Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Prinzip der Einheit der Kultur. „In richtiger Er- 
kenntnis des Verhältnisses der materiellen wirt- 
schaftlichen Sphären, menschlichen und gesellschaft- 
lichen Strebens zu den höheren Sphären wird der 
Nationalökonom niemals in Widerspruch treten zu 
den höheren Anforderungen sozialer, geistiger, sitt- 
licher Kultur“, wiederum eine Forderung, die sich 
auch aus der hier vertretenen Auffassung ergibt, nur 
ist die Begründung bemerkenswert verschieden. Nach 
unserer Auffassung ist ein solcher Widerspruch nicht 
möglich, weil ein Urteil über das Sollsein über- 
haupt nicht zu den Aufgaben der Volkswirtschafts- 
lehre gehört. Nach der Meinung Peschs muß des- 
halb dieser Widerspruch ausgeschlossen sein, weil er 
verlangt, daß die soziale, geistige, sittliche Kultur 
als „höhere Sphäre“ anerkannt wird. Das Ver- 
langen teile ich selbstverständlich mit ihm, aber es 
zu begründen, gehört meines Erachtens nicht mehr 
zur reinen Volkswirtschaftslehre, wohl jedoch zur 
christlichen Volkswirtschaftslehre. 
Pesch scheidet zwischen allgemeiner und beson- 
derer Volkswirtschaftslehre. Die allgemeine hat 
erstens das Gemeinsame, für alle Gebiete Wichtige 
zu behandeln und zweitens einen überblick über 
das Ganze zu geben. Das gedenkt Pesch in vier 
starken Bänden zu tun, von denen bis jetzt zwei 
erschienen sind (1905 u. 1909). Die besondere Volks- 
wirtschaftslehre behandelt die einzelnen Gebiete, 
und zwar ist vorgesehen, daß das Agrarwesen dar- 
gestellt werden soll von Gerhard Veltmann, das 
Gewerbewesen von Heinrich Koch, das Handels- 
wesen von Franz Rauterkus, Finanzwissenschaft 
und Statistik von Hermann Krose. 
Literatur. Zunächst verweise ich auf die im Text 
bereits genannten Einzelschriften, insbesondere auf 
Pesch, Nationalökonomie 1 402 ff. — Die gründ- 
lichste und meines Erachtens am besten gelungene 
Darlegung der hier zur Erörterung stehenden grund- 
sätzlichen Fragen bietet Heinrich Dietzel in seiner 
„Theoretischen Sozialökonomik" I („Das Verfahren 
der alten britischen Sozialökonomik wie ihre Haupt- 
ergebnisse stehen mir unerschütterlich fest, nur die 
Begründung bedarf des Neubaus“, ebd. Vorwort). 
— Eine durchweg vorzügliche Orientierung über die 
„Entwicklung der deutschen V. im 19. Jahrh.“ fin- 
det man in der Gustav Schmoller zu seinem 70. Ge- 
burtstag von Freunden u. Schülern dargebrachten 
Festgabe (1908). — Referent hat seine eigne An- 
sicht über „die Aufgaben der V. als Wissenschaft" 
in einer so betitelten kleinen Schrift näher zu be- 
gründen versucht (1909); daselbst auch weitere Li- 
teraturangaben zu der neuesten Bewegung auf un- 
serem Gebiet. [Adolf Weber.) 
Volkswirtschaftspolitik. [Begriff und 
Aufgaben; Geschichte; Kritisches und Grundsätz- 
liches.) 
I. Begriff und Aufgaben. Wir bestimmen 
den Begriff der Volkswirtschaftspolitik als Wissen- 
schaft als die Lehre von der auf die Versorgung der 
Gesellschaft mit wirtschaftlichen Gütern gerichteten 
gesellschaftlichen Willensbildung. Gesellschaftliche 
Willensbildung mit dem Ziel der Güterversorgung 
erfolgt nicht nur im Staat und durch den Staat, 
sondern in einer reichen Fülle gesellschaftlicher 
Organisationsformen innerhalb des Staats und 
über diesen hinausreichend. Sie ist eine notwendige 
Volkswirtschaftspolitik. 
