Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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b) dem nördlichen Fürstentum Pyrmont, von 
Lippe, Braunschweig und der Provinz Hannover 
umschlossen, 65,5 qkm groß (1905: 9162 Einw.). 
Die Bevölkerungszahl bleibt fast stabil (1875 
kamen auf 1 ckm 49, 1910: 53 Einw.) infolge 
Abwanderung in die rheinischen und westfälischen 
Industriezentren. 1905 wurden gezählt: 56 341 
Protestanten, 1890 Katholiken, 629 Juden. Von 
1000 Einw. waren 1905 bzw. 1871 evangelisch 
971 bzw. 961, katholisch 17 bzw. 23, jüdisch 1 
bzw. 1,5. Die Bevölkerung Pyrmonts gehört dem 
sächsischen, die Waldecks teils dem sächsischen teils 
dem fränkischen Stamm an. Das Fürstentum zählt 
14 Städte und 107 Dörfer, keine der Ortsge- 
meinden hat über 3000 Einw. Die Haupt= und 
Residenzstadt Arolsen zählte 1905: 2811 Einw., 
die zweite Hauptstadt und Sommerresidenz Pyr- 
mont 1905: 1527 Einw. Bei der Berufszählung 
von 1907 lagen 45% der Gesamtbevölkerung 
landwirtschaftlichen Berufen ob, 28 % waren in 
der Industrie, 11 /% in Handel und Verkehr tätig. 
Der früher ziemlich lebhaft betriebene Bergbau auf 
Eisen= und Kupfererze ist fast erloschen. 40 % der 
Landfläche sind Forsten, von diesen sind 63% 
Staats-, 22% Gemeinde-, 14% Privatforsten. 
Pyrmont und Bald Wildungen sind gut besuchte 
Kurorte. 
3. Verfassung, Verwaltung. Durch das 
Staatsgrundgesetz vom 23. Mai 1849 und die 
revidierte Verfassung vom 17. Aug. 1852 wurden 
die beiden Fürstentümer Waldeck und Pyrmont 
zu einem untrennbaren Staatsgebiet vereinigt. 
Vollständig durchgeführt wurde die Verschmelzung 
jedoch erst durch das Gesetz vom 23. Jan. 1864, 
das eine einheitliche Finanzverwaltung brachte. 
Neben der Bezeichnung „Fürstentum Waldeck" 
sind jedoch noch heute gebräuchlich die Bezeich- 
nungen „Fürstentum Waldeck-Pyrmont“ und 
„Fürstentümer Waldeck und Pyrmont"“. 
Infolge der Akzessionsverträge mit Preußen 
vom 18. Juli 1867, 24. Nov. 1877 und 2. März 
1887 führt Preußen die innere Landesverwal- 
tung, und zwar übt der König von Preußen die 
volle Staatsgewalt, wie sie verfassungsgemäß dem 
Fürsten zusteht. Die gesetzgebende Gewalt teilt der 
Fürst bzw. der König von Preußen mit der Volks- 
vertretung. Die Verkündigungsformel der Gesetze 
lautet: „Wir Wilhelm von Gottes Gnaden, Kö- 
nig von Preußen usw. verordnen auf Grund des 
zwischen Preußen und Waldeck-Pyrmont geschlos- 
senen Vertrags vom 2. März 1887 mit Zustim- 
mung Sr Durchlaucht des Fürsten zu Waldeck- 
Pyrmont sowie des Landtags der Fürstentümer, 
was folgt.“ Die vollziehende Gewalt steht ver- 
fassungsgemäß dem Fürsten zu. Unter den gegen- 
wärtigen Verhältnissen ist sie jedoch Sache des 
Königs von Preußen. Regierungshandlungen 
tragen die Gegenzeichnung des Landesdirektors 
und (mit Rücksicht auf Art. 44 der preußischen 
Verfassung) eines preußischen Ministers. Die 
innere Verwaltung ist einem preußischen Landes- 
Waldeck. 
  
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direktor unterstellt, der sie im Namen des Fürsten 
und in Übereinstimmung mit den Gesetzen des 
Fürstentums führt. Sämtliche Landeseinnahmen 
bezieht Preußen, das dafür alle Ausgaben be- 
streiten muß. Dem Fürsten vorbehalten ist das 
Begnadigungsrecht sowie das Zustimmungsrecht 
zu Gesetzen und Verfassungsänderungen. Von 
diesem wird er jedoch nach dem Schlußprotokoll 
des Akzessionsvertrags „keinen der preußischen Ver- 
waltung hinderlichen Gebrauch machen“". Der 
Fürst übt ferner aus die Vertretung des Landes 
nach außen, allerdings „durch den Landesdirektor 
und unter dessen Verantwortlichkeit“, er ernennt 
den Vertreter Waldecks im Bundesrat. Außerhalb 
der preußischen Verwaltung stehen das fürstliche 
Konsistorium in seiner Eigenschaft als Oberkirchen- 
behörde, ferner die Verwaltung der Domänen. 
Die Regierung ist erblich im Mannsstamm des 
Waldeckschen Fürstenhauses, einschließlich der gräf- 
lichen Linie (uvgl. Sp. 1072), nach dem Recht der 
Erstgeburt und der agnatischen Linealfolge. Er- 
lischt der Mannesstamm, so folgt die weibliche 
Linie. Der Fürst wird mit 21 Jahren volljährig. 
Das sürstliche Haus ist evangelisch-lutherisch. 
Der Landtag besteht aus 15 indirekt auf drei 
Jahre gewählten Abgeordneten (drei davon aus 
dem Fürstentum Pyrmont). Die Wahl der Wahl- 
männer erfolgt nach der Steuerleistung in drei 
Abteilungen, und zwar, ebenso wie die Abgeord- 
netenwahl, durch mündliche Stimmabgabe. Das 
aktive Wahlrecht beginnt mit dem 25., das passive 
mit dem 30. Lebensjahr. Verfassungsgemäß muß 
der Landtag regelmäßig im Oktober jedes Jahrs 
berufen werden, ebenso innerhalb sechs Wochen 
nach einem Regierungswechsel. Im übrigen ist der 
Landtag an das Berufungs-, Vertagungs-, 
Schließungs= und Auflösungsrecht des Fürsten 
bzw. des Königs von Preußen gebunden. Zur 
Beschlußfähigkeit ist Anwesenheit von ⅜8 der Ab- 
geordneten erforderlich. Der Landtag besitzt außer 
dem Recht der Mitwirkung bei der Gesetzgebung 
(einschließlich des Rechts der Initiative) und dem 
Recht der Steuerbewilligung das Recht, in allen 
Landessachen Adressen, Beschwerden und Bitten 
an den Landesherrn zu bringen, das Recht der 
Anklage des verantwortlichen Regierungsmitglieds 
bei Verfassungsverletzung, das Recht zu fordern, 
daß die Regierung in den Landtagssitzungen ver- 
treten ist usw. Eine Immunität der Abgeordneten 
während der Sitzungsperiode für außerhalb des 
Landtags begangene strafbare Handlungen besteht 
nicht. An Diäten erhalten die Abgeordneten 9 31 
täglich, Reiseentschädigung gleichfalls 9 M für 
jeden Reisetag. Politische Parteien kennt der Land- 
tag nicht. 
Im Bundesrat hat Waldeck-Pyrmont eine 
Stimme, in den Reichstag sendet es einen Abge- 
ordneten. 
Die gesamte Staatsverwaltung liegt in den 
Händen des vom König von Preußen ernannten 
Landesdirektors, soweit sie nicht auf preußische 
 
	        
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