Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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wie sie von den päpstlichen Bestätigungsdekreten 
vorausgesetzt wird, als erlaubt. Im weiteren Ver- 
lauf wurde die Unkündbarkeit fallen gelassen und 
zunächst dem Schuldner das Recht der Kündigung 
eingeräumt. Durch Gestattung beiderseitiger Kün- 
digung seit dem 16. Jahrh. (Funk, Geschichte 55) 
war man faktisch beim Kapitaldarlehen angelangt 
(Linsenmann, Moraltheologie 554). 
Ein heftiger Streit entstand bezüglich der Er- 
laubtheit eines Zinsbezugs bei den sog. montes. 
Die profanen, die sich in Venedig bis ins 
12. Jahrh. zurückverfolgen lassen, sind nichts 
anderes als staatliche Zwangsanlehen, die beson- 
ders von kriegführenden Staaten gemacht und 
verzinst wurden. Die Berechtigung dieses Zinses 
erlangte niemals allseitige Anerkennung. Anders 
war der Verlauf bei den montes pietatis, 
den von dem Franziskanerorden nach der Mitte 
des 15. Jahrh. in zahlreichen italienischen Städten 
ins Leben gerufenen Leihhäusern, welche die Armen 
und Bedürftigen vor Auswucherung besonders 
durch Gewährung von Darlehen schützen wollten. 
Diese wurden vielfach aus milden Gaben gewährt. 
Natürlich waren dieselben nicht genügend, um den 
Bedarf zu decken, und die montes sahen sich viel- 
fach zur Geldaufnahme genötigt, wobei sie selbst 
häufig eine Vergütung gewähren mußten. Ferner 
verursachte die Verwaltung mancherlei Auslagen 
(Unterhaltung der Gebäulichkeiten, Bezahlung der 
Bediensteten), die, was natürlich erscheint, durch 
einen kleinen Zuschlag auf die Darlehenssumme 
gedeckt werden sollten. Hierüber erhob sich der 
Streit zwischen Franziskanern und Dominikanern, 
indem die letzteren den Vorwurf des Wuchers er- 
hoben, während jene einen solchen Ersatz für er- 
laubt hielten, da davon die Existenz der Insti- 
tution abhing (vgl. Holzapfel, Die Anfänge der 
montes pietatis, 1902). Diesem Streit machte 
das unter Leo X. abgehaltene fünfte Lateran- 
konzil zugunsten der von den Franziskanern ver- 
tretenen Ansicht ein Ende. Zugleich wurde hier 
der Begriff des Wuchers im Sinn der Scholastik 
präzisiert als Gewinn und Frucht aus einer un- 
fruchtbaren Sache, der nicht durch die dem Gläu- 
biger erwachsende Mühe und Auslage oder Gefahr 
gerechtfertigt ist. Die Förderung der montes 
seitens der Kirche ist ein Beweis dafür, daß die 
Armen, die im Mittelalter meist auf ein Darlehen 
angewiesen waren, durch die Wuchergesetzgebung 
geschützt werden sollten. 
Neben dem Rentenkauf fanden die Bedürfnisse 
des wirtschaftlichen Lebens, die immer mehr die 
Möglichkeit des Kapitalverkehrs erheischten, im 
sog. contractus trinus Befriedigung, einer Kom- 
bination dreier Verträge, eines Gesellschafts- 
vertrags und zweier Assekuranzverträge, deren 
einer gegen Nachlaß eines Teils des zu erhoffen- 
den Gewinns das Kapital, der andere gegen 
weiteren Nachlaß einen bestimmten Gewinn sichert. 
Die Meinung Funks (Geschichte 57), durch 
die Verbindung der letzteren mit dem Sozietäts- 
Wucher und Zins. 
  
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vertrag ergebe sich vollkommen das, was man 
heutzutag ein verzinsliches Produktivdarlehen 
nenne, dürfte sich kaum, trotz scheinbarer Ver- 
schiedenheit, bestreiten lassen, da der Gesellschafter, 
der ja sonst Eigentümer des von ihm beigeschof- 
senen Kapitals bleibt mit allen Gefahren und 
Gewinnchancen, eben hier in Bezug auf sein 
Kapital gesichert ist. Der Vertrag ist im Grund 
nichts anderes als ein Zinsdarlehen (S. 58); 
er stieß darum bei einigen Päpsten auf Miß- 
trauen. Trotzdem fand diese Vertragsform, da 
durch die Fortschritte der materiellen Kultur das 
absolute Zinsverbot immer mehr an Boden verlor, 
im Verkehr Eingang. „Die Scholastik hatte da- 
mit eine große Tat vollbracht. Sie war zwar 
nicht imstande gewesen, die Burg des Zinsverbots 
zu nehmen, aber sie hatte sie von zwei Seiten 
umgangen und dem Kapital einen zweifachen 
Weg erschlossen. . Nur eines war dabei zu 
beobachten: die Ausdrücke Darlehen und Zins 
durften nicht gebraucht werden; denn das Zins- 
darlehen galt noch als Wucher und seine Anwen- 
dung als schwere Sünde“ (Funk S. 60). 
5. Dadurch mußte natürlich die bisherige Auf- 
fassung von Zins eine Anderung erfahren, und 
trotzdem zahlreiche Synoden die Wucherverbote 
erneuerten, kamen die weltlichen Fürsten, die 
ja ehedem mit der Kirche der gleichen Anschauung 
huldigten, den Forderungen des Verkehrs ent- 
gegen, indem das Zinsverbot beseitigt und nur 
mehr die Forderung von übermäßigem Zins 
unter Strafe gestellt wurde. Den Anfang machte 
in Deutschland Herzog Albrecht V. von Bayern 
im Jahr 1553. Zahlreiche protestantische Staaten 
folgten nach, und schließlich wurde das Zinsnehmen 
durch ein Reichsgesetz vom Jahr 1654 erlaubt. 
Diese Neuerung übte auch auf die theoretische Be- 
handlung der Zinsfrage einen Einfluß. Zu den 
bisherigen Zinstiteln trat der titulus legis civilis 
hinzu, dessen Urheber der spanische Jesuit Ledes- 
ma gewesen zu sein scheint (1573). Ein scharfer 
Gegner dieses Titels war der auch sonst rigoristische 
Dominikaner Concina, während die Jesuiten, be- 
sonders Pichler, sich für diesen Titel aussprachen 
(ogl. Duhr, Die deutschen Jesuiten im Fünf- 
prozentstreit des 16. Jahrh., Zeitschrift für kathol. 
Theologie (1900) 209 ff). Es ist klar, daß die 
staatliche Erlaubnis für sich allein einen 
moralisch berechtigten Anspruch auf Zins nicht 
begründen kann. Insofern hat Funk (Wucher 
und Zins 79 A. 4) vollkommen recht, wenn 
er von diesem Titel Umgang nimmt, da er ihm 
keine besondere Bedeutung zuzuerkennen vermöge. 
Er diene den andern Titeln bloß zur Ergänzung 
und Verstärkung der in ihnen liegenden Rechts- 
kraft (ebd. S. 135). Dagegen steht dem Staat 
nach Lage der wirtschaftlichen Verhältnisse, d. h. 
wenn die Wahrscheinlichkeit für die gewinn- 
bringende Anlage des Gelds vorhanden ist, das 
Recht zu, allgemein den Zinsbezug zu gestatten, 
schon um dem Zweifel und der Rechtsunsicherheit
	        
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