  
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Folge des gesellschaftlichen Systems der Güter- 
erzeugung, der arbeitsteiligen Verkehrswirtschaft 
und mit ihr entstanden. Die Stellung der Volks- 
wirtschaftspolitik als Wissenschaft, ihre Aufgaben, 
Erkenntnismethoden und Erkenntniswerte sind 
vielfach umstritten. Es lassen sich gegenwärtig bei 
den deutschen Nationalökonomen hauptsächlich drei 
Standpunkte unterscheiden. Nach der noch bis vor 
kurzem in Deutschland herrschenden Auffassung 
der „historisch-ethischen Schule“ hat die Volks- 
wirtschaftspolitik als selbständiger Wissenszweig 
neben der Volkswirtschaftslehre keine Berechtigung. 
Ihr Führer Schmoller unterscheidet nur zwischen 
allgemeiner und spezieller Volkswirtschaftslehre 
und versteht unter ersterer den „Versuch eines 
systematischen Uberblicks über unser gesamtes volks- 
wirtschaftliches Wissen“, unter letzterer „das Ein- 
gehen in die Spezialfragen der Gegenwart, des 
eignen Landes, der einzelnen Hauptzweige der 
Volkswirtschaft“. Erkenntnismethoden und Er- 
kenntniswerte sind in beiden Wissenschaften die- 
selben. Demgegenüber nehmen die „österreichische 
Schule“ der Nationalökonomie und die ihr nahe- 
stehenden Gelehrten die in der älteren deutschen 
Nationalökonomie (Soden, Rau) eingehaltene 
Trennung von Volkswirtschaftslehre und Volks- 
wirtschaftspolitik wieder auf. Nach ihnen ist unter 
Volkswirtschaftspolitik zu verstehen die Lehre von 
der „Gesamtheit jener Handlungen, Anstalten und 
Einrichtungen, durch welche die Menschen als ein- 
zelne oder in Organisationen in bewußter Weise 
die Entwicklung der Volkswirtschaft zu fördern be- 
strebt sind“ (Philippovich). Diesen beiden älteren 
Richtungen gegenüber steht eine jüngere, methodo- 
logisch erkenntnistheoretische Richtung. Sie be- 
deutet einen Rückschlag gegen den naiven Empiris- 
mus der historisch ethischen Schule, gegenüber der 
Vermengung shllogistischer Urteile mit Wertur- 
teilen, kausaler mit teleologischer Betrachtungsweise. 
Sie hat ihren stärksten Anstoß aus dem Gebiet 
der Philosophie, aus dem Neukantianismus, von 
Rickert, Windelband und andern empfangen. Sie 
unterscheidet sich von den beiden zuerst gekenn- 
zeichneten Richtungen durch die Stellung der Kant- 
schen Frage: Wie ist Wissenschaft von volkswirt- 
schaftlichen Beziehungen überhaupt möglich; und 
durch die Kantsche Beantwortung der Frage: Nur 
innerhalb des Rahmens der räumlich zeitlichen 
Erfahrung. Sie geht aber über die Neukantische 
Schule, die in einem absoluten Sozialideal als 
formaler Richtschnur sozialen Handelns den Schein 
einer Wissenschaft von Werten noch retten möchte, 
hinaus, indem sie die von den Kantianern aus- 
gehöhlte Schale wegwerfend, die Nationalökono- 
mie rein positivistisch als die Lehre von den Be- 
ziehungen der durch die Erfahrung gegebenen 
wirtschaftlichen Elementartatsachen ausschließlich 
unter den Kategorien von Ursache und Wirkung 
betrachtet. Hiermit begegnet sie sich mit den in 
den romanischen Ländern herrschenden positivisti- 
schen Schulen. Dieser Standpunkt schließt Volks-
	        
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