Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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von diesen Faktoren der Ausfall der Volkszäh- 
lungen wesentlich abhängig ist. 
Die Zählungen werden allgemein von Haus zu 
Haus und innerhalb der Häuser nach Haushal- 
tungen von freiwilligen oder bezahlten Zählern 
unter Leitung und Verantwortlichkeit der Ge- 
meindebehörden vorgenommen. In Deutschland 
wird das Zählgeschäft meist von freiwilligen Zäh- 
lern (Lehrern, Beamten, Studenten, Privatange- 
stellten, Kaufleuten usw.) besorgt, während in 
England fast ausschließlich bezahlte Zähler ver- 
wendet werden. Die Zähler verteilen die Zähl- 
papiere (Zählkarten, Haushaltungslisten usw.) 
einige Tage vor dem Zählungstag an die Haus- 
haltungen und sammeln sie nach Ausfüllung durch 
den Haushaltungsvorstand alsbald (in Deutsch- 
land vom Nachmittag des Zählungstags an) wieder 
ein. Wenn die Bevölkerung zur Ausfüllung der 
Formulare nicht imstande ist (Mangel an Bil- 
dung, Analphabeten), so geschieht dies durch die 
Zähler selbst, von deren Eifer und Verständnis 
die Zuverlässigkeit der Ergebnisse wesentlich beein- 
flußt werden. Zwecks Vornahme der Erhebungen 
werden die größeren Orte in Zählbezirke von je 
30 bis 40 Haushaltungen eingeteilt, deren jeder 
einem Zähler zugewiesen wird. Die ausführenden 
Organe der vom Reich angeordneten Zählungen 
sind nicht die Reichsbehörden, sondern 
die Regierungen der Einzelstaaten, welche die 
Durchführung der Erhebung wiederum den Ge- 
meindebehörden übertragen. Daher kommt es auch, 
daß die Zählungen keineswegs, wie dies vielfach 
angenommen wird, im ganzen Reich einheitlich 
durchgeführt werden. Die Landesregierungen sind 
berechtigt, außer den vom Reich zu erhebenden 
Gegenständen noch andere Merkmale der Bevölke- 
rung zu erfragen; ebenso ist es den größeren 
Städten mit eignen statistischen Amtern erlaubt, 
den von den Landeszentralen aufgestellten Formu- 
laren noch weitere Fragen anzusügen. So wurde 
in Preußen bei der Volkszählung von 1905 Ge- 
bürtigkeit, Muttersprache und Gebrechlichkeit er- 
fragt, bei der letzten Erhebung (1910) die Blinden 
und Geisteskranken gezählt und neu die Frage 
nach der Fruchtbarkeit der Ehen hinzugefügt. 
Während in Preußen und andern norddeutschen 
Bundesstaaten sog. Individualzählkarten 
zur Anwendung gelangen, werden in Süddeutsch- 
land und verschiedenen auswärtigen Ländern (die 
früher allgemein üblichen) Haushaltungs- 
listen verwendet. Die Zählkarten enthalten die 
Angaben für je eine Person und erleichtern wesent- 
lich die statistische Bearbeitung des Zählungs- 
materials. Bei den Haushaltungslisten müssen 
die Angaben bei der Aufbereitung erst auf beson- 
dere Zählplättchen übertragen werden, wodurch 
dieselbe zwar etwas verteuert, das Zählgeschäft 
aber wesentlich vereinfacht wird. Mit Rücksicht 
auf die Erleichterungen, die die modernen elektrischen 
Zählmaschinen darbieten, sowie in Anbetracht der 
Schwierigkeiten, welche sich bei der Zählkarten- 
  
Volkszählung. 
  
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aufnahme in den größeren Gemeinden ergeben, 
wo behufs Bemessung des Kartenbedarfs beson- 
dere Vorerhebungen erforderlich sind, dürfte der 
Rückkehr zu dem ersten System der Haushaltungs- 
liste der Vorzug zu geben sein, zumal auch durch 
den Wegfall des die Zählkarten und das Haus- 
haltungsverzeichnis aufnehmenden Zählbriefs 
(Preußen) zwar nicht an Schreibarbeit, jedoch an 
Manipulationen gespart wird. 
Das gewonnene Material wird entweder nach 
erfolgter Revision durch die Gemeinde= oder 
unteren Verwaltungsbehörden der statistischen Zen- 
tralstelle zur Bearbeitung zugeführt oder, wenn 
die Statistik in dem betreffenden Staat dezen- 
tralisiert ist, von jenen Organen selbst tabellarisch 
für kleinere Bezirke zusammengestellt, worauf dann 
von den übergeordneten und den Zentralstellen 
weitere Aufbereitungen vorgenommen werden. Im 
Deutschen Reich besteht seit geraumer Zeit das zen- 
tralisierte System, indem das gesamte Urmaterial 
von den Gemeinden an die statistischen Landes- 
ämter abgeliefert wird, wo es nach allen Richtungen 
hin verarbeitet wird. Das Kaiserliche Statistische 
Amterhält alsdann die Ergebnisse in vom Bundes- 
rat vorgeschriebener tabellarischer Form und zu 
bestimmten Fristen zur Zusammenstellung für das 
ganze Reich und Veröffentlichung mitgeteilt. Gleich- 
zeitig pflegen die größeren Bundesstaaten (Bayern, 
Württemberg, Sachsen, Baden, Hamburg usw.) 
für ihr Gebiet eigne, über die Nachweisungen des 
Reichs in der Regel weit hinausgehende Bearbei- 
tungen vorzunehmen, die sich oft über mehrere 
Jahre hinziehen, so daß nicht selten die letzten 
Arbeiten am Zählmaterial zeitlich der Vorberei-- 
tung einer neuen Zählung sich nähern. 
Die Kosten der Volkszählungen, welche von 
der Art und dem Umfang der Erhebungen ab- 
hängig sind, werden entweder von den Staaten 
allein getragen oder teilweise auch auf die Ge- 
meinden abgewälzt. Im Deutschen Reich, wo die 
Ausführung des Zählwerks von den Einzelstaaten 
immer den Gemeinden übertragen wird, haben 
diese nicht nur die ganze Erhebungsarbeit zu 
leisten, sondern auch — abgesehen von den vom 
Staat zu liefernden Formularen — zu bezahlen. 
Den größeren Städten erwachsen hierdurch Unkosten 
im Gesamtbetrag von mindestens 1 bis 2 Mill. 2m7, 
so daß der Gesamtaufwand für eine Volkszählung 
auf rund 3 Mill. M geschätzt werden kann. 
Literatur. Art. „V.en“ im Handwörterbuch 
der Staatswissenschaften VIII 501 ff; Art. „V.en“ 
im Wörterbuch der Volkswirtschaft, hrsg. von L. 
Elster 112 1260 f.— F. Zahn, Wozu brauchen wir 
eine V.-, in der Zeitschrift Blätter für administra- 
tive Praxis, Jahrg. 1910, 321 f; Schnapper-Arndt, 
Sozialstatistik. Vorlesungen über Bevölkerungs- 
lehre, Wirtschafts= u. Moralstatistik (1908); Aug. 
Meitzen, Geschichte, Theorie u. Technik der Stati- 
stik (21903). — Bezüglich der Durchführung u. 
Ergebnisse der V. in den verschiedenen Staaten 
wird auf die betreffenden amtlichen Quellenwerke 
(Statistik des Deutschen Reichs, hrsg. vom Kaiserl.
	        
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