Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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hat, empfiehlt es sich, denselben wenigstens vor 
Auswechslung der Ratifikationen, durch welche die 
von den Bevollmächtigten der vertragschließenden 
Staaten geschlossene Übereinkunft erst ihre ver- 
bindliche Kraft erhält, den parlamentarischen Ver- 
tretungskörpern behufs Erlangung ihrer Ge- 
nehmigung zu unterbreiten, falls irgendwie die 
Möglichkeit zutage tritt, daß diese Genehmigung 
versagt werden könnte. 
In völkerrechtlicher Beziehung ist die 
Staatsgewalt dem andern vertragschließenden 
Staat gegenüber in allen Fällen, diejenigen aus- 
genommen, in welchen die verfassungsmäßige 
Genehmigung des Parlaments ausdrücklich als 
Bedingung des Zustandekommens eines rechts- 
kräftigen Staatsvertrags vorgesehen ist, in welchen 
demnach ein solcher Vertrag ohne eine derartige 
Zustimmung gar nicht zustande kommt, streng 
verpflichtet. Sie muß alles tun, um die Aus- 
führung des Vertrags zu ermöglichen, denselben 
also den Kammern zu rechtzeitiger Beschlußfassung 
unterbreiten, bei den diesbezüglichen Verhand- 
lungen mit allem Ernst darauf dringen, daß die 
Genehmigung erfolge, und wenn dieselbe nichts- 
destoweniger nicht erfolgt, alle ihr zu Gebot 
stehenden Mittel anwenden, um die Zustimmung 
herbeizuführen. In den Staaten mit absolut 
monarchischer Verfassungsform ist die Aufgabe der 
höchsten Gewalt in dieser Hinsicht natürlich viel 
leichter. In diesen Staaten treten die mit andern 
Mächten abgeschlossenen Staatsverträge mit ihrer 
Veröffentlichung ohne weiteres in Kraft, und eine 
etwa erforderliche außerordentliche Tätigkeit der 
Staatsregierung beschränkt sich darauf, etwa zu- 
tage tretende Aufregungen gewisser Bevölkerungs- 
schichten in geeigneter Weise zu beruhigen und 
einen eventuellen Widerstand ernstlicherer Natur, 
der sich in Widersetzlichkeiten und dergleichen Vor- 
gängen äußert, nötigenfalls mit Gewalt zu 
brechen. So werden sich in absoluten Monarchien 
nicht leicht so ernste Schwierigkeiten ergeben, wie 
sie in den Staaten mit einer Verfassung und in 
den Republiken zutage treten können. In diesen 
beiden Arten von Staaten kann die vollziehende 
Gewalk trotz ihres guten Willens unter Umständen 
sich außerstande sehen, den von ihr eingegangenen 
Verpflichlungen gerecht zu werden. Es ist möglich, 
daß die parlamentarischen Körperschaften ihren 
verfassungsmäßig berechtigten Widerstand gegen 
einen von der Regierung abgeschlossenen Staats- 
vertrag nicht aufgeben, und daß dieser mindestens 
jormell berechtigte Widerstand mit verfassungs- 
mäßigen Mitteln auf keine Weise gebrochen werden 
kann. Die den vertretenden Körperschoften in 
dieser Hinsicht zustehenden Rechte pflegen heut- 
zutage in den Verfassungen ganz bestimmt und 
klar ausgedrückt zu sein. Zunächst ist es unbe- 
streitbar, daß ein jeder Staatsvertrag als eine Be- 
täligung der vollziehenden Staatsgewalt erscheint. 
Da nun den Kammern das Recht zusteht, die 
Anordnungen dieser Gewalt sich vorlegen zu lassen, 
  
Staatsverträge. 92 
um dieselben mit Bezug auf ihre Verfassungs- 
mäßigkeit und Vereinbarkeit mit dem öffentlichen 
Besten ihrer Beurteilung zu unterziehen, so können 
sie mit vollem Recht auch begehren, daß ihnen 
die mit fremden Staaten abgeschlossenen Verträge 
unterbreitet werden, damit sie sich zu überzeugen 
imstande seien, ob der Inhalt derselben sich auf 
Gegenstände beziehe, über welche ohne ihre Zu- 
stimmung nicht verfügt werden darf. Bei einer 
derartigen Prüfung kann es sich nun zunächst er- 
geben, daß die vollziehende Gewalt einen Staats- 
vertrag abgeschlossen hat, zu dessen Gültigkeit nach 
dem Inhalt der Verfassung des betreffenden Landes 
die dem Abschluß vorhergehende Zustimmung der 
Landesvertretung erforderlich ist. Ist dies der 
Fall, so erweist sich zwar der in Frage stehende 
Vertrag an sich als unverbindlich, aber es kann 
dieser Mangel nichtsdestoweniger durch die nach- 
trägliche Genehmigung von seiten des Parlaments 
behoben werden. Wird diese Genehmigung jedoch 
nicht erteilt, so muß die Ausführung des Vertrags 
unterbleiben, und die bezüglich derselben etwa 
bereits erlassenen Verfügungen sind rückgängig zu 
machen. In denjenigen Fällen aber, in welchen die 
verfassungsmäßige Zustimmung der verfassungs- 
mäßigen Landesvertretung zwar nicht als Vor- 
bedingung der Gültigkeit des betreffenden Staats- 
vertrags an sich vorgeschrieben ist, in denen es 
sich aber um Gegenstände handelt, bezüglich deren 
nur durch ein verfassungsmäßig, also mit Geneh- 
migung der vertretenden Körperschaften zustande 
gekommenes Gesetz Bestimmungen getroffen wer- 
den dürfen, ist die Lage der Staatsregierung den 
fremden Mächten gegenüber, mit denen sie ver- 
tragsmäßige Verpflichtungen eingegangen ist, im 
Fall der Nichteinwilligung des Parlaments be- 
treffs der Vertragsbestimmungen in gewisser Hin- 
sicht die gleiche wie bei der sich herausstellenden 
vollständigen Ungültigkeit des Vertrags. Es wird 
nämlich der Staatsvertrag infolge der Verwei- 
gerung der Zustimmung der Kammern zwar nicht 
ungültig, aber nichtsdestoweniger undurchführbar 
und somit hinsällig. Nur insofern sich die Fest- 
setzungen des betreffenden Staatsvertrags auf 
Gegenstände beziehen, hinsichtlich welcher die voll- 
ziehende Gewalt selbständig, also ohne Einwilli- 
gung der verfassungsmäßigen Landesvertretung 
Verfügungen zu treffen berechtigt ist, bleibt er 
durchführbar und ist die Regierung selbstverständ- 
lich zu seiner Durchführung verpflichtet. Was aber 
jene Bestimmungen anlangt, welche nur durch 
das Hinzukommen der vom Parlament erteilten 
Genehmigung gesetzmäßig ausführbar werden, so 
würde sich die Regierung, falls sie dieselben ohne 
diese Genehmigung oder sogar gegen den aus- 
drücklichen Willen der Landesvertretung zur Aus- 
führung bringen wollle, der Gefahr aussen. 
die übeln Folgen ihres verfassungswidrigen Ver- 
fahrens tragen zu müssen. Es würde in einem 
solchen Fall zur Verweigerung des Budgets, zur 
Erhebung der Anklage gegen die verantwortlichen 
 
	        
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