Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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schieht jetzt überall durch die statistischen Bureaus, 
wo solche bestehen. 
In Deutschland herrschte anfänglich bei der 
Vornahme der Erhebungen unter den einzelnen 
Staaten keinerlei Einheitlichkeit, bis in dem allge- 
meinen deutschen Zollvereinsvertrag vom 22. März 
1838 für die künftigen (zunächst zur Verteilung 
der Zolleinkünfte unter die Vertragsstaaten dienen- 
den) Volkszählungen gemeinsame Grundsätze ver- 
einbart wurden. Der Stand der Bevölkerung 
sollte (wie in Preußen seit 1816) alle drei Jahre, 
und zwar jeweils am 1. Dez. festgestellt werden. 
Hiermit war die Notwendigkeit regelmäßiger, gleich- 
förmiger Volkszählungen in den beteiligten Staa- 
ten anerkannt, und es waren auch die erforderlichen 
gesetzlichen Grundlagen gegeben. An der prak- 
tischen Ausführung wurden im Lauf der Jahre 
zahlreiche Verbesserungen und Erweiterungen der 
Erhebungsgegenstände vorgenommen, insbesondere 
nachdem seit 1871 an Stelle der Zollvereins- 
statistik die amtliche Statistik des Deutschen Reichs 
getreten war. Während in den meisten modernen 
Staaten die Vornahme der Volkszählung durch 
Gesetz vorgeschrieben wird, erfolgen sie im Deut- 
schen Reich auf Grund der besondern Beschlüsse 
des Bundesrats, welche als bindende Norm für 
die Einzelstaaten gelten, denen aber darüber hin- 
aus sowohl hinsichtlich der technischen Durch- 
führung der Zählung (Form der Erhebungs- 
formulare) als auch der Vermehrung der Er- 
hebungsgegenstände keine Beschränkungen auferlegt 
sind. Seit Gründung des Reichs haben neun 
Volkszählungen stattgefunden, und zwar 1871, 
1875 und dann weiter alle fünf Jahre. Er- 
hebungen über die beruflichen und gewerblichen 
Verhältnisse der deutschen Bevölkerung wurden seit- 
her teils mit der Volkszählung verbunden (1875), 
teils als selbständige Zählungen durchgeführt 
(1882, 1895, 1907). 
2. Gegenstand der Zählung und 
Zählungszeit. Zählungen der gesamten Be- 
völkerung, wie sie heute von allen Kulturstaaten 
in regelmäßig wiederkehrenden — in der Regel 
10= oder 5jährigen — Zwischenräumen vorge- 
nommen werden, sind eine Errungenschaft der 
neuesten Zeit. Die Volkszählungen der Gegenwart 
beschränken sich ja niemals darauf, nur die Bevölke- 
rungszahl zu erheben, sondern es werden gleich- 
zeitig noch eine Reihe von Merkmalen der Bevöl- 
kerung erfaßt, welche für die Wissenschaft und Ver- 
waltung von besonderer Wichtigkeit sind. Schon 
die Kenntnis der Volkszahl ist für die Verwaltung 
unentbehrlich bei der Ausführung zahlreicher Ge- 
setze und Verordnungen (besonders der Münzgesetze 
und Wahlgesetze) sowie zur Berechnung gewisser 
Leistungen der Bundesstaaten an das Reich (Ma- 
trikularbeiträge usw.); sie will außerdem Einblick 
erhalten in die konfessionelle Gliederung, die Ge- 
bürtigkeit und den Altersaufbau der Bevölkerung, 
in das Verhältnis der Geschlechter zueinander 
u. dgl. mehr. Der Wissenschaft eröffnet das Er- 
Volkszählung. 
  
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gebnis solcher Zählungen ein weites, fast unbe- 
grenztes Gebiet. Für alle bevölkerungswissenschaft- 
lichen Forschungen liefert die Volkszählung die 
sichere Grundlage; die Untersuchungen der Ge- 
burten- und Sterblichkeitsverhältnisse, der Frucht- 
barkeit der Ehen, der Säuglingssterblichkeit und 
der vielen andern Fragen der Bevölkerungspolitik 
würden ohne die genaue Kenntnis des Stands der 
Bevölkerung völlig in der Luft schweben. Die aus- 
gedehnte Erfassung der verschiedenartigen Merk- 
male der Bevölkerung für wissenschaftliche und 
verwaltungstechnische Zwecke geschieht erst seit 
einigen Jahrzehnten und ist in der Hauptsache auf 
die internationalen und deutschen statistischen Kon- 
gresse zurückzuführen, welche seit der zweiten Hälfte 
des 19. Jahrh. einen bestimmenden Einfluß auf 
die Ausgestaltung des Volkszählungswesens aus- 
übten. Während nun früher vielfach die sog. 
rechtliche (Heimatrecht, Unterstützungswohnsitz- 
recht) und Wohnbevölkerung (bei den deut- 
schen Zollvereinsstaaten bis 1867) den Gegen- 
stand der Zählung bildete, ist man gegenwärtig 
fast allgemein dazu übergegangen, die ortsan- 
wesende als die am leichtesten zu ermittelnde 
Bevölkerung zu zählen, wobei indessen Sorge ge- 
tragen wird, daß Veranstaltungen, welche den 
Stand der ortsanwesenden Bevölkerung vorüber- 
gehend wesentlich verändern können (öffentliche 
Versammlungen und Feste, Jahrmärkte, Truppen- 
verschiebungen usw.) zur Zeit der Erhebung nicht 
stattfinden. In manchen Staaten wird übrigens 
durch besondere Feststellung der vorübergehend ab- 
wesenden und anwesenden Personen neben der orts- 
anwesenden auch die Wohnbevölkerung berechnet 
(Niederlande, Schweiz, Osterreich). 
Was die einzelnen Erhebungsgegen- 
stände anbetrifft, so sollten sich die Zählungen 
auf das unbedingt Notwendige und Wünschens- 
werte beschränken, weil bei einer zu umfangreichen 
Fragestellung die Genauigkeit der Zählungsergeb- 
nisse notleidet und an die Bereitwilligkeit der 
Zähler wie der Bevölkerung keine allzu großen 
Anforderungen gestellt werden dürfen. Die prak- 
tische Statistik hätte natürlich das allergrößte 
Interesse daran, den Bereich der zu stellenden 
Fragen möglichst auszudehnen, denn es gibt kaum 
eine bessere Gelegenheit, über die kulturellen, so- 
zialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Be- 
völkerung zuverlässige Auskunft zu erhalten als 
durch entsprechende Erhebungen bei der Volks- 
zählung. Auf diesem Grundsatz einer möglichsten 
Ausdehnung der zu erfassenden Vorgänge beruhen 
die umfangreichen Zählungen, welche seit 1790 
alle 10 Jahre in den Vereinigten Staaten Ame- 
rikas vorgenommen werden und allmählich zu einer 
Statistik der Landwirtschaft, des Gewerbes, Han- 
dels und Verkehrs, der Finanzen und des Bil- 
dungswesens ausgebaut worden sind. Als Er- 
hebungspunkte kamen bei den Volkszählungen im 
Deutschen Reich bisher in Betracht: Vor= und Zu- 
name, Verwandtschaft und sonstige Stellung zum
	        
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