91
hat, empfiehlt es sich, denselben wenigstens vor
Auswechslung der Ratifikationen, durch welche die
von den Bevollmächtigten der vertragschließenden
Staaten geschlossene Übereinkunft erst ihre ver-
bindliche Kraft erhält, den parlamentarischen Ver-
tretungskörpern behufs Erlangung ihrer Ge-
nehmigung zu unterbreiten, falls irgendwie die
Möglichkeit zutage tritt, daß diese Genehmigung
versagt werden könnte.
In völkerrechtlicher Beziehung ist die
Staatsgewalt dem andern vertragschließenden
Staat gegenüber in allen Fällen, diejenigen aus-
genommen, in welchen die verfassungsmäßige
Genehmigung des Parlaments ausdrücklich als
Bedingung des Zustandekommens eines rechts-
kräftigen Staatsvertrags vorgesehen ist, in welchen
demnach ein solcher Vertrag ohne eine derartige
Zustimmung gar nicht zustande kommt, streng
verpflichtet. Sie muß alles tun, um die Aus-
führung des Vertrags zu ermöglichen, denselben
also den Kammern zu rechtzeitiger Beschlußfassung
unterbreiten, bei den diesbezüglichen Verhand-
lungen mit allem Ernst darauf dringen, daß die
Genehmigung erfolge, und wenn dieselbe nichts-
destoweniger nicht erfolgt, alle ihr zu Gebot
stehenden Mittel anwenden, um die Zustimmung
herbeizuführen. In den Staaten mit absolut
monarchischer Verfassungsform ist die Aufgabe der
höchsten Gewalt in dieser Hinsicht natürlich viel
leichter. In diesen Staaten treten die mit andern
Mächten abgeschlossenen Staatsverträge mit ihrer
Veröffentlichung ohne weiteres in Kraft, und eine
etwa erforderliche außerordentliche Tätigkeit der
Staatsregierung beschränkt sich darauf, etwa zu-
tage tretende Aufregungen gewisser Bevölkerungs-
schichten in geeigneter Weise zu beruhigen und
einen eventuellen Widerstand ernstlicherer Natur,
der sich in Widersetzlichkeiten und dergleichen Vor-
gängen äußert, nötigenfalls mit Gewalt zu
brechen. So werden sich in absoluten Monarchien
nicht leicht so ernste Schwierigkeiten ergeben, wie
sie in den Staaten mit einer Verfassung und in
den Republiken zutage treten können. In diesen
beiden Arten von Staaten kann die vollziehende
Gewalk trotz ihres guten Willens unter Umständen
sich außerstande sehen, den von ihr eingegangenen
Verpflichlungen gerecht zu werden. Es ist möglich,
daß die parlamentarischen Körperschaften ihren
verfassungsmäßig berechtigten Widerstand gegen
einen von der Regierung abgeschlossenen Staats-
vertrag nicht aufgeben, und daß dieser mindestens
jormell berechtigte Widerstand mit verfassungs-
mäßigen Mitteln auf keine Weise gebrochen werden
kann. Die den vertretenden Körperschoften in
dieser Hinsicht zustehenden Rechte pflegen heut-
zutage in den Verfassungen ganz bestimmt und
klar ausgedrückt zu sein. Zunächst ist es unbe-
streitbar, daß ein jeder Staatsvertrag als eine Be-
täligung der vollziehenden Staatsgewalt erscheint.
Da nun den Kammern das Recht zusteht, die
Anordnungen dieser Gewalt sich vorlegen zu lassen,
Staatsverträge. 92
um dieselben mit Bezug auf ihre Verfassungs-
mäßigkeit und Vereinbarkeit mit dem öffentlichen
Besten ihrer Beurteilung zu unterziehen, so können
sie mit vollem Recht auch begehren, daß ihnen
die mit fremden Staaten abgeschlossenen Verträge
unterbreitet werden, damit sie sich zu überzeugen
imstande seien, ob der Inhalt derselben sich auf
Gegenstände beziehe, über welche ohne ihre Zu-
stimmung nicht verfügt werden darf. Bei einer
derartigen Prüfung kann es sich nun zunächst er-
geben, daß die vollziehende Gewalt einen Staats-
vertrag abgeschlossen hat, zu dessen Gültigkeit nach
dem Inhalt der Verfassung des betreffenden Landes
die dem Abschluß vorhergehende Zustimmung der
Landesvertretung erforderlich ist. Ist dies der
Fall, so erweist sich zwar der in Frage stehende
Vertrag an sich als unverbindlich, aber es kann
dieser Mangel nichtsdestoweniger durch die nach-
trägliche Genehmigung von seiten des Parlaments
behoben werden. Wird diese Genehmigung jedoch
nicht erteilt, so muß die Ausführung des Vertrags
unterbleiben, und die bezüglich derselben etwa
bereits erlassenen Verfügungen sind rückgängig zu
machen. In denjenigen Fällen aber, in welchen die
verfassungsmäßige Zustimmung der verfassungs-
mäßigen Landesvertretung zwar nicht als Vor-
bedingung der Gültigkeit des betreffenden Staats-
vertrags an sich vorgeschrieben ist, in denen es
sich aber um Gegenstände handelt, bezüglich deren
nur durch ein verfassungsmäßig, also mit Geneh-
migung der vertretenden Körperschaften zustande
gekommenes Gesetz Bestimmungen getroffen wer-
den dürfen, ist die Lage der Staatsregierung den
fremden Mächten gegenüber, mit denen sie ver-
tragsmäßige Verpflichtungen eingegangen ist, im
Fall der Nichteinwilligung des Parlaments be-
treffs der Vertragsbestimmungen in gewisser Hin-
sicht die gleiche wie bei der sich herausstellenden
vollständigen Ungültigkeit des Vertrags. Es wird
nämlich der Staatsvertrag infolge der Verwei-
gerung der Zustimmung der Kammern zwar nicht
ungültig, aber nichtsdestoweniger undurchführbar
und somit hinsällig. Nur insofern sich die Fest-
setzungen des betreffenden Staatsvertrags auf
Gegenstände beziehen, hinsichtlich welcher die voll-
ziehende Gewalt selbständig, also ohne Einwilli-
gung der verfassungsmäßigen Landesvertretung
Verfügungen zu treffen berechtigt ist, bleibt er
durchführbar und ist die Regierung selbstverständ-
lich zu seiner Durchführung verpflichtet. Was aber
jene Bestimmungen anlangt, welche nur durch
das Hinzukommen der vom Parlament erteilten
Genehmigung gesetzmäßig ausführbar werden, so
würde sich die Regierung, falls sie dieselben ohne
diese Genehmigung oder sogar gegen den aus-
drücklichen Willen der Landesvertretung zur Aus-
führung bringen wollle, der Gefahr aussen.
die übeln Folgen ihres verfassungswidrigen Ver-
fahrens tragen zu müssen. Es würde in einem
solchen Fall zur Verweigerung des Budgets, zur
Erhebung der Anklage gegen die verantwortlichen