Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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jene, bei denen zur Zeit der Wahl das aktive 
Wahlrecht ruht, nicht aber jene, die vom altiven 
Wahlrecht ausgeschlossen sind. Nicht wählbar da- 
gegen sind die deutschen Bundesfürsten als Träger 
der Reichsgewalt. Anderseits können Mitglieder 
des Bundesrats an sich gewählt werden; diese 
müssen jedoch nach Art. 9 der Reichsverfassung 
vor der Annahme des Reichstagsmandats aus dem 
Bundesrat austreten, wenn dasselbe rechtswirksam 
sein soll. Die Senatoren der freien Städte sind 
nach allgemeiner Ansicht wählbar, da der Mit- 
träger der Reichsgewalt hier nicht die einzelne 
Person des Senators, sondern der Senat als 
Kollegium ist. Beamte bedürfen keines Urlaubs 
zum Eintritt in den Reichstag. Die Kosten der 
hierdurch notwendig werdenden Stellvertretung 
im Dienst werden in Preußen aus Staatsmitteln, 
bei Reichsbeamten aus der Reichzkasse bestritten. 
Gehaltsabzüge dürfen nicht stattfinden. Dasselbe 
gilt auch für Bayern. 
Was die Zahl der Abgeordneten betrifft, so soll 
aus je 100 000 Seelen ein Abgeordneter kom- 
men. Bundesstaaten, deren Einwohnerzahl keine 
100.000 Seelen beträgt, wählen trotzdem für sich 
einen Abgeordneten. Ergibt sich ein Überschuß 
von mindestens 50 000 Seelen in einem Bundes- 
staat, so werden diese vollen 100 000 Seelen gleich 
gerechnet. Zu dieser Berechnung gilt diejenige 
Bevölkerungszahl als maßgebend, welche den 
Wahlen zum verfassungsgebenden Reichstag zu- 
grunde gelegen hat (Volkszählung 1867). Da- 
nach beträgt die Zahl der Abgeordneten 397, und 
zwar entfallen auf Preußen 236, Bayern 48, 
Sachsen 23, Württemberg 17, Elsaß-Lothringen 
15, Baden 14, Hessen 9, Mecklenburg-Schwerin 6, 
Sachsen-Weimar, Oldenburg, Braunschweig und 
Hamburg je 3, Sachsen-Meiningen, Sachsen- 
Coburg und Gotha und Anhalt je 2, und auf 
alle übrigen Bundesstaaten je 1 Abgeordneter. 
Die Wahlkreise, die je einen Abgeordneten zu 
wählen haben, müssen, mit Ausnahme der Ex- 
klaven, räumlich abgegrenzt und tunlichst ab- 
gerundet sein. Jeder Wahlkreis wird zum Zweck 
der Stimmabgabe in kleinere Bezirke geteilt, die 
möglichst mit Ortsgemeinden zusammenfallen sollen. 
In volksreicheren Orten können noch entsprechende 
Unterabteilungen gemacht werden. Wer in einem 
Wahlbezirk sein Wahlrecht ausüben will, muß in 
demselben seinen Wohnsitz haben. Jeder darf nur 
einmal und an einem Ort wählen. 
Die Wahl ist direkt, indem jeder Wähler 
selbst den Kandidaten bezeichnet, den er als Ab- 
geordneten wünscht. Maßgebend für die Wahl ist 
die Vereinigung der absoluten Stimmenmehrheit 
aller in einem Wahlkreis abgegebenen Stimmen 
auf einen Kandidaten. Wird eine solche im ersten 
Wahlgang nicht erzielt, so erfolgt eine engere Wahl 
zwischen den beiden Kandidaten, die im ersten 
Wahlgang die meisten Stimmen erhalten haben. 
Sollte sich Stimmengleichheit ergeben, so ent- 
scheidet das Los. 
Wahlrecht. 
  
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Alle zur Wahl Berechtigten werden in den ein- 
zelnen Stimmbezirken in Wählerlisten ein- 
getragen, welche mindestens vier Wochen vor dem 
Tag der Wahl zu jedermanns Einsicht offen aus- 
gelegt werden müssen, da nur diejenigen Personen 
wahlberechtigt sind, die in den Listen verzeichnet 
sind. Einsprüche gegen die Richtigkeit und Voll- 
ständigkeit der Liste sind innerhalb acht Tagen 
nach Beginn der Auslegung der Listen zu erheben 
und darauf binnen der nächsten 14 Tage zu er- 
ledigen, worauf die Listen geschlossen werden. 
Die Wahl ist geheim. Das Wahlrecht wird 
in Person durch verdeckte, in eine Wahlurne 
niederzulegende Stimmzettel ohne Unterschrift aus- 
geübt. Die Stimmzettel, die 9 zu 12 cm groß 
und von mittelstarkem weißem Papier sein sollen, 
dürfen mit keinem äußern Kennzeichen versehen 
sein. Mit dem Namen des Kandidaten, dem der 
Wähler seine Stimme geben will, sind die Stimm- 
zettel außerhalb des Wahllokals handschriftlich 
oder im Weg der Vervielfältigung zu versehen. 
Über die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahl- 
zettel entscheidet mit Vorbehalt der Prüfung des 
Reichstags allein der Vorstand des Wahlbezirks 
nach Stimmenmehrheit seiner Mitglieder. Zur 
größeren Sicherung der geheimen Wahl sind seit 
der Verordnung vom 28. April 1903 die Stimm- 
zettel von den Wählern in einem mit amtlichem 
Stempel versehenen, undurchsichtigen, 12 zu 15 cm 
großen Umschlag abzugeben. Diese Unschläge 
sind in der erforderlichen Anzahl in den einzelnen 
Wahllokalen bereit zu halten. Außerdem ist durch 
Bereitstellen eines oder mehrerer Nebenräume, die 
durch das Wahllokal betretbar und unmittelbar 
mit ihm verbunden sind, oder durch Vorrichtungen 
an einem oder mehreren von dem Vorstandstisch 
getrennten Nebentischen dafür Vorsorge zu treffen, 
daß der Wähler seinen Stimmzettel unbeobachtet 
in den Umschlag zu legen vermag. 
Die Wahlhandlung und die Feststellung 
des Wahlergebnisses sind öffentlich. Das Amt 
der Vorsteher, Protokollführer uud Beisitzer bei 
der Wahlhandlung in den einzelnen Wahlbezirken 
und der Beisitzer bei der Ermittlung des Wahl- 
ergebnisses in den Wahlkreisen ist ein Ehrenamt 
und darf nur von solchen Personen bekleidet wer- 
den, die keine unmittelbaren Staatsbeamten sind. 
Den eigentlichen Charakter als Abgeordneter 
erhält der Gewählte erst durch die Annahme- 
erklärung der auf ihn gefallenen Wahl, die 
binnen acht Tagen nach erfolgter Wahl zu ge- 
schehen hat. Der Abgeordnetencharakter erlischt 
durch Ablauf der Wahl= oder Legislaturperiode, 
durch Auflösung des Reichstags, durch den Tod 
des Abgeordneten, durch Verlust der für die Wähl- 
barkeit erforderlichen Eigenschaften, durch Eintritt 
in den Bundesrat, durch Ausschluß infolge straf- 
gerichtlicher Verurteilung, durch Niederlegung des 
Mandats und endlich durch Eintritt in ein be- 
soldetes Reichs- oder Staatsamt, mit welchem ein 
höherer Rang oder ein höheres Gehalt verbunden
	        
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