Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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schaften, die auch die Aufteilung des Bodens voll- 
ziehen. Osterreich hat 1902 ein schwerfälliges 
und daher sehr schwach wirkendes Gesetz, das Ar- 
beiterhäusern Steuerfreiheit gewährt. In Frank- 
reich und Belgien hat sich die Anschauung, 
daß der Staat sich nicht in das Wirtschaftsleben 
einmischen dürfe, heute noch in Kraft gehalten; 
gesundheitliche und sittliche Mindestvorschriften 
ehlen in diesen Ländern, haben für das Ein- 
amilienhaus allerdings auch weniger Bedeutung. 
Frankreich sucht durch Steuererleichterungen den 
Bau von Arbeiterwohnungen zu begünstigen, die 
Verwickeltheit dieser Gesetzgebung und der Still- 
stand der Bevölkerung erschweren die Wirksamkeit. 
Belgien unterstützt (Gesetz vom 9. Aug. 1889) 
durch seine staatliche Zentralsparkasse den Bau von 
Arbeiterwohnungen mit großen Summen und 
gutem Erfolg und hat auch durch planmäßige 
Gestaltung eines billigen Nah= und Fernverkehrs 
die Scheidung zwischen Arbeits= und Wohn- 
stätten am stärksten entwickelt, was die ganze 
Arbeitsverfassung des Landes beeinflußt, das 
Wachstum der Städte verlangsamt und die Be- 
völkerung trotz fortschreitender Industrialisierung 
auf dem Lande festhält. e- 
Literatur. Statist. Jahrbuch deutscher Städte, 
bes. Jahrg. 1908, 27/41; 1910, 232; Zahn, 
Deutschlands wirtschaftliche Entwicklung, in den 
„Annalen des Deutschen Reichs“, Jahrg. 1910, 
401 ff; Die Herkunft der deutschen Unteroffiziere 
u. Soldaten, in der Zeitschrift des preuß. statist. 
Landesamts, Jahrg. 1908; Baumeister, Classen, 
Stübben, Die Umlegung städtischer Grundstücke u. 
die Zonenenteignung (1897); Beck, Die Mann- 
heimer W. u. die Bau= u. Bodenpolitik der Stadt- 
gemeinde (1906); Schriften der Zentralstelle für 
Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen, Nr 29: Die künst- 
lerische Gestaltung des Arbeiterwohnhauses, 14. Kon- 
ferenz der Zentralstelle in Hagen 1905 (1906), u. 
Nr 33: Die Beschaffung hypothekarischer Darlehen 
für Baugenossenschaften (1908); Damaschke, Auf- 
gaben der Gemeindepolitik (71904); Dietzsch, Die 
Praxis des Erbbaurechts (1907); Rud. Eber- 
stadt, Rheinische Wohnverhältnisse u. ihre Be- 
deutung für das Wohnungswesen in Deutschland 
(1903); ders., Handbuch des Wohnungswesens u. 
der W. (71910); Erman, Erbbaurecht u. Klein- 
wohnung (1907); Fuchs, Zur W. (1904); 
v. d. Goltz, Die Wohnungsinspektion u. ihre 
Ausgestaltung durch das Reich (1900); E. Jäger, 
Die W. (2 Bde, 1902/03); Kalkstein, Staat- 
liche u. kommunale Wohnungsaussicht in Deutsch- 
land, Zusammenstellung der im Deutschen Reich 
erlassenen Vorschriften über Benutzung u. über Be- 
schaffenheit von Wohnungen (1908); H. Kampff- 
meyer, Die Gartenstadtbewegung (1909); K. Keller, 
Die Besteuerung der Gebäude u. Baustellen (1907); 
K. v. Mangoldt, Die städtische Bodenfrage; eine 
Untersuchung über Tatsachen, Ursachen u. Abhilfe 
(1907); Pesl, Das Erbbaurecht, geschichtlich u. wirt- 
schaftlich (1910), Pöhlmann, Antiker Kommunismus 
u. Sozialismus (1901); L. Pohle, Die W. (2 Bde, 
1910); Die Wohnungsfürsorge im Reich u. in den 
Bundesstaaten, bearb. im Reichsamt des Innern 
(1904); Rost, Das moderne Wohnungsproblem 
  
Wucher und Zins. 
