1057 Währungsfrage
suchungen. Die „Viehwährung“ erfreute sich einer
lungen, weit verbreiteten Geltung. Die kostenfreie
öglichkeit bei freier Weide, die
3 durch die verschiedenen Gattungen des
Herdenviehs, die relativ leichte Transportabilität
erklären es zur Genüge, daß die Hirtenvölker das
Vieh als allgemeines Tauschmittel benutzten.
Noch ergiebigeres Material als die Etymologie
kann uns die Ethnographie zu der Frage bieten,
aus welchen Ursachen hat sich das Geld entwickelt
und welche Stufen dieser Entwicklung sind jetzt
noch nachzuweisen. Es liegt ja auf der Hand, daß
Einrichtungen, die wir bei primitiven Völkern der
Jetztzeit als eine regelmäßige Erscheinung finden,
auch bei den primitiven Menschen der Vergangen-
heit wahrscheinlich in ganz ähnlicher Weise aus-
gestaltet waren. Wichtig ist da nun vor allem,
daß uns die Ethnographie auf das bestimmteste
nachweist, daß etwas unserem Geld Ahnliches
schon auf verhältnismäßig früher Kulturstufe wohl
bei allen Naturvölkern zu finden ist. Weiter lernen
wir aus der Ethnographie, daß die allerverschie-
densten Gegenstände Geldcharakter haben können,
wenn nur die Gegenstände sich allgemeiner Wert-
schätzung erfreuen und eine gewisse Dauerhaftig-
keit zeigen, z. B. Muscheln, Perlen, Korallen.
Gelegentlich finden wir bei den primitiven Völkern
auch rein imaginäre Werte, die als Geld dienen.
Man spricht dann wohl von Zeichengeld. Schurz
meint in seinem sehr lesenswerten Grundriß einer
Entstehungsgeschichte des Geldes (1898), daß man
die Art und Wirksamkeit des Zeichengeldes am
besten verstehe, wenn man sich an die Spielmarken
bei den europäischen Kulturvölkern erinnere; eine
Gesellschaft von Leuten, die sich gegenseitig eine
gewisse Rechtschaffenheit und Zahlungsfähigkeit
zutrauen, kommt überein, während des Spiels
keine umständlichen Zahlungen vorzunehmen, son-
dern dafür Marken zu verwenden, die nach dem
Schluß des Spiels ausgelöst werden. Es ist klar,
daß der subjektive Wert des Zeichengeldes nur auf
Vertrauen beruht. Kommt ein ganzer Stamm
überein, diesen oder jenen Gegenstand als Zah-
lungsmittel zu betrachten, ist jedermann bereit, ihn
zu dem festgesetzten Wert anzunehmen, dann wird
er auch als echtes und rechtes Geld kursieren. Ein
Beispiel dafür bietet die Geschichte Rußlands. An
Stelle des unbehilflichen Fellgeldes, das im Reich
umlief, sollen die Zaren der älteren Zeit kleine
abgestempelte Stücke der Kopfhaut jener Tiere
ausgegeben haben, deren Felle nunmehr am Zaren-
hof aufgehäuft wurden und nur noch im Außen-
handel Verwendung fanden. Der Versuch soll sich
bewährt haben, jedenfalls ließe sich das theoretisch
erklären, solange das Zutrauen zum Herrscher
unbegrenzt war, die Wertgegenstände, die das
Zeichengeld vertrat, in Wirklichkeit vorhanden
waren und der Handel mit dem Ausland keine
große Bedeutung für das Volksleben hatte. Später
soll dann nochmals von der russischen Regierung
der Versuch gemacht worden sein, vielleicht ange-
Staatslexikon. V. 3. u. 4. Aufl-
und Geldwesen. 1058
regt durch dieses alte Beispiel, alles Silbergeld
einzuziehen und an dessen Stelle ein kupfernes
Zeichengeld zu setzen. Der Versuch mißlang, er
hatte nur den Erfolg, daß der russische Kredit und
Handel sehr erschüttert wurde; Rußland war eben
kein abgeschlossener Staat mehr, der sich mit einem
Geld symbolischer Art begnügen konnte.
Sicher ist auf jeden Fall, daß Geld im Sinn
eines allgemeinen Tauschmittels erst entstehen
konnte, nachdem der Tausch selbst eine ziemlich
regelmäßige Erscheinung geworden war. Das,
was dann aus der Vielheit der Waren, die Gegen-
stand des Tauschverkehrs waren, als Tauschmedium
herausgehoben wurde, war je nach den Umständen
verschieden. Wenn man die Ergebnisse ethnogra-
bhischer Forschung zusammenfassen und verallge-
meinern darf, so kann man vielleicht sagen: Geld-
qualität wurde nach Ausbildung des Tauschverkehrs
teils beigelegt den wichtigsten Tauschartikeln aus
der Fremde (z. B. Baumwollzeuge) oder nach der
Fremde hin (z. B. Goldstaub), teils denjenigen
Gebrauchsgegenständen, die in der Heimat be-
sonders leicht absatzfähig waren, entweder weil sie
als besonders wertbeständig galten (z. B. allge-
mein beliebte Schmuckgegenstände) oder weil sie
Repräsentanten des Reichtums waren (z. B. Vieh).
Instinktiv suchte man eben das heraus, was von
allen Stammesgenossen besonders hoch geschätzt
wurde, dessen Konservierung zugleich ohne allzu
große Kosten vor sich gehen konnte und das durch
seinen Besitz auch schon nach außen hin ein ge-
wisses Ansehen verlieh.
Und so ist es ja bis auf den heutigen Tag ge-
blieben, das Geld ist nicht nur Tauschmittel,
sondern zugleich auch Wertkonservierungsmittel
und Repräsentant des Reichtums. Dagegen möchte
ich den Ausdruck, das Geld ist allgemeiner Wert-
messer, obschon er in der wissenschaftlichen Literatur
gang und gäbe ist, nicht ohne weiteres akzeptieren.
Der Wert einer Ware kann nicht mit einem
äußern Instrument gemessen werden wie die Länge
oder die Schwere, er ist vielmehr das Resultat
einer Verstandesoperation. Kosten und Nutzen
werden abgewogen für die Preisbildung, die erst
durch das „Feilschen am Markt“ entsteht. Wenn
das Geld aus der Tasche herausgenommen wird,
dann sind wir uns schon über Wert= und Preis-
höhe der Ware, die wir kaufen wollen, im klaren,
aber tatsächlich dient doch das Geld beim Tausch-
akt nicht bloß als Tauschmittel, sondern es er-
leichtert auch — eben weil es Tauschmittel ist —
die dem Tauschabschluß vorhergehende Vergleichs-
operation. Handelt es sich doch beim Tauschverkehr
um ganz verschiedenartige Werte, die auf einen
Generalnenner zurückgeführt werden müssen, und
als solchen wird man zweckmäßig eben die Ware
verwenden, die durch ihre Eigenschaft als allge-
meines Tauschmittel sich schon so wie so andern
Waren gegenüber besonders charakterisiert. Aus
dem Gesagten ergibt sich schon, daß die Sozial-
ökonomen irren, wenn sie meinen, daß die Tausch-
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