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militärischen Befehlshabern in Bezug auf jenen
Teil des Kriegsschauplatzes und auf jene Heeres-
abteilungen, auf welche sich ihr Kommando er-
streckt, gültig geschlossen werden. Einer Ratifi-
kation bedürfen diese Kriegskonventionen nicht;
auch sind die betreffenden militärischen Befehls-
haber nicht gehalten, zur Abschließung derselben
die Zustimmung höherer Instanzen einzuholen.
Die Gültigkeit eines Waffenstillstands ist an
eine bestimmte Form nicht gebunden; es genügt
eine deutliche und bestimmte gegenseitige Erklä-
rung. Für den Inhalt und die Rechtswirkung
eines Waffenstillstands ist zunächst der Wille der
kontrahierenden Kriegsparteien maßgebend. Aus
diesem Grund ist es bei wichtigeren Waffenstill-
ständen, namentlich bei solchen, welche den Uber-
gang zum Friedenszustand vorbereiten sollen, nicht
nur empfehlenswert, sondern geradezu unerläßlich,
daß der Wille der Kontrahenten bezüglich der ein-
zelnen, im konkreten Fall in Betracht kommenden
Fragen in einem schriftlichen Vertrag deutlich
und bestimmt zum Ausdruck gebracht werde, um
Streitigkeiten über den Inhalt und die Rechts-
wirkung des Waffenstillstands, d. i. über die
Rechte und Pflichten der Kontrahenten, möglichst
vorzubeugen und für die Entscheidung etwaiger
Streitfragen eine feste Grundlage zu schaffen.
Enthält ein Waffenstillstand über die bei dem-
selben in Betracht kommenden Einzelfragen keine
nähere Vereinbarung, und kann eine solche auch
aus der Absicht der Kontrahenten oder einer
etwaigen feststehenden Kriegspraxis nicht ent-
nommen werden, oder kann ein unvorhergesehener
Streitpunkt durch die getroffene Vereinbarung
nicht unmittelbar entschieden werden, so gilt nach
der herrschenden Völkerrechtsdoktrin die Aus-
legungsregel, daß ein ohne spezielle Verein-
barungen abgeschlossener Waffenstillstand nur die
Verpflichtung zur Einstellung der Feindseligkeiten
im eigentlichen Sinn, d. i. die Unterlassung aller
Angriffshandlungen herbeiführt, im übrigen aber
die Handlungsfreiheit der Parteien unbeschränkt
bestehen läßt. Während eines Waffeenstillstands
hat somit in operativer Beziehung alles im status
quo zu verbleiben und haben alle weiteren kriege-
rischen Maßregeln zu unterbleiben. Es muß nicht
nur jede Ausübung von Waffengewalt und jede
einen Angriff gegen den Gegner darstellende
Handlung unterlassen, sondern es dürfen nament-
lich auch keine Kriegsgefangenen gemacht, keine
weiteren Vormärsche in das feindliche Gebiet
unternommen, keine Plätze in demselben neu be-
setzt, überhaupt keinerlei Erweiterungen des Ope-
rationsfelds vorgenommen werden. Auch das
Seebeuterecht (s. d. Art.) ruht während eines all-
gemeinen und eines jeden besondern Waffenstill-
stands, der sich auch auf die Aktion der Seestreit-
kräfte bezieht. Dagegen dürfen die Kriegsparteien
während eines inhaltlich nicht näher präzisierten
Waffenstillstands nach ihrem Belieben alles andere,
soweit es keine Feindseligkeit darstellt, tun, was
Staatslexikon. V. 3. u. 4. Aufl.
Waffenstillstand.
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sie im Hinblick auf die eventuelle Wiederaufnahme
der Feindseligkeiten zur Verstärkung und Besserung
ihrer Stellung für zweckmäßig erachten und was
sie auch im Frieden tun dürften, soweit es in
ihrer Macht steht und nicht durch den fortdauern-
den Kriegszustand, den in den angegebenen Gren-
zen aufrecht zu erhaltenden status quo und durch
die auf demselben begründeten Rechte der Gegen-
partei ausgeschlossen ist. Die Kriegsparteien dürfen
daher nicht nur Rekruten ausheben und einexer-
zieren, sondern sie dürfen auch, soweit der Weg offen
und nicht durch eine im status quo verbleibende
Zernierung u. dgl. abgesperrt ist, Verstärkungen
an sich ziehen, ihre Lebensmittel- und Munitions-
vorräte ergänzen, Streitkräfte aus der von ihnen
eingenommenen Stellung wegziehen, feste Plätze
durch Ausbau ihrer Werke und Ausfüllung ge-
legter Breschen verstärken (bestritten!). Die Her-
anziehung neuer Truppen sowie die Zufuhr von
Lebensmitteln und Munition durch die einschlie-
ßenden Linien muß jedoch von dem Ermessen des
Belagernden abhängig bleiben, da sonst der Erfolg
der Belagerung eventuell fraglich werden kann.
Die Frage, ob das Visitations= bzw. Durch-
suchungsrecht (s. d. Art.) während eines Waffen-
stillstands, der keine diesbezügliche Vereinbarung
enthält, ausgeübt werden könne, ist zu bejahen,
weil einerseits die Ausübung dieses Rechts kein
Akt der Feindseligkeit ist und anderseits die zeit-
weilige Nichtausübung desselben eine mißbräuch-
liche Unterstützung des Gegners seitens Neutraler
auf dem Weg des Seeverkehrs in uneingeschränkter
Ausdehnung ermöglichen würde. Ob und welche
Beziehungen auf dem Kriegsschauplatz den Truppen
mit der Bevölkerung und untereinander etwa statt-
haft sein soll, ist in den Bedingungen des Waffen-
stillstands festzulegen (Art. 39). Behufs Vermei-
dung von Reibereien und Streitigkeiten wird beim
Abschluß eines Waffenstillstands in der Regel eine
zwischen den feindlichen Heeren liegende sog. De-
markationslinie oder neutrale Zone vereinbart,
welche von keiner Seite betreten oder überschritten
werden darf.
Die Verbindlichkeit eines Waffenstillstands, der
sofort den zuständigen Behörden und Truppen be-
kannt zu machen ist (Art. 38), beginnt für die Kon-
trahenten, d. i. für die Befehlshaber und die Organe
der Staatsgewalt, wie bei einem jeden Vertrag,
mit dem verabredeten Zeitpunkt, für die Soldaten
und Landesbewohner aber mit dem Moment der
gehörigen Kundmachung der getroffenen Verein-
barung. Für die rechtzeitige und gehörige Publi-
kation eines Waffenstillstands ist die Heeresleitung
bzw. die Regierung verantwortlich. Eine mala
tide verzögerte Publikation gilt als Nichterfüllung
des geschlossenen Vertrags und berechtigt die Gegen-
partei, den Waffenstillstand als gebrochen zu be-
trachten und danach zu verfahren. Wird ein
Waffenstillstand von einer Kriegspartei schwer ver-
letzt, so kann die andere Partei denselben kündigen,
nur in dringenden Fällen ist sie dagegen jetzt
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