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Somweit das der Fall ist, kann man von der Aus-
dehnung der Einflußsphäre der öffentlichen Haus-
haltswirtschaft, also einer Einzelwirtschaft sprechen,
aber nicht mehr von Volkswirtschaft. Ja, wenn
ein Zukunftsstaat in der Weise verwirklicht wer-
den sollte, daß Produktion und Zirkulation und
Konsumtion der ganzen Welt durch irgendwelche
Amter geregelt würde, dann hätte der Begriff
Volkswirtschaft, so wie er hier aufgefaßt wird,
keine Existenzberechtigung mehr.
Daraus ergibt sich auch ohne weiteres, daß die
Finanzwissenschaft, insofern sie die Lehre vom
Haushalt des Staats und der öffentlichen Körper-
schaften umfaßt, durchaus nicht ein Teil der Volks-
wirtschaftslehre ist, sie ist eine wissenschaftliche
Disziplin für sich, ähnlich wie die Privatwirt-
schaftslehre, die früher schon an den landwirt-
schaftlichen Hochschulen, neuerdings namentlich an
den Handelshochschulen ihre besondere wissenschaft-
liche Ausbildung erfährt.
Ist die hier vertretene Auffassung von dem
Begriff Volkswirtschaft richtig, dann ist es natür-
lich falsch, nach bestimmten räumlichen Grenzen
dieser Wirtschaft zu suchen, das von einem Einzel-
willen nicht geleitete, organische Ineinandergreifen
der Haushaltswirtschaften geht über die Grenzen
der Nationen ebenso hinweg wie über die Grenzen
der Rassen= und Religionsunterschiede; wenn auch
selbstverständlich das Wirtschaftsleben mehr oder
minder tief eingreifend beeinflußt wird durch Recht
und Sitte, durch die Qualität der Bevölkerung
ebenso wie durch deren Quantität, durch Rassen-
eigenarten und Rassengegensätze, durch die konfes-
sionelle Schichtung und ebenso selbstverständlich
auch durch die historisch bedingten Staats-
grenzen.
Daß über das Wesen der Wissenschaft, mit der
wir es hier zu tun haben, starke Meinungsver-
schiedenheiten bestehen, geht schon aus der Vielheit
und Vieldeutigleit der Namen hervor, die zu ihrer
Bezeichnung gewählt wurden und werden. Dem
hier von der Redaktion als Stichwort gewählten
Worte machen namentlich die beiden: National-
ökonomie und Sozialökonomie (sprachlich
besser übrigens Sozialökonomit) den Rang streitig.
Der von uns vorgetragenen Meinung entspricht un-
zweifelhaft am besten der Name Sozialökonomik
oder Sozialwirtschaftslehre, der denn auch in der
Tat von einer Reihe führender Gelehrter entweder
ausschließlich oder doch mit Vorliebe zur Bezeich-
nung unserer Wissenschaft angewandt wird.
Je mannigfacher und ausgedehnter sich das
Ineinandergreifen der Haushaltswirtschaften dar-
stellt, um so komplizierter werden natürlich die
Probleme der Volkswirtschaftslehre, insofern hat
die Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen
der Menschen zueinander für das Wesen der
Volkswirtschaftslehre einige Bedeutung. Näher
darauf einzugehen, liegt außerhalb des Rahmens
dieses Artikels. Nur so viel sei gesagt — es ergibt
sich das schon aus dem Gesagten —, daß es wider-
Volkswirtschaftslehre.
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sinnig ist, neben der Volkswirtschaftslehre etwa
noch von einer Weltwirtschaftslehre zu sprechen.
Es ist richtig, daß sich die Volkswirtschaft allmäh-
lich entwickelt hat von der Territorialwirtschaft
(regelmäßiger Austausch einer größeren Anzahl
von Warengattungen nur innerhalb eines Terri-
toriums) über die Nationalwirtschaft (Austausch
und Arbeitsteilung innerhalb eines national ge-
einten Gesamtvolks) hinweg zur Weltwirtschaft
(intensiver internationaler Güteraustausch und
Arbeitsteilung). Aber das alles sind nur Stufen
der volkswirtschaftlichen Entwicklung, deren Mög-
lichkeiten und Grenzen innerhalb der Volkswirt-
schaftslehre behandelt werden müssen.
II. Die Aufgaben und die Methoden der
Volkswirtschaftslehre als Wissenschaft. All-
gemein gesprochen ist die Volkswirtschaftslehre wie
jede andere Wissenschaft ein Inbegriff von formu-
lierten Gedanken, die auf Allgemeingültig-
keit Anspruch machen (B. Erdmann). Macht man
sich den Ernst dieses Ziels klar und denkt dabei
zugleich an die begrenzten intellektuellen Möglich-
keiten des Menschen, dann wird man bei der Ab-
steckung der Grenzen der Volkswirtschaftslehre als
Wissenschaft nicht unmögliche Weiten umfassen
wollen. Professor A. v. Wenkstern meint in seiner
„Einführung in die Volkswirtschaftslehre“: „Das
Problem der Volkswirtschaftslehre ist die Entfal-
faltung der Menschheit in allen ihren Anlagen, in
der Beherrschung der Natur und in der Gestaltung
des menschlichen Seins und Zusammenseins in
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“ Dem
stelle man gegenüber folgende von Knies, dem
theoretischen Begründer der „istorisch-psycholo-
gischen“ deutschen Nationalökonomie: „Das For-
schungsgebiet der Nationalökonomie ist das wirt-
schaftliche Gemeinschaftsleben der Menschen, also
einer jener Interessenbereiche und Tätigkeits-
triebe, die in ihrer Gesamtheit das ganze Leben
der wirtschaftlichen Persönlichkeit darstellen.“ Dort
der himmelstürmende Epigone, hier der nüchtern,
klar denkende Meister. Wir halten es mit dem
letzteren und treten dadurch allerdings auch in Gegen-
satz zu Gustav Schmoller, wenn er meint: „Volks-
wirtschaftliche Erscheinungen beobachten heißt die
Motive der betreffenden wirtschaftlichen Hand-
lungen .. .klarlegen.“ Die in lebhaftem Fluß
befindliche Gegenwart läßt sich noch weniger als
die Vergangenheit „allseitig reproduzieren“. Da-
her begnügt sich der Sozialökonom, wenn er
wissenschaftlich arbeiten will, weil er nichts Un-
mögliches leisten kann, in der Hauptsache mit der
Betrachtung nur einer Seite des menschlichen Le-
bens. Ihn interessieren die Menschen nur, soweit
sie wirtschaftlich zu handeln in der Lage sind. Ein
solches Isolierverfahren braucht unser wissenschaft-
liches Gewissen um so weniger zu beunruhigen, weil
schließlich auch die historischempirische Methode
immer auf Abstraktion und Isolation angewiesen
ist, „wenn überhaupt ein Denken zustande kommen
soll" (Lisschitz.