Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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andrien gab es, etwa unsern Meldeämtern ent- 
sprechende, nach Stadtvierteln dezentralisierte Be- 
hörden, an welche von den Haushaltungsvorständen 
namentliche Verzeichnisse ihrer Mitglieder unter 
Bezeichnung des Alters, Berufs usw. zu liefern 
waren. Unter Kaiser Augustus fanden für das 
Gesamtgebiet des römischen Reichs dreimal Zäh- 
lungen der bürgerlichen Bevölkerung statt. Eine 
allgemeine Volkszählung hatte Vespasian vor- 
nehmen lassen, deren Ergebnisse uns allerdings 
nicht überkommen sind. 
Dem Mittelalter fehlte der Begriff der 
Statistik wie auch der der Gesellschaft, und aus 
diesem Grund ist von Volkszählungen jahrhun- 
dertelang gar nicht die Rede. Soweit in Deutsch- 
land einzelne Teile der Bevölkerung gezählt 
worden sind, waren die Feststellungen auf ganz 
bestimmte Zwecke der staatlichen oder städtischen 
Verwaltung zugeschnitten. In den Territorial= 
staaten wurden Zählungen hauptsächlich zur Ge- 
winnung von Unterlagen für die Besteuerung 
vorgenommen, und bei den Städten war es außer 
der Steuerpolitik ganz besonders die Sorge um 
Erhaltung ihrer Wehrfähigkeit, welche Veranlas- 
sung zu periodischen Aufnahmen gab. Zählungen 
der ganzen Bevölkerung zu wissenschaftlichen 
oder Verwaltungszwecken hat man im deutschen 
Mittelalter nicht gekannt, und auch die Neuzeit 
hat sich noch lange mit Teilaufnahmen 
begnügt. Alles, was wir über die Volkszahl der 
mittelalterlichen Städte und Territorialstaaten 
wissen, beruht daher nicht auf den Ergebnissen von 
Zählungen der ganzen Bevölkerung, sondern ist 
größtenteils in mühevoller Weise aus Bürger- 
büchern, Steuerlisten, Zunftrollen u. dgl. zusam- 
mengestellt oder schätzungsweise ermittelt. 
Aus den Zeiten des absoluten Staats 
sind dagegen verschiedene Beispiele volkszählungs- 
ähnlicher Aufnahmen bekannt. Der Große Kurfürst 
ließ im Jahr 1683 eine Erhebung in Magdeburg 
nach einer Pestepidemie durch Zählung von Haus 
zu Haus vornehmen. In Berlin fand die erste 
Volkszählung 1709 statt nach der großen kom- 
munalen Aktion, durch welche fünf bisher selb- 
ständige Städte zu einem Gemeinwesen sich zu- 
sammenschlossen. Das Interesse Friedrichs d. Gr. 
an der Bevölkerungsentwicklung seiner märkischen 
Städte ist bekannt; ihm galt es als Axiom, daß 
die Bevölkerung eines Staats seinen Reichtum 
darstelle, wie ja überhaupt die Bevölkerungsfrage 
einen Kardinalpunkt im Programm des Merkan- 
tilismus bildete. Zunächst waren die preußischen 
Zählungen nur „Volks' zählungen; 1750 wurden 
Volkszählung. 
  
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sie einer besondern Abteilung der Regierung, näm- 
lich der Finanzkommission (1798). 
Die Errichtung einer besondern Verwal- 
tungsstelle für Volkszählungen, eines statisti- 
schen Bureaus, findet sich zuerst in Schweden, 
welches überhaupt am frühesten von allen Län- 
dern Europas den Wert einer zuverlässigen Be- 
völkerungsstatistik erkannt hat. Seit 1756 führte 
daselbst eine eigne statistische Kommission in Ab- 
ständen von je drei Jahren Zählungen aus, die 
gute Ergebnisse zeitigten; seit 1775 erfolgten die 
Aufnahmen in fünfjährigen Zwischenräumen. Das 
erste Land, das einen Zählzyklus eingeführt 
hat, der noch heute befolgt werden kann, sind die 
Vereinigten Staaten von Amerika. Seit 1790 
finden dort alle zehn Jahre Volkszählungen statt. 
Verwaltungszwecke waren es fast ausschließlich, die 
man bei der Einrichtung dieses Zensus im Auge 
hatte. Man mußte eine Grundlage gewinnen für 
die jedem Staat zuzubilligende Zahl von Ver- 
tretern und für die Umlegung der Steuern, da 
nach den Konföderationsartikeln von 1776 die 
Ausgaben nach der Bevölkerungszahl repartiert 
werden sollten. Während Schweden schon lange 
ein eignes statistisches Amt hatte, dauerte es bei 
den übrigen Staaten noch einige Zeit, ehe eine 
solche Verwaltungsstelle geschaffen wurde. Am 
Anfang des 19. Jahrh. erst entstanden neben dem 
schwedischen andere statistische Amter, im ersten 
Jahrzehnt in Frankreich, auf Veranlassung Na- 
poleons, und beinahe gleichzeitig in Bayern, 
Württemberg und Osterreich; alle diese Amter 
gingen aber mit dem Sturz der Napoleonischen 
Herrschaft wieder ein. Nur das preußische Stati- 
stische Bureau, welches 1805 der Finanzkommis- 
sion die statistischen Arbeiten abnahm, blieb be- 
stehen und diente den andern deutschen Staaten 
bei der Einrichtung ihrer statistischen Amter als 
Vorbild. 
Nach dem Vorgang Schwedens und der Ver- 
einigten Staaten von Amerika wurden alsbald 
auch in den andern Kulturstaaten periodische Volks- 
zählungen veranstaltet, die allerdings noch wäh- 
rend der ersten Hälfte des 19. Jahrh. ziemlich 
unvollkommen waren, sowohl hinsichtlich der 
Fragestellungen als auch in der Art ihrer Durch- 
führung. In Frankreich wurde die erste allge- 
meine Zählung 1801 vorgenommen und in Eng- 
land die erste population bill im Jahr 1800 
eingebracht; Osterreich hat 1869 und JItalien 
1871 ein entsprechendes Gesetz erlassen. Eine 
erhebliche Verbesserung in der Technik erfuhren 
die Zählungen in den 1840er Jahren durch 
sie auch auf die privilegierten Klassen ausgedehnt, Quételet, den Leiter des belgischen statistischen 
und seit 1776 gelangten in ganz Preußen ein-- 
heitliche Zählformulare zur Anwendung. Die 
Durchführung der Erhebung lag vollständig in 
Mit dem Tod 
Friedrichs d. Gr. nahmen diese Volkszählungen 
den Händen der Geistlichen. 
ein Ende, jedoch nur auf kurze Zeit. Friedrich 
Wilhelm III. führte sie wieder ein und übertrug 
Amts, welcher die Notwendigkeit strenger Me- 
thoden theoretisch begründete und diese in der 
Praxis auch zur Anwendung brachte. In hohem 
Maß anregend und fördernd wirkten nach dieser 
Richtung die internationalen statistischen Kon- 
gresse, deren erster 1853 in Brüssel stattfand. Die 
Durchführung und Leitung der Volkszählung ge-
	        
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