Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

1061 Währungsfrage 
der Schwerpunkt des Geldwesens liege nicht im 
Land, sondern auf dem Weltmarkt, „nicht natio- 
nale Staatsgesetze, sondern internationale Wirt- 
schaftsgesetze“ bestimmten in letzter Linie über den 
Geldwert. 
Anderseits hat aber auch Helfferich nicht un- 
recht, wenn er sagt: „Erst der Staat und sein 
Recht haben das Geld zu dem kunstvollen und 
wirksamen Instrument gemacht, das imstande ist, 
in dem gewaltigen Organismus der modernen 
Volkswirtschaft die Funktion des Verkehrsmittels 
zu ersüllen, diejenige Funktion, welche die sämt- 
lichen wirtschaftlichen Beziehungen der Individuen 
sowohl untereinander als auch zum Ganzen trägt, 
und damit den Charakter unserer Wirtschafts= und 
Gesellschaftsordnung bedingt.“ Mit andern Wor- 
ten: Die Wirtschaft schafft das Geld, der Staat 
vervollkommnet das Geld. Und das kann er durch 
dreifache Bestimmungen: 1) Der Staat bestimmt 
den Stoff des Geldes, d. h. er wählt den Gegen- 
stand, der den Stoff für die Münzen hergeben 
soll; 2) er bestimmt die Stückelung des Geldes, 
von den zahlreichen möglichen Gewichtseinheiten 
nimmt er eine oder mehrere heraus, die ausschließ- 
lich als gesetzlich anerkannte Tauschmittel dienen 
sollen; 3) er bestimmt, was im Zweifelsfall als 
Geld angenommen werden muß. Und indem sich 
der Staat so um das Geldwesen kümmert, fixiert 
er die Währung, d. h. das gesetzlich an- 
erkannte Recht eines Gegenstands, in 
unbeschränkter Menge als Zahlungs- 
mittel zu dienen. 
Man braucht kaum ein weiteres Wort zu ver- 
lieren über die große Bedeutung des Rechtssatzes, 
kraft dessen der Staat bestimmt, daß dieses oder 
jenes allgemeines Zahlungsmittel sei, Zwangs- 
kurs haben solle. Mit Recht hat man jenen Rechts- 
satz die Magna Charta der persönlichen Freiheit 
im Gebiet des Privatrechts genannt. Das große 
Recht, welches sich hierdurch der Staat beilegt, 
verbindet sich zugleich aber mit einer verantwor- 
tungsvollen Pflicht, deren Konsequenz in dem Ge- 
danken gipfelt, daß die Regierungsgewalt ihrer 
Aufgabe, für ein stabiles Tauschmittel und Wert- 
ausdrucksmittel Sorge zu tragen, nur gerecht wird, 
wenn sie das staatliche Geldwesen auf ein mög- 
lichst sicheres Fundament gründet. Diese sichere 
Basis kann nach den gegenwärtigen Verhältnissen 
aber nur das Gold gewähren. Der einst so leb- 
haft geführte Streit, was vorzuziehen sei, Gold- 
währung oder eine Verbindung zwischen Gold- 
und Silberwährung, die sog. Doppelwährung, 
hat heute schon sehr viel von seiner einst so großen 
Bedeutung verloren, die wirtschaftliche Entwick- 
lung hat sich für das Gold entschieden. 
Nun prägt aber der Staat nicht nur Münzen 
aus, die in unbeschränkter Menge als Zahlungs- 
mittel angenommen werden müssen, sondern er 
gibt auch für die Zwecke des Kleinverkehrs Münzen, 
sog. Scheidemünzen aus, die nur in beschränktem 
Umfang angenommen zu werden brauchen. Der 
  
und Geldwesen. 1062 
Staat gibt ferner auch Papierscheine aus, in 
Deutschland z. B. Reichskassenscheine, die zwar 
auch nicht Währungsgeld sind, die aber ebenso 
wie die Scheidemünzen im Verkehr Geldqualität 
erhalten. Will man sich nun mit den Anschauungen 
des täglichen Lebens nicht in Widerspruch setzen, 
so muß man bekennen, daß auch die Reichskassen- 
scheine, unsere Silber-, Nickel-, Kupfer= und 
Scheidemünzen Geld im rechtlichen Sinn sind, 
und daraus folgt, daß man außer dem engeren 
rechtlichen Begriff Währungsgeld noch einen 
weiteren rechtlichen Geldbegriff anerkennen muß, 
der das umfaßt, was der Verkehr als Geld be- 
trachtet. Unzweifelhaft hat Otto Gierke damir 
durchaus recht, daß derjenige, der etwa den Be- 
griff des Geldes auf die Landesmünzen des Wäh- 
rungsmetalls einschränken wolle, sowohl mit dem 
Sprachgebrauch der Gesetze wie mit den An- 
schauungen und Bedürfnissen des Verkehrslebens 
in Konflikt kommt. Tatsächlich ließen sich aus 
unsern Gesetzen zahlreiche Beispiele dafür an- 
führen, daß auch der Gesetzgeber außer dem spe- 
ziellen juristischen Geldbegriff, der gleichbedeutend 
mit Währungsgeld ist, einen allgemeineren Begriff 
kennt, den man Verkehrsgeld nennen kann und der 
alles das umfaßt, was in unserem Verkehrsleben 
tatsächlich in der ordentlichen Bestimmung an- 
erkannt ist, als allgemeines Tauschmittel zu fun- 
gieren; ich sage, in der ordentlichen Bestimmung: 
Briefmarken, die gesetzlich als Tauschmittel ver- 
wendet werden, sind deshalb noch nicht Verkehrs- 
geld, weil eben ihre ordentliche Bestimmung darin 
beruht, Gelddienste zu leisten. 
III. Die Währungssysteme und der Wäh- 
rungsstreit. Im wesentlichen Helfferich folgend, 
möchte ich folgende Währungssysteme unter- 
scheiden: 
1. Die reine Goldwährung. Gold ist 
allein Währungsmetall und nur Gold ist frei aus- 
prägbar, d. h. jeder kann Gold, aber auch nur 
Gold, in beliebigen Mengen durch die staatliche 
Münze ausprägen lassen; nur Goldmünzen, even- 
tuell neben einem in Goldmünzen einlösbaren 
Schein (z. B. Banknoten) sind volles gesetzliches 
Zahlungsmittel. 
2. Die hinkende Währung, die zwar 
nur das Gold als frei ausprägbares Metall kennt, 
die aber daneben noch ein gewisses Quantum von 
nicht ausprägbaren Silbermünzen etwa aus einer 
früheren Währungsperiode noch übernommen hat 
und als vollgültiges Zahlungsmittel gelten läßt, 
wie das z. B. in Deutschland zur Talerzeit war, 
bis mit dem 1. Okt. 1907 die reine Goldwährung 
die hinkende Währung verdrängte. Nach einer 
auf Grund des Münzgesetzes vom 9. Juli 1873 
erlassenen Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 
27. Juni 1907 gilt der Taler seit dem 1. Okt. 
1907 nicht mehr als gesetzliches Zahlungsmittel, 
das auf Grund der Münzgesetznovelle vom 19. Mai 
1908 geprägte „Dreimarkstück“ ist nicht Wäh- 
rungsgeld, wie der alte Taler, sondern nur Scheide- 
34°
	        
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