1021
von diesen Faktoren der Ausfall der Volkszäh-
lungen wesentlich abhängig ist.
Die Zählungen werden allgemein von Haus zu
Haus und innerhalb der Häuser nach Haushal-
tungen von freiwilligen oder bezahlten Zählern
unter Leitung und Verantwortlichkeit der Ge-
meindebehörden vorgenommen. In Deutschland
wird das Zählgeschäft meist von freiwilligen Zäh-
lern (Lehrern, Beamten, Studenten, Privatange-
stellten, Kaufleuten usw.) besorgt, während in
England fast ausschließlich bezahlte Zähler ver-
wendet werden. Die Zähler verteilen die Zähl-
papiere (Zählkarten, Haushaltungslisten usw.)
einige Tage vor dem Zählungstag an die Haus-
haltungen und sammeln sie nach Ausfüllung durch
den Haushaltungsvorstand alsbald (in Deutsch-
land vom Nachmittag des Zählungstags an) wieder
ein. Wenn die Bevölkerung zur Ausfüllung der
Formulare nicht imstande ist (Mangel an Bil-
dung, Analphabeten), so geschieht dies durch die
Zähler selbst, von deren Eifer und Verständnis
die Zuverlässigkeit der Ergebnisse wesentlich beein-
flußt werden. Zwecks Vornahme der Erhebungen
werden die größeren Orte in Zählbezirke von je
30 bis 40 Haushaltungen eingeteilt, deren jeder
einem Zähler zugewiesen wird. Die ausführenden
Organe der vom Reich angeordneten Zählungen
sind nicht die Reichsbehörden, sondern
die Regierungen der Einzelstaaten, welche die
Durchführung der Erhebung wiederum den Ge-
meindebehörden übertragen. Daher kommt es auch,
daß die Zählungen keineswegs, wie dies vielfach
angenommen wird, im ganzen Reich einheitlich
durchgeführt werden. Die Landesregierungen sind
berechtigt, außer den vom Reich zu erhebenden
Gegenständen noch andere Merkmale der Bevölke-
rung zu erfragen; ebenso ist es den größeren
Städten mit eignen statistischen Amtern erlaubt,
den von den Landeszentralen aufgestellten Formu-
laren noch weitere Fragen anzusügen. So wurde
in Preußen bei der Volkszählung von 1905 Ge-
bürtigkeit, Muttersprache und Gebrechlichkeit er-
fragt, bei der letzten Erhebung (1910) die Blinden
und Geisteskranken gezählt und neu die Frage
nach der Fruchtbarkeit der Ehen hinzugefügt.
Während in Preußen und andern norddeutschen
Bundesstaaten sog. Individualzählkarten
zur Anwendung gelangen, werden in Süddeutsch-
land und verschiedenen auswärtigen Ländern (die
früher allgemein üblichen) Haushaltungs-
listen verwendet. Die Zählkarten enthalten die
Angaben für je eine Person und erleichtern wesent-
lich die statistische Bearbeitung des Zählungs-
materials. Bei den Haushaltungslisten müssen
die Angaben bei der Aufbereitung erst auf beson-
dere Zählplättchen übertragen werden, wodurch
dieselbe zwar etwas verteuert, das Zählgeschäft
aber wesentlich vereinfacht wird. Mit Rücksicht
auf die Erleichterungen, die die modernen elektrischen
Zählmaschinen darbieten, sowie in Anbetracht der
Schwierigkeiten, welche sich bei der Zählkarten-
Volkszählung.
1022
aufnahme in den größeren Gemeinden ergeben,
wo behufs Bemessung des Kartenbedarfs beson-
dere Vorerhebungen erforderlich sind, dürfte der
Rückkehr zu dem ersten System der Haushaltungs-
liste der Vorzug zu geben sein, zumal auch durch
den Wegfall des die Zählkarten und das Haus-
haltungsverzeichnis aufnehmenden Zählbriefs
(Preußen) zwar nicht an Schreibarbeit, jedoch an
Manipulationen gespart wird.
Das gewonnene Material wird entweder nach
erfolgter Revision durch die Gemeinde= oder
unteren Verwaltungsbehörden der statistischen Zen-
tralstelle zur Bearbeitung zugeführt oder, wenn
die Statistik in dem betreffenden Staat dezen-
tralisiert ist, von jenen Organen selbst tabellarisch
für kleinere Bezirke zusammengestellt, worauf dann
von den übergeordneten und den Zentralstellen
weitere Aufbereitungen vorgenommen werden. Im
Deutschen Reich besteht seit geraumer Zeit das zen-
tralisierte System, indem das gesamte Urmaterial
von den Gemeinden an die statistischen Landes-
ämter abgeliefert wird, wo es nach allen Richtungen
hin verarbeitet wird. Das Kaiserliche Statistische
Amterhält alsdann die Ergebnisse in vom Bundes-
rat vorgeschriebener tabellarischer Form und zu
bestimmten Fristen zur Zusammenstellung für das
ganze Reich und Veröffentlichung mitgeteilt. Gleich-
zeitig pflegen die größeren Bundesstaaten (Bayern,
Württemberg, Sachsen, Baden, Hamburg usw.)
für ihr Gebiet eigne, über die Nachweisungen des
Reichs in der Regel weit hinausgehende Bearbei-
tungen vorzunehmen, die sich oft über mehrere
Jahre hinziehen, so daß nicht selten die letzten
Arbeiten am Zählmaterial zeitlich der Vorberei--
tung einer neuen Zählung sich nähern.
Die Kosten der Volkszählungen, welche von
der Art und dem Umfang der Erhebungen ab-
hängig sind, werden entweder von den Staaten
allein getragen oder teilweise auch auf die Ge-
meinden abgewälzt. Im Deutschen Reich, wo die
Ausführung des Zählwerks von den Einzelstaaten
immer den Gemeinden übertragen wird, haben
diese nicht nur die ganze Erhebungsarbeit zu
leisten, sondern auch — abgesehen von den vom
Staat zu liefernden Formularen — zu bezahlen.
Den größeren Städten erwachsen hierdurch Unkosten
im Gesamtbetrag von mindestens 1 bis 2 Mill. 2m7,
so daß der Gesamtaufwand für eine Volkszählung
auf rund 3 Mill. M geschätzt werden kann.
Literatur. Art. „V.en“ im Handwörterbuch
der Staatswissenschaften VIII 501 ff; Art. „V.en“
im Wörterbuch der Volkswirtschaft, hrsg. von L.
Elster 112 1260 f.— F. Zahn, Wozu brauchen wir
eine V.-, in der Zeitschrift Blätter für administra-
tive Praxis, Jahrg. 1910, 321 f; Schnapper-Arndt,
Sozialstatistik. Vorlesungen über Bevölkerungs-
lehre, Wirtschafts= u. Moralstatistik (1908); Aug.
Meitzen, Geschichte, Theorie u. Technik der Stati-
stik (21903). — Bezüglich der Durchführung u.
Ergebnisse der V. in den verschiedenen Staaten
wird auf die betreffenden amtlichen Quellenwerke
(Statistik des Deutschen Reichs, hrsg. vom Kaiserl.