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Staatsverträge. (Begriff; die Berech-
tigung zum Abschluß solcher. Die Rechte der re-
präsentativen Körperschaften bezüglich der abzu-
schließenden Verträge; Entwicklung und geltendes
Recht. Die Rechte dieser Körperschaften betreffs der
abgeschlossenen Staatsverträge; Folgen der von der
Volksvertretung verweigerten Genehmigung durch
die Regierung gültig eingegangener internationaler
Verbindlichkeiten. Die zwischen Kirche und Staat
geschlossenen Verträge.)
Als Staatsverträge sind alle diejenigen Über-
einkünfte über obligatorische Leistungen, über
Geben, Tun oder Unterlassen zu bezeichnen,
welche entweder von Staatsregierungen unter sich
oder von solchen mit den Vertretern ihrer Unter-
tanen oder mit den verfassungsmäßigen Verwal-
tungskörpern des Landes oder endlich auch mit
einzelnen Familien oder Personen abgeschlossen
werden; die letzteren allerdings nur so weit, als
dadurch politische Rechte eingeräumt oder der-
artige Verpflichtungen übernommen werden. In-
soweit die Regierungen mit Privaten Verträge
über Gegenstände zivilrechtlicher Natur, z. B. über
die Vornahme von Lieferungen für staatliche An-
stalten, über die Aufnahme von Anlehen u. dgl.
eingehen, kann von Staatsverträgen (pacta iuris
publici) nicht die Rede sein, obgleich sich nament-
lich im Fall der Nichterfüllung der aus Dar-
lehensverträgen resultierenden staatlichen Verbind-
lichkeiten sehr wichtige Folgen für das Staats-
leben und insbesondere auch internationale Ver-
wicklungen ergeben können. Das Gesetz, welches
die Regierung zur Aufnahme eines Anlehens be-
vollmächtigt, ist ein Akt staatsrechtlicher Natur;
die Verbindlichkeiten, welche die Regierung da-
durch übernimmt, daß sie die einzelnen Schuld-
titres an die verschiedenen Darlehensgeber ver-
kauft, behalten dessenungeachtet ihren privatrecht-
lichen Charakter.
Zum Abschluß von Staatsverträgen mit ein-
zelnen Familien oder Personen, z. B. mit solchen
fürstlichen Rangs, wodurch denselben Rechte auf
die Thronfolge in dem betreffenden Staat ein-
geräumt werden, wird es heutzutage nur noch in
den wenigen absolutistisch regierten zivilisierten
Staaten kommen. In den konstitutionellen Mon-
archien und in den republikanisch organisierten
Ländern können politische Rechte nur mehr durch
gesetzliche, also unter Zustimmung der Volks-
vertretung zustande kommende Verfügungen über-
tragen werden. Würden die Regierungen sich
binden, bevor sie die entsprechenden Gesetzesvor-
lagen machen, so würden sie für den Fall der
Nichtgenehmigung ihrer Abmachungen Schaden-
ersatzansprüchen und Beschwerden verschiedener
Art ausgesetzt sein.
Anders verhält sich die Sache hinsichtlich der
mit auswärtigen Staaten abzuschließenden Ver-
träge. Das Recht, solche einzugehen, steht, soweit
Staatsverträge.
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mit einer monarchischen Verfassung ausgestatteten
Ländern dem Herrscher zu. Dieser ist zur Ver-
tretung des Staats in seinen auswärtigen Be-
ziehungen berufen, erscheint somit auch als zur
Abschließung von Staatsverträgen mit fremden
Mächten befugt. Selbst eine in mancher Hinsicht
so freisinnige Verfassung wie die bei der Begrün-
dung des Julikönigtums in Frankreich im Jahr
1830 eingeführte Charte enthielt in ihrem Art. 13
die Bestimmung: „Der König schließt die Frie-
dens-, die Bündnis= und die Handelsverträge.“
Im Anschluß an diese vielfach als Vorbild be-
nutzte Verfassung haben dann insbesondere auch
die Verfassungen der deutschen Staaten und
OÖsterreichs denselben Grundsatz ausgenommen.
Die Exekutivgewalt des Staats ist es ja, welche
durch die mit der Verwaltung und der Wahr-
nehmung der auswärtigen Angelegenheiten be-
trauten Behörden, das Ministerium der aus-
wärtigen Angelegenheiten und die diesem unter-
geordneten fachmännisch gebildeten Beamten, das
ganze vielverzweigte Gewebe der Beziehungen von
Staat zu Staat überblickt, den richtigen Zeit-
punkt zum Abschluß von Verträgen mit fremden
Mächten und die dabei zu berücksichtigenden Er-
scheinungen übersieht und zu würdigen versteht.
Würden sich die vertretenden Körperschaften schon
während der schwebenden Unterhandlungen in die
zu gewährenden Rechte einmischen, die zu erlan-
genden Zugeständnisse von ihrem vielfach ein-
seitigen Standpunkt aus zu hoch spannen, die
nötige Verschwiegenheit nicht beobachten und da-
durch vorzeitige Volkstreibereien hervorrufen, so
müßten die Verhandlungen nur zu oft scheitern
oder sich unter den größten Schwierigkeiten und
unter Umständen unter Beeinträchtigung der na-
tionalen Interessen abwickeln. Die weitgehende
Offentlichkeit des politischen Lebens unserer Zeit
muß wenigstens mit der größten Vorsicht von dem
zu behandelnden Gebiet der auswärtigen Bezie-
hungen so viel als möglich ferngehalten werden,
da es sich hier um Angelegenheiten handelt, bei
denen Mißgriffe zu den schwersten Folgen, ja zu
dauernder Entfremdung zwischen den betreffenden
Staaten führen können. So ist denn die Ab-
schließung der Staatsverträge mit ausländischen
Mächten in den konstitutionellen Monarchien und
auch in den großen Republiken unserer Tage mit
Recht als ein Akt der vollziehenden Gewalt, und
nicht als ein solcher der Gesetzgebung, deren Be-
fugniskreis sich nicht über die Grenzen des Landes
hinaus erstreckt, betrachtet worden, und es ist von
jeher die Regel gewesen, daß die Staatsverträge
zwischen souveränen Staatengebilden durch die be-
treffenden Organe der vollziehenden Gewalt ab-
geschlossen wurden. Ausdrücklich und klar sind in
dieser Beziehung unter anderem die einschlägigen
Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung vom
die Verfassungen der betreffenden Staaten keine Jahr 1871. Artikel 11 lautet: „Der Kaiser hat
einschränkenden Bestimmungen enthalten, dem= das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Namen
jenigen, der die Staatsgewalt ausübt, also in den des Reichs Krieg zu erklären und Frieden zu