Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Staatsverträge. (Begriff; die Berech- 
tigung zum Abschluß solcher. Die Rechte der re- 
präsentativen Körperschaften bezüglich der abzu- 
schließenden Verträge; Entwicklung und geltendes 
Recht. Die Rechte dieser Körperschaften betreffs der 
abgeschlossenen Staatsverträge; Folgen der von der 
Volksvertretung verweigerten Genehmigung durch 
die Regierung gültig eingegangener internationaler 
Verbindlichkeiten. Die zwischen Kirche und Staat 
geschlossenen Verträge.) 
Als Staatsverträge sind alle diejenigen Über- 
einkünfte über obligatorische Leistungen, über 
Geben, Tun oder Unterlassen zu bezeichnen, 
welche entweder von Staatsregierungen unter sich 
oder von solchen mit den Vertretern ihrer Unter- 
tanen oder mit den verfassungsmäßigen Verwal- 
tungskörpern des Landes oder endlich auch mit 
einzelnen Familien oder Personen abgeschlossen 
werden; die letzteren allerdings nur so weit, als 
dadurch politische Rechte eingeräumt oder der- 
artige Verpflichtungen übernommen werden. In- 
soweit die Regierungen mit Privaten Verträge 
über Gegenstände zivilrechtlicher Natur, z. B. über 
die Vornahme von Lieferungen für staatliche An- 
stalten, über die Aufnahme von Anlehen u. dgl. 
eingehen, kann von Staatsverträgen (pacta iuris 
publici) nicht die Rede sein, obgleich sich nament- 
lich im Fall der Nichterfüllung der aus Dar- 
lehensverträgen resultierenden staatlichen Verbind- 
lichkeiten sehr wichtige Folgen für das Staats- 
leben und insbesondere auch internationale Ver- 
wicklungen ergeben können. Das Gesetz, welches 
die Regierung zur Aufnahme eines Anlehens be- 
vollmächtigt, ist ein Akt staatsrechtlicher Natur; 
die Verbindlichkeiten, welche die Regierung da- 
durch übernimmt, daß sie die einzelnen Schuld- 
titres an die verschiedenen Darlehensgeber ver- 
kauft, behalten dessenungeachtet ihren privatrecht- 
lichen Charakter. 
Zum Abschluß von Staatsverträgen mit ein- 
zelnen Familien oder Personen, z. B. mit solchen 
fürstlichen Rangs, wodurch denselben Rechte auf 
die Thronfolge in dem betreffenden Staat ein- 
geräumt werden, wird es heutzutage nur noch in 
den wenigen absolutistisch regierten zivilisierten 
Staaten kommen. In den konstitutionellen Mon- 
archien und in den republikanisch organisierten 
Ländern können politische Rechte nur mehr durch 
gesetzliche, also unter Zustimmung der Volks- 
vertretung zustande kommende Verfügungen über- 
tragen werden. Würden die Regierungen sich 
binden, bevor sie die entsprechenden Gesetzesvor- 
lagen machen, so würden sie für den Fall der 
Nichtgenehmigung ihrer Abmachungen Schaden- 
ersatzansprüchen und Beschwerden verschiedener 
Art ausgesetzt sein. 
Anders verhält sich die Sache hinsichtlich der 
mit auswärtigen Staaten abzuschließenden Ver- 
träge. Das Recht, solche einzugehen, steht, soweit 
Staatsverträge. 
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mit einer monarchischen Verfassung ausgestatteten 
Ländern dem Herrscher zu. Dieser ist zur Ver- 
tretung des Staats in seinen auswärtigen Be- 
ziehungen berufen, erscheint somit auch als zur 
Abschließung von Staatsverträgen mit fremden 
Mächten befugt. Selbst eine in mancher Hinsicht 
so freisinnige Verfassung wie die bei der Begrün- 
dung des Julikönigtums in Frankreich im Jahr 
1830 eingeführte Charte enthielt in ihrem Art. 13 
die Bestimmung: „Der König schließt die Frie- 
dens-, die Bündnis= und die Handelsverträge.“ 
Im Anschluß an diese vielfach als Vorbild be- 
nutzte Verfassung haben dann insbesondere auch 
die Verfassungen der deutschen Staaten und 
OÖsterreichs denselben Grundsatz ausgenommen. 
Die Exekutivgewalt des Staats ist es ja, welche 
durch die mit der Verwaltung und der Wahr- 
nehmung der auswärtigen Angelegenheiten be- 
trauten Behörden, das Ministerium der aus- 
wärtigen Angelegenheiten und die diesem unter- 
geordneten fachmännisch gebildeten Beamten, das 
ganze vielverzweigte Gewebe der Beziehungen von 
Staat zu Staat überblickt, den richtigen Zeit- 
punkt zum Abschluß von Verträgen mit fremden 
Mächten und die dabei zu berücksichtigenden Er- 
scheinungen übersieht und zu würdigen versteht. 
Würden sich die vertretenden Körperschaften schon 
während der schwebenden Unterhandlungen in die 
zu gewährenden Rechte einmischen, die zu erlan- 
genden Zugeständnisse von ihrem vielfach ein- 
seitigen Standpunkt aus zu hoch spannen, die 
nötige Verschwiegenheit nicht beobachten und da- 
durch vorzeitige Volkstreibereien hervorrufen, so 
müßten die Verhandlungen nur zu oft scheitern 
oder sich unter den größten Schwierigkeiten und 
unter Umständen unter Beeinträchtigung der na- 
tionalen Interessen abwickeln. Die weitgehende 
Offentlichkeit des politischen Lebens unserer Zeit 
muß wenigstens mit der größten Vorsicht von dem 
zu behandelnden Gebiet der auswärtigen Bezie- 
hungen so viel als möglich ferngehalten werden, 
da es sich hier um Angelegenheiten handelt, bei 
denen Mißgriffe zu den schwersten Folgen, ja zu 
dauernder Entfremdung zwischen den betreffenden 
Staaten führen können. So ist denn die Ab- 
schließung der Staatsverträge mit ausländischen 
Mächten in den konstitutionellen Monarchien und 
auch in den großen Republiken unserer Tage mit 
Recht als ein Akt der vollziehenden Gewalt, und 
nicht als ein solcher der Gesetzgebung, deren Be- 
fugniskreis sich nicht über die Grenzen des Landes 
hinaus erstreckt, betrachtet worden, und es ist von 
jeher die Regel gewesen, daß die Staatsverträge 
zwischen souveränen Staatengebilden durch die be- 
treffenden Organe der vollziehenden Gewalt ab- 
geschlossen wurden. Ausdrücklich und klar sind in 
dieser Beziehung unter anderem die einschlägigen 
Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung vom 
die Verfassungen der betreffenden Staaten keine Jahr 1871. Artikel 11 lautet: „Der Kaiser hat 
einschränkenden Bestimmungen enthalten, dem= das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Namen 
jenigen, der die Staatsgewalt ausübt, also in den des Reichs Krieg zu erklären und Frieden zu
	        
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