Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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gebliebene Geld in den Kreis des Erwerbslebens 
und boten auch den kleineren Kapitalbesitzern 
jederzeit Gelegenheit, ihr Geld gewinnbringend 
anzulegen“ (Cathrein II 356). Das Eigenartige 
der neuzeitlichen Erwerbsverhältnisse besteht gerade 
in dem Vorherrschen der Geld= und Kreditwirt- 
schaft. Es ist gar kein Zweifel, daß der Kredit 
eine Steigerung ins Maßlose gewonnen hat, und 
daß die Rententitel, welche manchen ohne jede 
Arbeit die Mittel zu reicher Lebenshaltung bieten, 
eine Schattenseite unseres Wirtschaftslebens bilden. 
Desungeachtet macht die Arbeitsteilung, welche 
immer eine Reihe von Tauschwerten voraussetzt, 
ehe der Gebrauchswert entstehen kann, den Kredit 
zur Notwendigkeit. Die Anlage von Betriebs- 
stätten und die Anschaffung von Maschinen ver- 
ursachen große Auslagen, welche sich erst in der 
Zukunft abtragen lassen; der Unternehmer muß 
die Arbeitslöhne vorausbezahlen, um erst im Er- 
158 des verkauften Produkts Wiederersatz zu er- 
langen. Er muß deshalb durch Anweisung auf 
künftige Werte sich die Summe, die er braucht, 
beschaffen (Ratzinger S. 344). 
Wo nun das Geld eine Nutzung ermöglichen 
soll, da ist die notwendige Voraussetzung, daß 
das Wirtschaftsleben eine Stufe der Entwicklung 
erreicht hat, auf der das Kapital von hervor- 
ragender Bedeutung ist. Das Geld kann so weit 
produktiv verwendet werden, als die Möglichkeit 
reicht, mittels dieses Tauschmittels produktive 
Güter zu erwerben. Es kommt somit dem Geld 
keineswegs eine unmittelbare Produktivität zu 
wie der Natur oder der menschlichen Arbeit, sie 
ist vielmehr nur eine bedingte, weil für die gefor- 
derte Verwirklichung des Eintausches produktiver 
Güter verschiedene Voraussetzungen wirtschaft- 
licher und sozialer Art gegeben sein müssen. Sind 
diese Voraussetzungen in der Gegenwart gegeben, 
so zeigte das mittelalterliche Wirtschaftsleben ein 
anderes Bild. Das Kapital hatte noch nicht die 
Bedeutung gewonnen, die es heute besitzt. Technik 
und Verkehrsmittel waren fast gar nicht entwickelt, 
das Wirtschaftsgebiet auf den lokalen Markt be- 
schränkt. Ein Wechsel vollzog sich erst seit dem 
Ende des 15. Jahrh., dem Zeitalter der großen 
Entdeckungen und des beginnenden Welthandels, 
und damit trat ein Aufschwung der Volkswirt- 
schaft ein, der in den italienischen Handelsstädten 
schon früher eingesetzt hatte (ugl. Strieder, Zur 
Genesis des modernen Kapitalismus [1904)), der 
aber im 16. Jahrh. wieder einen beträchtlichen 
Rückschlag erlitt. Wie schon im Art. Kapital 
(Bd III) gezeigt wurde, war es zur Zeit der Zunft- 
und Lehensverfassung gar nicht möglich, mittels des 
Gelds sich Grundbesitz und Arbeit zu verschaffen, 
da diese Produktionskräfte nicht jedem zur freien 
Verfügung standen. In der Landwirtschaft, die 
heute so kreditbedürftig ist, wurden die Verpflich- 
tungen meist in Naturalleistungen bedungen; die 
Leihe trug dem Kreditbedarf genügend Rechnung. 
Das Geld kam daher fast nur in Betracht für die 
Wucher und Zins. 
  
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Beschaffung der nötigen Bedarfsgegenstände, und 
die Not führte zumeist zur Aufnahme von Dar- 
lehen. Daraus erklärt sich die Abneigung aller 
auf niederer Kultur stehenden Völker gegen das 
Zinsnehmen (Roscher, Grundlagen der National- 
ökonomie § 190). Nur der Handel war auf den 
Kredit stark angewiesen. 
Alle diese Schranken sind heutzutage gefallen; 
von der modernen Geldwirtschaft gilt nur zu sehr: 
Um Geld ist alles feil, nicht nur produktive Güter 
(interessante Ausführungen bei Simmel, Philo- 
sophie des Gelds (19001, 5. Kapitel: Das Geld- 
äGquivalent personaler Werte S. 364 ff). Es geht 
nicht an, den im Wirtschaftsleben erfolgten Um- 
schwung mit der Begründung in Abrede zu stellen, 
daß die Grundlagen der wirtschaftlichen Produk- 
tion keiner Anderung zugänglich seien, darum auch 
die Natur der kapitalistischen Produktionsweise 
ungeachtet aller Verbesserungen im einzelnen und 
im äußern ihrem Wesen nach immer die gleiche 
bliebe, somit auch die Grundsätze über Kapital, 
Geld, Zins und Wurcher stets dieselben seien 
(Weiß, Soziale Frage). Das Geld selbst ist auch 
heute keineswegs aus sich heraus fruchtbar, die 
Fruchtbarkeit, die gesteigerte Produktionskraft 
kommt zunächst und unmittelbar nicht ihm, son- 
dern den Kapitalgütern zu; aber „der Wert des 
Gelds als Tauschmittel richtet sich nach dem Wert 
der Güter, die man dagegen einlösen kann. Ist 
die wirtschaftliche Lage eine derartige, daß man 
mit dem Geld, von besondern Umständen ab- 
gesehen, nur Genußgüter produzieren kann, so hat 
es auch nur den Wert solcher Genußgüter. Kann 
man dagegen um Geld beliebige produktive, frucht- 
bringende Güter erwerben, so steht es im Wert 
solchen Gütern gleich“ (Cathrein II). 
Freilich halten angesehene Autoren wie A. Weiß, 
Biederlack u. a. diese Auffassung für unberechtigt. 
Zwar gehe dem, der für Geld etwas anderes ein- 
tausche, der Wert des Gelds nicht verloren, wie 
ja auch derjenige, der Nahrungsmittel konsumiere, 
an ihrer Stelle Kraft und Wohlbefinden besitze. 
Verausgabe man das Geld, so besitze man aller- 
dings nicht mehr die Münzen selbst, aber ihren 
Wert, einen gleichwertigen Gegenstand. Aber 
nicht um den Wert des Gelds handle es sich hier, 
sondern um das, was es seiner Natur nach ist. 
Der Wert des Gelds lasse sich in unzähligen 
Dingen darstellen, so daß es das eine Mal 
fruchtbar, das andere Mal unfruchtbar sei (Bie- 
derlack S. 12 ff). Dies ist auch wirklich der 
Fall; es kommt immer auf die Kategorie des 
Wirtschaftslebens an, in der das Geld umläuft, 
ob in der der Produktion oder in der des Kon- 
sums; es ist ja nichts anderes als eine Anweisung 
auf ein bestimmtes Quantum von Wertgütern. 
Da das Geld zum Eintausch einer fruchtbringen- 
den Sache verwendet werden kann, muß es als 
Aquivalent einer solchen fruchtbaren Sache selbst 
in gewissem Sinn als fruchtbringend gelten. Frei- 
lich ist Geld nicht fruchtbar wie etwa der Acker,
	        
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