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In Bayern beruht das Wahlrecht auf der
Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818, dem
Gesetz vom 9. Juni 1848 und der Novelle hierzu
vom 21. März 1881 sowie der Verordnung vom
7. Juni 1905 und dem Gesetz vom 9. Mai 1906,
das Bayern ein neues, freiheitlicheres Wahlrecht
brachte. — Bayern hat zwei Kammern. Die Erste
Kammer, die Kammer der Reichsräte, besteht aus
gebornen sowie aus vom König auf Lebenszeit
berufenen Mitgliedern. Zu den ersteren gehören
die großjährigen Prinzen, 2 Kronenwürdenträger,
die beiden Erzbischöfe, der Präsident des prote-
stantischen Oberkonsistoriums, die Häupter von
18 mediatisierten Häusern und 29 sonstige erb-
liche Mitglieder. Unter den ernannten Mitglie-
dern, deren Zahl ein Drittel der erblichen nicht
übersteigen darf, befindet sich unter anderem auch
noch ein weiterer katholischer Bischof. Von libe-
raler Seite ist bis Nov. 1909 wiederholt eine
Umgestaltung der Reichsratskammer beantragt
worden derart, daß auch die Berufsstände und
Städte in derselben ihre Vertretung finden sollten.
Die Anträge fanden aber stets eine Ablehnung.
— Die Mitglieder der Zweiten Kammer gingen
bis 1906 aus indirekten, allgemeinen und ge-
heimen Wahlen hervor. Die Bewegung zu einer
Wahlrechtsreform in Bayern geht zurück bis in
die 1860er Jahre, wo wiederholt ein allgemeines,
direktes Wahlrecht verlangt wurde, aber in der
Kammer nicht die genügende Unterstützung fand.
Anfangs der 1870er Jahre brachte die Regierung
in der Kammer zweimal ein neues Wahlgesetz mit
allgemeinen, direkten Wahlen ein; die erste Vor-
lage kam infolge des Ausbruchs des Deutsch-
französischen Kriegs nicht zur Durchberatung,
während die zweite Vorlage infolge des Wider=
stands der Kammer wieder zurückgezogen wurde.
Eine neue starke Bewegung zugunsten einer Wahl-
rechtsreform setzte mit dem Jahr 1899 ein. Am
1. Juli 1902 wurden in 14 Sätzen in einem
Gesamtbeschluß beider Kammern die Grundlinien
festgelegt und Anfang Okt. 1903 ging der neue
Wahlgesetzentwurf der Regierung dem Landtag
zu. Die Vorlage suchte sich möglichst dem Reichs-
tagswahlrecht anzupassen, nur daß zur Wählbar-
keit nicht das vollendete 25., sondern das voll-
endete 30. Lebensjahr verlangt wurde. Die ein-
schneidendste Neuerung enthielt Art. 14 des Ent-
wurfs, wonach an Stelle der bisher notwendigen ab-
soluten Majorität die relative gesetzt und gleichzeitig
die Stichwahl ganz abgeschafft ward. Bei Stim-
mengleichheit sollte das Los entscheiden. Man
wollte so die Stichwahlen mit ihrer Nötigung zu
politisch zuweilen unmoralischen Wahlbündnissen
beseitigen. Im Wahlausschuß der Abgeordneten-
kammer wurde der Regierungsentwurf gegen die
Stimmen der Liberalen und Bauernbündler mit
nur ganz wenigen Anderungen angenommen. So
wurde namentlich der Beginn der Wahlfähigkeit
vom 30. auf das vollendete 25. Lebensjahr herab-
gesetzt. Da jedoch die Liberalen und Bauern-
Wahlrecht.
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bündler gegen diesen Entwurf stimmten, fand er
nicht die nach der Verfassung erforderliche Zwei-
drittelmehrheit und fiel somit. Ein daraufhin
sofort im Juli 1904 von liberaler Seite ein-
gebrachter Gesetzentwurf, der Listenwahl verbunden
mit Proportionalwahl vorsah, wobei die acht
Regierungsbezirke des Königreichs die Wahlkreise
bilden sollten, wurde sowohl von der Regierung
wie von der Mehrheit der Kammer aus formellen
und materiellen Gründen abgelehnt. Die im Mai
1905 im Zeichen des Kampfs um das Wahl-
recht getätigten Landtagswahlen vermehrten die
Zentrumssitze von 84 auf 102 und die der So-
zialdemokraten von 11 auf 12. Beide Parteien
hatten somit zusammen nunmehr die Zweidrittel-
mehrheit der Zweiten Kammer. Im neuen Land-
tag brachte dann das Zentrum den früheren Ge-
setzentwurf der Regierung, und zwar ohne die
Wahlkreiseinteilung, als Initiativantrag ein, der
dann schließlich am 30. Nov. 1905 einstimmig in
der Abgeordnetenkammer und am 13. März 1906
im Reichsrat Annahme fand und am 9. Mai 1906
sanktioniert wurde. Bayern hat somit nunmehr
direkte, gleiche, geheime Wahlen. Zur Teilnahme
an der aktiven Wahl erforderlich ist der Besitz
des bayrischen Staatsbürgerrechts, ein Alter von
25 Jahren und eine direkte Steuerleistung wäh-
rend eines Jahrs. Die Abgeordneten werden auf
6 Jahre gewählt. Die Wahlkreiseinteilung wurde
durch Verordnung vom 7. Juni 1905 neu ge-
regelt, wonach Bayern nunmehr statt früher 63
jetzt 77 Wahlkreise und statt früher 159 jetzt
163 Abgeordnete erhielt. Auf je 38000 Seelen
kommt ein Abgeordneter, 103 Wahlkreise wählen
je einen und 30 je zwei Abgeordnete.
Württemberg stützt sich mit seinem Wahlrecht
auf die Verfassungsurkunde vom 25. Sept. 1819
und das Wahlgesetz vom 26. März 1868 resp.
vom 16. Juni 1882 sowie auf die Verfassungs-
änderung vom 16. Juli 1906. Die Erste Kam-
mer besteht aus den königlichen Prinzen, den
Standesherren, höchstens 6 vom König lebens-
länglich ernannten Mitgliedern, 8 gewählten Ver-
tretern der Ritterschaft, 4 Vertretern der evan-
gelischen und 2 der katholischen Kirche, je 1 Ver-
treter der beiden Hochschulen und 5 Vertretern
der Berufsstände (2 Handel und Industrie, 2 Land-
wirtschaft und 1 Handwerker). — Die Zweite
Kammer hatte früher neben den gewählten Ab-
geordneten noch 13 Vertreter der Ritterschaft,
6 Würdenträger der evangelischen und 3 der ka-
tholischen Kirche sowie den Kanzler der Universität
Tübingen. Die Verfassungsrevision von 1906
machte durch Ausscheidung dieser Privilegierten
aus der Zweiten Kammer diese zu einer reinen
Volkskammer. Von den 92 Abgeordneten, die sie
jetzt zählt, und die aus allgemeinen, gleichen,
direkten und geheimen Wahlen hervorgehen, wer-
den 63 von den Oberamtsbezirken und 6 von den
sog. guten Städten gewählt. Hierbei ist im ersten
Wahlgang absolute, im zweiten relative Mehr-