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geschieht in dem bekannten, von Jesuiten heraus-
gegebenen Sammelwerk „Die soziale Frage, be-
leuchtet durch die Stimmen aus Maria-Laach“,
in den Arbeiten des Moraltheologen Walter „Das
Eigentum nach der Lehre des hl. Thomas von
Aquin und des Sozialismus“ (1895), „Sozial-
politik und Moral“ (1899), des Jesuiten H. Pesch,
„Liberalismus, Sozialismus und christliche Gesell-
schaftsordnung“ (2 Bde, 21900), „Die soziale
Bewegung der katholischen Kirche“ (51911),
Cathrein, „Der Sozialismus“ (101910), Kem-
pel, „Göttliches Sittengesetz und neuzeitliches Er-
werbsleben“ (1901), Albert Maria Weiß, „So-
ziale Frage und soziale Ordnung“ ((1904). Von
älteren Schriften sei hier hervorgehoben das be-
kannte Buch Georg Ratzingers „Die Volkswirt-
schaft in ihren sittlichen Grundlagen“ (21895).
Auf protestantischer Seite verdient insbesondere
genannt zu werden die Arbeit von Martin v. Na-
thusius, „Die Mitarbeit der Kirche an der Lösung
der sozialen Frage“ (2 Bde, 71904). Endlich
darf man auch zu den Vertretern der christlichen
Volkswirtschaftslehre im weiteren Sinn solche
Sozialökonomen zählen, die sich zur christlichen
Weltanschauung bekennen und hier und da von
diesem Standpunkt aus die Volkswirtschaft be-
trachten. Unter den älteren nenne ich H. Rösler,
„Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“ (1864).
Auch Wilhelm Roscher bekannte sich, namentlich
in seinen „Geistlichen Gedanken eines National=
ökonomen“ (21896), zum Christentum. „Keine
wirtschaftliche Reform kann gelingen ohne sitt-
liche Besserung, keine sittliche Besserung ohne
reine und lebendige Religiosität, und alle bloß sub-
jektive Religiosität ist für die Massen halt= und
wirkungslos.“ Sein Nachfolger im Lehramt be-
kannte von Roscher, daß „er die Religion selbst
auf dem engsten Gebiet seiner Wissenschaft habe
zu Worte kommen lassen“. Eine ganze Schule
wußte um sich zu sammeln der Osterreicher Frhr
Karl v. Vogelsang, der auf dem Standpunkt des
Katholizismus stand und seine Anschauungen unter
andern in der „Osterreichischen Monatsschrift für
christliche Sozialreform“ in zahlreichen Aufsätzen
niedergelegt hat. Aus seinem literarischen Nachlaß
hat Klopp unter dem Titel „Die sozialen Lehren
des Frhrn K. v. Vogelsang, Grundsätze einer
christlichen Gesellschafts= und Volkswirtschafts-
lehre“ (1894) die Anschauungen Vogelsangs zu
sammeln versucht. Unter den protestantischen Na-
tionalökonomen der Gegenwart, die ihre christliche
Überzeugung in den Schriften offen zum Ausdruck
bringen, ist die hervorragendste, alle andern weit
überragende Gestalt Adolf Wagner in seinen
zahlreichen, vielfach bahnbrechenden und grund-
legenden Schriften.
Durch die zahlreichen Einzeluntersuchungen auf
christlichem Standpunkt stehender Theologen und
Nationalökonomen kann aber eine systematische
Darstellung der gesamten Volkswirtschastslehre,
die in streng wissenschaftlicher Weise die Lehren!
Volkswirtschaftslehre.
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der Sozialökonomie mit den Glaubenssätzen der
christlichen Weltanschauung verbindet, nicht über-
flüssig werden. Im Gegenteil, die Gefahr ist sehr
groß, daß ohne ein derartiges sicheres Fundament
Einzeldarstellungen schlimmem Dilettantismus nach
der einen oder nach der andern Seite, wenn nicht
gar nach beiden Seiten, Tür und Tor geöffnet
ist. Daher muß man es als eine Großtat ersten
Rangs für die Geschichte der christlichen Volks-
wirtschaftslehre bezeichnen, wenn jetzt von deut-
schen Jesuiten unter der Führung von Heinrich
Pesch, der sich unter den sozialökonomischen Fach-
genossen aller Richtungen dank seiner gründlichen
volkswirtschaftlichen Kenntnisse und seiner streng
sachlichen, objektiven Schreibweise eines großen
Ansehens erfreut, der Versuch gemacht wird, eine
systematische, aufchristlich-katholischer Weltanschau-
ung fußende Volkswirtschaftslehre zu schaffen (Lehr-
buch der Nationalökonomie, 1905 ffi.
Peschs Auffassung von den Aufgaben der Volks-
wirtschaftslehre läßt sich durchweg mit seinen eignen
Worten folgendermaßen charakterisieren (der Leser
mag daraus selbst entnehmen, wie sie sich von der
hier vorgetragenen Meinung unterscheidet).
1. Materialobjekt der Volkswirtschaftslehre ist
das Wirtschaftsleben eines staatlich geeinten Volks,
das Formalobjekt die Gestaltung, Ordnung dieses
Wirtschaftslebens im Hinblick auf den Volkswohl-
stand als Ziel der Volkswirtschaft.
2. Redet man von dem Prinzip der Wirtschaft-
lichkeit, so ist streng zu unterscheiden zwischen der
privatwirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Auf-
fassung; nicht das wirtschaftliche Optimum, sondern
das volkswirtschaftliche Optimum ist bei allen
Fragen der entscheidende Gesichtspunkt.
3. Die Volkswirtschaft ist keine spekulative, be-
schauliche, sondern eine praktische Wissenschaft, weil
es sich für sie um Verwirklichung eines Ziels (des
Volkswohlstands) handelt, wobei aber betont wird,
daß Voraussetzung des Urteils über das Sollsein
klare Erkenntnis des geschichtlichen und gegebenen
Seins ist.
4. Die Volkswirtschaftslehre hat es nicht mit der
ethischen Würdigung des volkswirtschaftlichen Seins
und Geschehens zu tun; aber sie ist nicht „moral-
frei“. Sie muß die Bedeutung des ethischen für
das Wirtschaftsleben überhaupt und speziell für
einzelne Gebiete in besonderem anerkennen, wobeie
Pesch hervorhebt, meines Erachtens mit Recht, daß
der Nationalökonom sich nicht dazu verleiten lassen
darf unter dem Vorwand, er habe es in seiner
Wissenschaft nicht mit „ethischer“ Würdigung zu
tun, auf die nationalökonomische Würdigung der
Bedeutung des Ethischen zu verzichten. Eine Total-
auffassung des Volkswirtschaftlichen ist in der Tat
ohne entsprechende Berücksichtigung ethischer Mo-
mente unmöglich. Wie Referent es ausgedrückt hat:
„Das Sollsein gehört selbstverständlich in den Rah-
men unserer Untersuchungen, insofern die Vorstel-
lungen, die sich darüber gebildet haben, als Ursachen
oder als Wirkungen sozial--ölonomischer Gescheh-
nisse in Betracht kommen“ (Vorwort zu „Kampf
zwischen Kapital und Arbeit“, 1910).
5. Für Pesch ist von besonderer Bedenutung eine
klare Umschreibung des Begriffs „Volkswohlstand“,
des Ziels der Volkswirtschaft. Dabei betont er das