1177
gebliebene Geld in den Kreis des Erwerbslebens
und boten auch den kleineren Kapitalbesitzern
jederzeit Gelegenheit, ihr Geld gewinnbringend
anzulegen“ (Cathrein II 356). Das Eigenartige
der neuzeitlichen Erwerbsverhältnisse besteht gerade
in dem Vorherrschen der Geld= und Kreditwirt-
schaft. Es ist gar kein Zweifel, daß der Kredit
eine Steigerung ins Maßlose gewonnen hat, und
daß die Rententitel, welche manchen ohne jede
Arbeit die Mittel zu reicher Lebenshaltung bieten,
eine Schattenseite unseres Wirtschaftslebens bilden.
Desungeachtet macht die Arbeitsteilung, welche
immer eine Reihe von Tauschwerten voraussetzt,
ehe der Gebrauchswert entstehen kann, den Kredit
zur Notwendigkeit. Die Anlage von Betriebs-
stätten und die Anschaffung von Maschinen ver-
ursachen große Auslagen, welche sich erst in der
Zukunft abtragen lassen; der Unternehmer muß
die Arbeitslöhne vorausbezahlen, um erst im Er-
158 des verkauften Produkts Wiederersatz zu er-
langen. Er muß deshalb durch Anweisung auf
künftige Werte sich die Summe, die er braucht,
beschaffen (Ratzinger S. 344).
Wo nun das Geld eine Nutzung ermöglichen
soll, da ist die notwendige Voraussetzung, daß
das Wirtschaftsleben eine Stufe der Entwicklung
erreicht hat, auf der das Kapital von hervor-
ragender Bedeutung ist. Das Geld kann so weit
produktiv verwendet werden, als die Möglichkeit
reicht, mittels dieses Tauschmittels produktive
Güter zu erwerben. Es kommt somit dem Geld
keineswegs eine unmittelbare Produktivität zu
wie der Natur oder der menschlichen Arbeit, sie
ist vielmehr nur eine bedingte, weil für die gefor-
derte Verwirklichung des Eintausches produktiver
Güter verschiedene Voraussetzungen wirtschaft-
licher und sozialer Art gegeben sein müssen. Sind
diese Voraussetzungen in der Gegenwart gegeben,
so zeigte das mittelalterliche Wirtschaftsleben ein
anderes Bild. Das Kapital hatte noch nicht die
Bedeutung gewonnen, die es heute besitzt. Technik
und Verkehrsmittel waren fast gar nicht entwickelt,
das Wirtschaftsgebiet auf den lokalen Markt be-
schränkt. Ein Wechsel vollzog sich erst seit dem
Ende des 15. Jahrh., dem Zeitalter der großen
Entdeckungen und des beginnenden Welthandels,
und damit trat ein Aufschwung der Volkswirt-
schaft ein, der in den italienischen Handelsstädten
schon früher eingesetzt hatte (ugl. Strieder, Zur
Genesis des modernen Kapitalismus [1904)), der
aber im 16. Jahrh. wieder einen beträchtlichen
Rückschlag erlitt. Wie schon im Art. Kapital
(Bd III) gezeigt wurde, war es zur Zeit der Zunft-
und Lehensverfassung gar nicht möglich, mittels des
Gelds sich Grundbesitz und Arbeit zu verschaffen,
da diese Produktionskräfte nicht jedem zur freien
Verfügung standen. In der Landwirtschaft, die
heute so kreditbedürftig ist, wurden die Verpflich-
tungen meist in Naturalleistungen bedungen; die
Leihe trug dem Kreditbedarf genügend Rechnung.
Das Geld kam daher fast nur in Betracht für die
Wucher und Zins.
1178
Beschaffung der nötigen Bedarfsgegenstände, und
die Not führte zumeist zur Aufnahme von Dar-
lehen. Daraus erklärt sich die Abneigung aller
auf niederer Kultur stehenden Völker gegen das
Zinsnehmen (Roscher, Grundlagen der National-
ökonomie § 190). Nur der Handel war auf den
Kredit stark angewiesen.
Alle diese Schranken sind heutzutage gefallen;
von der modernen Geldwirtschaft gilt nur zu sehr:
Um Geld ist alles feil, nicht nur produktive Güter
(interessante Ausführungen bei Simmel, Philo-
sophie des Gelds (19001, 5. Kapitel: Das Geld-
äGquivalent personaler Werte S. 364 ff). Es geht
nicht an, den im Wirtschaftsleben erfolgten Um-
schwung mit der Begründung in Abrede zu stellen,
daß die Grundlagen der wirtschaftlichen Produk-
tion keiner Anderung zugänglich seien, darum auch
die Natur der kapitalistischen Produktionsweise
ungeachtet aller Verbesserungen im einzelnen und
im äußern ihrem Wesen nach immer die gleiche
bliebe, somit auch die Grundsätze über Kapital,
Geld, Zins und Wurcher stets dieselben seien
(Weiß, Soziale Frage). Das Geld selbst ist auch
heute keineswegs aus sich heraus fruchtbar, die
Fruchtbarkeit, die gesteigerte Produktionskraft
kommt zunächst und unmittelbar nicht ihm, son-
dern den Kapitalgütern zu; aber „der Wert des
Gelds als Tauschmittel richtet sich nach dem Wert
der Güter, die man dagegen einlösen kann. Ist
die wirtschaftliche Lage eine derartige, daß man
mit dem Geld, von besondern Umständen ab-
gesehen, nur Genußgüter produzieren kann, so hat
es auch nur den Wert solcher Genußgüter. Kann
man dagegen um Geld beliebige produktive, frucht-
bringende Güter erwerben, so steht es im Wert
solchen Gütern gleich“ (Cathrein II).
Freilich halten angesehene Autoren wie A. Weiß,
Biederlack u. a. diese Auffassung für unberechtigt.
Zwar gehe dem, der für Geld etwas anderes ein-
tausche, der Wert des Gelds nicht verloren, wie
ja auch derjenige, der Nahrungsmittel konsumiere,
an ihrer Stelle Kraft und Wohlbefinden besitze.
Verausgabe man das Geld, so besitze man aller-
dings nicht mehr die Münzen selbst, aber ihren
Wert, einen gleichwertigen Gegenstand. Aber
nicht um den Wert des Gelds handle es sich hier,
sondern um das, was es seiner Natur nach ist.
Der Wert des Gelds lasse sich in unzähligen
Dingen darstellen, so daß es das eine Mal
fruchtbar, das andere Mal unfruchtbar sei (Bie-
derlack S. 12 ff). Dies ist auch wirklich der
Fall; es kommt immer auf die Kategorie des
Wirtschaftslebens an, in der das Geld umläuft,
ob in der der Produktion oder in der des Kon-
sums; es ist ja nichts anderes als eine Anweisung
auf ein bestimmtes Quantum von Wertgütern.
Da das Geld zum Eintausch einer fruchtbringen-
den Sache verwendet werden kann, muß es als
Aquivalent einer solchen fruchtbaren Sache selbst
in gewissem Sinn als fruchtbringend gelten. Frei-
lich ist Geld nicht fruchtbar wie etwa der Acker,