentrischen“ und einen „vermittelnden“ Lehrplan
unterscheidet. — Für jede Schule ist in Preußen
ein Lehrplan vorgeschrieben, dessen Grundzüge
durch die Allgemeinen Bestimmungen vom 15. Okt.
1872 festgelegt sind. Für die richtige Auffassung
und Auslegung des Volksschullehrplans wurden
neuerdings inhaltreiche „methodische Anweisungen“
gegeben durch den Erlaß vom 31. Jan. 1908.—
Die Unruhe der Zeit macht sich auch in der fort-
währenden Verbesserungsarbeit an dem Lehrplan
der Volksschule bemerkbar. Besonders die tech-
nischen Fächer werden dabei reichlich zu Reform-
experimenten benutzt. So das Zeichnen; mehr
aber noch das Turnen, bei dem Deutschland direkt G
unter dem Einfluß des englischen Sportswesens
steht. Die Meinung der Bevölkerung über die
Zweckmäßigkeit dieser Reformen, namentlich weil
sie den Unterschied zwischen Stadt und plattem
Land oft aus dem Auge lassen, ist geteilt. — Der
in einigen Großstädten eingeführte Handfertig-
keitsunterricht will das theoretisch Dargebotene
sogleich durch das praktisch Dargebotene unter-
stützen. Größeren Umfang wird er schwerlich er-
langen; denn einmal macht er kostspielige Einrich-
tungen nötig, dann aber wird sich auch die Einsicht
Bahn brechen, daß er über das in der Volksschule
Erreichbare hinausgreift. Neben der religiös-sitt-
lichen Erziehung wird Aufgabe der Volksschule
stets in erster Linie ein wirklich gründlicher Unter-
richt in Lesen, Schreiben und Rechnen bleiben
müssen. Das verlangt das praktische Leben von
ihr. Was darüber hinausliegt, muß, soweit es
nicht in den andern Fächern lehrplanmäßig er-
ledigt werden kann, der Fortbildungsschule vor-
behalten bleiben, deren Lehrkörper sich ja meist
zum großen Teil aus Volksschullehrern zusammen-
setzen wird. — Sehr segensreich machen sich die
für die Mädchen des letzten Schuljahrs vielerorts,
auch auf dem Land, eingeführten Haushal-
tungsschulen (Kochschulen) bemerkbar. Man
geht dabei von der Erfahrung aus, daß ein sehr
großer Teil der weiblichen Jugend nach dem Ver-
lassen der Volksschule vielleicht nie mehr Gelegen-
heit hat, von der Führung eines Haushalts etwas
kennen zu lernen, da sie sofort vom modernen
Erwerbsleben voll in Anspruch genommen wird.
Durch den Haushaltungsunterricht soll den heran-
wachsenden Mädchen wenigstens ein Begriff von
diesen wichtigen Dingen vermittelt werden. In
manchen Fällen tritt zu den vorstehend geschil-
derten Lehrgegenständen auch fakultativer Unter-
richt in einer fremden Sprache. Auch die öster-
reichischen Bürgerschulen haben fremdsprachlichen
Unterricht. In Frankreich und andern Ländern
Volksschulen.
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fehlt die Religion, in Schweden, Dänemark und
der Schweiz ist der Handfertigkeitsunterricht obli-
gatorisch.
Neben dem Unterricht kommt für die Schule die
Gewöhnung als Erziehungsmittel in Betracht.
Zur Erzielung guter Gewohnheit dienen die Be-
lohnungen und Strafen der Schule. Als Be-
lohnungsmittel gelten Lob in Worten und in
Zensuren, Versetzen an einen ausgezeichneten Platz,
Übertragung von Ehrenämtern, Gewährung un-
schuldiger Vergnügungen, Erteilung von Prämien
und kleinen Geschenken. In Osterreich ist die Er-
teilung von Jahresprämien unstatthaft, in Frank-
reich spielen die öffentlichen Prämiierungen mit
Schülerorden und andern Auszeichnungen eine
bedeutende Rolle. Ahnliches gilt von Italien.
Als Strafmittel gelten Tadel, Verweis, Aufstehen,
Entziehen von bestimmten Vergnügen, Herunter-
setzen, Nachsitzen, körperliche Züchtigung. Das
Züchtigungsrecht steht in Preußen dem Lehrer auf
rund des Allgemeinen Landrechts und der Aller-
höchsten Kabinettsorder vom 14. Mai 1825 zu.
In beiden ist ausgesprochen, daß die Schulzucht
niemals zu Mißhandlungen, welche der Gesund-
heit der Kinder schädlich werden können, aus-
gedehnt werden darf. Die Bestimmung der Ka-
binettsorder, daß Züchtigungen, welche innerhalb
der Grenzen der Schulzucht bleiben, nicht straf-
rechtlich verfolgt werden dürfen, ist vom Reichs-
gericht durch Erkenntnis vom 3. März 1887 als
ungültig erklärt worden. Das Königlich preußische
Oberverwaltungsgericht hat den Grundsatz auf-
gestellt, alle Züchtigungen, die nicht den Anwei-
sungen der Schulaufsichtsbehörde entsprechen, seien
strafbar. Auf Grund dieser Entscheidungen kann
der Lehrer wegen jeder körperlichen Züchtigung
zur gerichtlichen Verantwortung gezogen und nur
durch Erhebung des Kompetenzkonflikts vor Strafe
geschützt werden. Die Königliche Regierung er-
hebt den Kompetenzkonflikt, wenn nach ihrer
Meinung der Lehrer nicht über die gesetzlichen
Schranken hinausgegangen ist. Durch Ministerial-
erlaß vom 19. Jan. 1900 ist den Lehrern be-
sohlen, alle körperlichen Züchtigungen mit Angabe
des Grundes in eine Liste einzutragen. In vielen
Ländern ist den Lehrern die körperliche Züchtigung
vollständig untersagt. Am weitesten geht man in
Mexiko, wo der geschlagene Schüler den Lehrer
sofort durch den nächsten Polizeibeamten ins Ge-
fängnis abführen lassen kann. Doch sind der-
artige Bestimmungen als schädlich zu bezeichnen,
denn es gibt Fälle, wo die körperliche Züchtigung
nicht zu umgehen ist und wo nur durch sie eine
völlige Verwahrlosung verhütet werden kann. In
Osterreich darf als Strafmittel auch die zeitweilige
Ausschließung aus der Schule angewandt werden.
Doch bedient man sich ihrer sehr selten, da der
ausgeschlossene Schüler nicht ohne Unterricht
bleiben darf.
7. Volksschullehrer. Was die Schule leistet,
hängt in erster Linie von der Person des Lehrers