  
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(1909); Schriften des Vereins für Sozialpolitik: 
Untersuchungen über die W. in Deutschland u. im 
Ausland Bd 94—98 (1901); VBoigt u. Geldner, 
Kleinhaus u. Mietkaserne (1905); Wagner, Die 
Tätigkeit der Stadt Ulm auf dem Gebiet der Woh- 
nungsfürsorge (1903); Walli, Die Dezentralisation 
der Industrie u. der Arbeiterschaft im Großherzog- 
tum Baden u. die Verbreitung des Mehrfamilien- 
hauses (Mietkaserne) auf dem Land (1906); Ad. 
Weber, über Bodenrente u. Bodenspekulation in 
der modernen Stadt (1904); ders., Boden u. Woh- 
nung. 8 Leitsätze zum Streit um die städtische Bo- 
den= u. W. (1908); Wohnungsfürsorge in deutschen 
Städten, bearbeitet im Kaiserl. Statist. Amt (1910). 
Ständige Veröffentlichungen über die W. sind: 
Kommunales Jahrbuch von Südekum u. Linde- 
mann (seit 1908) enthält jährlich eine Zusammen- 
fassung der gesetzgeberischen u. andern Vorkomm- 
nisse im Wohnungswesen; Zeitschrift für Woh- 
nungswesen von Prof. Dr H. Albrecht in Groß- 
lichterfelde u. Dr J. Altenrath in Charlottenburg 
(I4täglich); Zeitschrift für Wohnungswesen in 
Bayern, hrsg. vom Verein für Verbesserung der 
Wohnungsverhältnisse in München (monatlich); 
Das Reichsarbeitsblatt (monatlich); Die Garten- 
stadt, Mitteilungen der deutschen Gartenstadtgesell- 
schaft, Karlsruhe; Bodenreform; Jahrbuch der 
Bodenreform. LJaeger.] 
Wucher und Zins. lI. Begriff des Wuchers. 
II. Das Darlehen. III. Geschichte des Wucher- 
verbots. 1. Vorchristliche Zeit. 2. Stellung des 
Neuen Testaments. 3. Das kirchliche Zinsverbot. 
4. Die Ausnahmen vom kirchlichen Zinsverbot. 
5. Die Zinserlaubnis seitens der weltlichen Obrig- 
keit. 6. Die Reformatoren. 7. Das letzte Stadium 
des Wucherstreits. 8. Die gegenwärtige Stellung 
der Kirche zum Zins. IV. Das Zinsproblem in 
der Gegenwart. V. Verschiedene Erklärungen des 
Darlehenszinses. VI. Das Wesen des Wuchers und 
die Momente des Leichtsinns, der Not und Uner- 
fahrenheit. VII. Zinsgrenze und gesetzliche Be- 
kämpfung des Wuchers. VIII. Rückblick auf das 
kirchliche Zinsverbot.] 
I. Begriff des Wuchers. Wucher (althoch- 
deutsch = wuohhar, mittelhochdeutsch = wuo- 
cher) hat die Grundbedeutung von Ertrag, Frucht, 
z. B. des Ackers, auch Nachkommenschaft, Gewinn, 
Profit, Ertrag eines Kapitals (vgl. Paul, Deut- 
sches Wörterbuch (1896); Kluge, Etymologisches 
Wörterbuch der deutschen Sprache /71909|). Es 
entspricht der Ausdruck ganz dem griechischen rérocg 
(von réxo gebären), das Geborene, der Zins 
(Jacobson, Wucher, in der Realenzyklopädie von 
Herzog XVII (118861 341). Diese Grund- 
bedeutung von Wachstum, Frucht tritt noch in 
dem Wort „wuchern“ hervor, das den Sinn des 
üppigen Wachstums hat; zugleich klingt die Be- 
deutung in ihm an, die wir gern damit verbinden: 
wuchern — wachsen auf Kosten, zum Schaden 
eines andern; so wuchert das Unkraut zum Schaden 
des Getreides, dem es Boden und Sfte entzieht; 
so wuchert der Parasit, indem er dem lebendigen 
Organismus die zu dessen Erhaltung bestimmten 
und notwendigen Säfte entzieht. Wucher besteht 
demnach darin, daß auf Kosten fremden Eigen- 
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