Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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militärischen Befehlshabern in Bezug auf jenen 
Teil des Kriegsschauplatzes und auf jene Heeres- 
abteilungen, auf welche sich ihr Kommando er- 
streckt, gültig geschlossen werden. Einer Ratifi- 
kation bedürfen diese Kriegskonventionen nicht; 
auch sind die betreffenden militärischen Befehls- 
haber nicht gehalten, zur Abschließung derselben 
die Zustimmung höherer Instanzen einzuholen. 
Die Gültigkeit eines Waffenstillstands ist an 
eine bestimmte Form nicht gebunden; es genügt 
eine deutliche und bestimmte gegenseitige Erklä- 
rung. Für den Inhalt und die Rechtswirkung 
eines Waffenstillstands ist zunächst der Wille der 
kontrahierenden Kriegsparteien maßgebend. Aus 
diesem Grund ist es bei wichtigeren Waffenstill- 
ständen, namentlich bei solchen, welche den Uber- 
gang zum Friedenszustand vorbereiten sollen, nicht 
nur empfehlenswert, sondern geradezu unerläßlich, 
daß der Wille der Kontrahenten bezüglich der ein- 
zelnen, im konkreten Fall in Betracht kommenden 
Fragen in einem schriftlichen Vertrag deutlich 
und bestimmt zum Ausdruck gebracht werde, um 
Streitigkeiten über den Inhalt und die Rechts- 
wirkung des Waffenstillstands, d. i. über die 
Rechte und Pflichten der Kontrahenten, möglichst 
vorzubeugen und für die Entscheidung etwaiger 
Streitfragen eine feste Grundlage zu schaffen. 
Enthält ein Waffenstillstand über die bei dem- 
selben in Betracht kommenden Einzelfragen keine 
nähere Vereinbarung, und kann eine solche auch 
aus der Absicht der Kontrahenten oder einer 
etwaigen feststehenden Kriegspraxis nicht ent- 
nommen werden, oder kann ein unvorhergesehener 
Streitpunkt durch die getroffene Vereinbarung 
nicht unmittelbar entschieden werden, so gilt nach 
der herrschenden Völkerrechtsdoktrin die Aus- 
legungsregel, daß ein ohne spezielle Verein- 
barungen abgeschlossener Waffenstillstand nur die 
Verpflichtung zur Einstellung der Feindseligkeiten 
im eigentlichen Sinn, d. i. die Unterlassung aller 
Angriffshandlungen herbeiführt, im übrigen aber 
die Handlungsfreiheit der Parteien unbeschränkt 
bestehen läßt. Während eines Waffeenstillstands 
hat somit in operativer Beziehung alles im status 
quo zu verbleiben und haben alle weiteren kriege- 
rischen Maßregeln zu unterbleiben. Es muß nicht 
nur jede Ausübung von Waffengewalt und jede 
einen Angriff gegen den Gegner darstellende 
Handlung unterlassen, sondern es dürfen nament- 
lich auch keine Kriegsgefangenen gemacht, keine 
weiteren Vormärsche in das feindliche Gebiet 
unternommen, keine Plätze in demselben neu be- 
setzt, überhaupt keinerlei Erweiterungen des Ope- 
rationsfelds vorgenommen werden. Auch das 
Seebeuterecht (s. d. Art.) ruht während eines all- 
gemeinen und eines jeden besondern Waffenstill- 
stands, der sich auch auf die Aktion der Seestreit- 
kräfte bezieht. Dagegen dürfen die Kriegsparteien 
während eines inhaltlich nicht näher präzisierten 
Waffenstillstands nach ihrem Belieben alles andere, 
soweit es keine Feindseligkeit darstellt, tun, was 
Staatslexikon. V. 3. u. 4. Aufl. 
Waffenstillstand. 
  
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sie im Hinblick auf die eventuelle Wiederaufnahme 
der Feindseligkeiten zur Verstärkung und Besserung 
ihrer Stellung für zweckmäßig erachten und was 
sie auch im Frieden tun dürften, soweit es in 
ihrer Macht steht und nicht durch den fortdauern- 
den Kriegszustand, den in den angegebenen Gren- 
zen aufrecht zu erhaltenden status quo und durch 
die auf demselben begründeten Rechte der Gegen- 
partei ausgeschlossen ist. Die Kriegsparteien dürfen 
daher nicht nur Rekruten ausheben und einexer- 
zieren, sondern sie dürfen auch, soweit der Weg offen 
und nicht durch eine im status quo verbleibende 
Zernierung u. dgl. abgesperrt ist, Verstärkungen 
an sich ziehen, ihre Lebensmittel- und Munitions- 
vorräte ergänzen, Streitkräfte aus der von ihnen 
eingenommenen Stellung wegziehen, feste Plätze 
durch Ausbau ihrer Werke und Ausfüllung ge- 
legter Breschen verstärken (bestritten!). Die Her- 
anziehung neuer Truppen sowie die Zufuhr von 
Lebensmitteln und Munition durch die einschlie- 
ßenden Linien muß jedoch von dem Ermessen des 
Belagernden abhängig bleiben, da sonst der Erfolg 
der Belagerung eventuell fraglich werden kann. 
Die Frage, ob das Visitations= bzw. Durch- 
suchungsrecht (s. d. Art.) während eines Waffen- 
stillstands, der keine diesbezügliche Vereinbarung 
enthält, ausgeübt werden könne, ist zu bejahen, 
weil einerseits die Ausübung dieses Rechts kein 
Akt der Feindseligkeit ist und anderseits die zeit- 
weilige Nichtausübung desselben eine mißbräuch- 
liche Unterstützung des Gegners seitens Neutraler 
auf dem Weg des Seeverkehrs in uneingeschränkter 
Ausdehnung ermöglichen würde. Ob und welche 
Beziehungen auf dem Kriegsschauplatz den Truppen 
mit der Bevölkerung und untereinander etwa statt- 
haft sein soll, ist in den Bedingungen des Waffen- 
stillstands festzulegen (Art. 39). Behufs Vermei- 
dung von Reibereien und Streitigkeiten wird beim 
Abschluß eines Waffenstillstands in der Regel eine 
zwischen den feindlichen Heeren liegende sog. De- 
markationslinie oder neutrale Zone vereinbart, 
welche von keiner Seite betreten oder überschritten 
werden darf. 
Die Verbindlichkeit eines Waffenstillstands, der 
sofort den zuständigen Behörden und Truppen be- 
kannt zu machen ist (Art. 38), beginnt für die Kon- 
trahenten, d. i. für die Befehlshaber und die Organe 
der Staatsgewalt, wie bei einem jeden Vertrag, 
mit dem verabredeten Zeitpunkt, für die Soldaten 
und Landesbewohner aber mit dem Moment der 
gehörigen Kundmachung der getroffenen Verein- 
barung. Für die rechtzeitige und gehörige Publi- 
kation eines Waffenstillstands ist die Heeresleitung 
bzw. die Regierung verantwortlich. Eine mala 
tide verzögerte Publikation gilt als Nichterfüllung 
des geschlossenen Vertrags und berechtigt die Gegen- 
partei, den Waffenstillstand als gebrochen zu be- 
trachten und danach zu verfahren. Wird ein 
Waffenstillstand von einer Kriegspartei schwer ver- 
letzt, so kann die andere Partei denselben kündigen, 
nur in dringenden Fällen ist sie dagegen jetzt 
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